Der Manichäismus der Annetta Kahane

Alles Antisemiten! Wie Annetta Kahane das objektiv vorhandene Problem Antisemitismus in Deutschland in ihr Schwarz-Weiß-Weltbild presst und damit der Debatte und den Betroffenen schadet.

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Frau Kahane ist seit 1998 für die Amadeu Antonio Stiftung tätig, die "Projekte gegen Rechtsextremismus und für die Stärkung der Zivilgesellschaft fördert".

In der DDR studierte sie Lateinamerikanistik und arbeitete als Übersetzerin. Laut Wikipedia war sie von 1974-1982 für die Staatssicherheit tätig.

Nach Angabe ihres Führungsoffiziers arbeitete sie "ehrlich und zuverlässig" und belastete auch Personen. Die Tochter von jüdischen Kommunisten, die aus Nazideutschland fliehen mussten, denunzierte Feinde des Sozialismus.

Das passt nur bedingt zu ihrer Darstellung der DDR. In ihren Worten:

Ich aber hatte von Anfang an Schwierigkeiten, hatte das Gefühl, ich passe nicht, hier läuft etwas falsch.

Sie räumte ein:

Ich wollte natürlich nicht immer die sein, die nicht passt. Ich habe versucht, den Erwartungen zu genügen.

Annete Kahane beschrieb sich als geprägt von der deutsch-jüdischen Vergangenheit:

Ich bin sehr unter dem Eindruck der Traumata meiner Eltern aufgewachsen, wie viele jüdische Kinder der zweiten Generation. [...]

Ich hatte kein Vertrauen in meine deutsche Umgebung. Das muss man erst mal loswerden.

Ein aktueller Beitrag von Frau Kahane im FREITAG widmet sich dem Thema Antisemitismus in Deutschland, der sich ihrer Auffassung zufolge zuletzt in der Beschneidungsdebatte von seiner hässlichsten Seite gezeigt hat:

Die Beschneidungsdebatte mit ihren aggressiven Auswüchsen ist zu einer Plattform des offenen, unverhohlenen Ressentiments geworden.

Frau Kahane zieht den härtest möglichen Schluß. Diese "Auswüchse" hätten unter deutschen Juden

den Rest dieses Glaubens an Deutschland zerstört.

Die Deutschen haben ihr wahres Gesicht gezeigt, der Schaden ist getan, es gibt nichts mehr zu reparieren? Das scheint mir die Lage in Deutschland unverantwortlich überzogen darzustellen.

Zum Beitrag Kahanes möchte ich zwei Hinweise geben.

(1) Die Autorin spricht mit dem objektiv vorhandenen Antisemitismus in Deutschland einen heiklen Punkt an.

(2) Die Autorin schüttet das Kind mit dem Bade aus, weil sie sich vor dem Hintergrund ihrer Biografie - verständlich - eine Art manichäisches Weltbild angeeignet hat: Hier die Guten - dort die Antisemiten.

Zu (1) Antisemitismus in Deutschland

"Warum nehmen immer weniger Menschen Anstoß an der wachsenden Diskriminierung von Juden?" fragt Kahane.

"Diskriminierung" ist schwer objektivierbar. Es kann auch schwerlich eine Statistik geben, die aussagt wie viele / wie wenige Menschen Anstoß an solcher Diskriminierung nehmen. Nicht objektivierbare Feststellungen haben den Vorzug, nur schwer widerlegt werden zu können.

Daher ein Blick in die Kriminalstatistik, die allerdings wenig Mut macht*:

Zwischen 1200 und 1800 antisemitisch motivierte Straftaten weist die Polizeistatistik seit der Jahrtausendwende jährlich aus: Friedhofsschändungen und Hakenkreuzschmierereien, Pöbeleien und Beschimpfungen, Störungen von Gedenkfeiern und eingeworfene Fensterscheiben in jüdischen Einrichtungen. Aber auch Faustschläge und Brandstiftungen.

Der Bericht spricht auch von 20% der Bevölkerung, die latent antisemitisch eingestellt sind.

