Eine blutende menschliche Wurst

Keine Kriegshelden Eine Rezension zu “1948”, ein Kriegsbericht aus dem israelischen Unabhängigkeitskrieg, von Yoram Kaniuk

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Eine blutende menschliche Wurst

Foto: Cover

Kaniuk hat einen lakonischen Kriegsbericht verfasst, bei dem man manchmal meint, das ganze Geschehen sei an ihm vorbei gegangen. Als sei der Krieg nur ein wahlweise böser oder absurder Traum gewesen. Aber nein, sein Bericht zeigt vielmehr, wie genau er den Krieg wahrgenommen hat.

Mit großen Parolen, Schlagworten oder Kraftsprüchen kann der Autor nicht dienen. Im Gegenteil. 1948 ist eine fortgesetzte Anklage gegen alle Versuche, Geschehnisse oder Dinge künstlich aufzuwerten, indem man ihnen die “richtigen” Begriffe verpasst: Nation! Patriotismus! Ehre!

Der Krieg von 1948 war der große Unabhängigkeitskrieg? Die israelischen Soldaten haben patriotisch um ihre Heimat gekämpft? Sind ihren Idealen gefolgt? Wußten G’tt auf ihrer Seite?

Vielleicht war es für manche so. Vielleicht sogar für viele.

Kaniuk hat bloß gekämpft. Weil der Krieg nun mal da war.

Auf göttliche Fügung hoffte er nicht, “denn auf Gott vertrauten wir damals nur mit der Knarre in der Hand“.

Und der Krieg war wie Kriege nun mal sind. Da befinden sich Kaniuk und seine Truppe

in einer befestigten Stellung, ich weiß nicht mehr welcher, wo ein gutaussehender Bursche, dessen Name ich vergessen habe, sich einen Moment aufrichtete und mit voller Wucht eine Mörsergranate von drei Inch abkriegte, die ihn buchstäblich durchhieb, als wäre die Granate ein scharfes Messer gewesen, so dass wir seinen Leib zu den beiden Seiten fallen sahen, die er vorher gehabt hatte, als er noch ein schöner Mann gewesen war und keine blutende menschliche Wurst wie jetzt.

Irgendwann inmitten all der Kämpfe, dem Warten, dem Marschieren, Schlafen und Schwitzen wurde der Truppe mitgeteilt, dass Ben Gurion in Tel Aviv einen Staat ausgerufen hat:

Und das ist das Komischste, was mir in jenem Krieg passiert ist: Dass ich einen Staat gegründet habe, während ich schlief oder neben einem namenlosen Kameraden, den es in zwei Teile zerrissen hatte, Hora tanzte.

Dieser Staat, das ist nach Kaniuk

tatsächlich ein Totenstaat. Er wurde für Tote errichtet. [...] Sie wollten, dass wir eine riesige Vergeltungsaktion gegen die jüdische Geschichte starteten. [...] Und so zogen wir denn aus, einen Staat zu gründen.

Daher kam es zum Krieg. Gegen die Araber. Das war der Feind. Der junge Kaniuk machte sich keine Illusionen, dass es im Krieg nur ums Töten-oder-getötet-werden geht. Umso schlimmer, dass die israelischen Soldaten bis zum ersten Waffenstillstand

tatsächlich wenige [waren, ein] immer hungriger und durstiger versprengter Haufen.

Die Araber kannte Kaniuk als gute Nachbarn seines Elternhauses, wußte aber auch von Überfällen auf Siedlungen und dem bösen Araber-Spruch “itbach al-yahud” – metzelt die Juden.

Irgendwas trug Kaniuk in sich, das ihn vor dieser ewigen Tendenz zur Gleichmacherei bewahrte. Die Araber pauschal als Erzfeinde anzusehen wollte ihm nicht gelingen. Grotesk erschien ihm der Befehl die Küstenstadt Caesarea anzugreifen, nicht, weil dort keine Araber kämpften, sondern weil sie wegen einer geplanten Anlandung eines Waffentransports im Weg waren.

Kaniuk sagte seinen Leuten, die Einwohner seinen gar keine Araber, sondern Bosnier, worauf ihm entgegnet wurde was denn wohl Bosnier seien, allesamt Araber. Woraufhin man angriff. Aber die Bosnier waren angesichts des drohenden Angriffs schon auf der Flucht, und “schritten auf