Laut Bericht des Innenministers werden in Deutschland täglich rund 80 politisch motivierte Straftaten verübt. Macht knapp 30.000 pro Jahr. Dabei wurde ein massiver Anstieg linksextrem motivierter Straftaten registriert und ein geringer Anstieg rechtsextrem motivierter.

Tatsächlich ist der Großteil der antisemitischen Straftaten dem rechtsextremen Milieu zuzuschreiben, wie der Verfassungsschutzbericht aufzeigt:

Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund bewegte sich im Jahr 2011 mit insgesamt 1.162 Taten nahezu auf dem Niveau des Vorjahres (1.166).

Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten mit antisemitischem Hintergrund fiel von 29 (2010) auf 22.

Das sind bedenkliche Größenordnungen. So weit hat die Anklage Frau Kahanes einen schlimmen Hintergrund.

Zu (2) Eingepresst ins Schwarz-Weiss-Schema

Frau Kahane verortet im Folgenden das Problem Antisemitismus nicht bei den jeweiligen Tätern oder bestimmten Milieus, sondern sieht die Ursache

eingebettet in eine allgemeine Stimmung, die viele Juden zutiefst verunsichert.

Und diese kommt aus der Mitte der deutschen Gesellschaft.

An dieser Stelle muss man Frau Kahane nicht mehr folgen. Man braucht dazu nicht unbedingt den Verfassungsschutzbericht, wonach die ganz überwiegende Mehrzahl der Übergriffe aus der rechtsradikalen Szene stammt, oder muss nicht nochmals auf die weiter oben genannten 20 Prozent latent antisemitisch eingestellter Deutschen verweisen (Wie viel Prozent der Deutschen sind anti-muslimisch, anti-amerikanisch eingestellt? "Anti" ist kein Alleinstellungsmerkmal).

Es genügt die Beschneidungsdebatte zu verfolgen, die aufs Ganze betrachtet sehr zivile Züge trug. Natürlich lassen sich in der Masse der Beiträge die unausweichlichen Ausreisser finden.

Die Wahrnehmung der Beschneidungsdebatte scheint sich seitens Frau Kahane mehr über ihre Weltanschauung und der daraus folgenden Interpretation zu definieren als über den tatsächlichen Verlauf. Motto: Sie argumentieren juristisch, medizinisch, psychologisch, soziologisch, thelogisch etc.pp. , aber verstecken damit nur ihren Antisemitismus.

Dasselbe Muster wendet Annetta Kahane auch auf das Thema "Israelkritik" an. Sie schiebt vor, dass es selbstverständlich gerechtfertigte Kritik an Israel geben dürfe, um dann ein übergroßes "aber" folgen zu lassen:

Je leidenschaftlicher eine Diskussion
über Israel jeden Antisemitismus darin bestreitet, desto präsenter ist er.

Argumentiert so sachlich wie Ihr wollt, Ihr wollt Euch doch nur damit verstecken, sagt die Autorin damit.

Ohne der Autorin zu nahe treten zu wollen liegt die Annahme nahe, dass ihr Bekenntnis "Ich hatte kein Vertrauen in meine deutsche Umgebung" in vielleicht allzu hohem Maß auch für die Gegenwart gilt.

Das sollte Frau Kahane als Repräsentatin einer Gesellschaft, die sich seit einiger Zeit öffentlichkeitswirksam platzieren konnte, in Betracht ziehen. Mit ihrer Art der Antisemitismus-Darstellung verunsichert sie ihre jüdischen Mitbürger über Gebühr und bringt eine unnötige Zahl unbedarfter Bürger in die heikle Lage sich für etwas verteidigen zu sollen, für das sie sich nicht verteidigen müssen.

Um die Strafverfolgung hat sich der Staat zu kümmern. Einschlägige Bildungsstellen und Verbände tun so viel sie können, um Diskriminierung jeglicher Art im Vorfeld zu unterbinden.

Der jüngste Angriff auf den Berliner Rabbi Alter zeigt, dass man darin nicht nachlassen darf.

Polarisierende Darstellungen aufgrund biografischer Prägungen sind dabei wenig hilfreich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

schlesinger

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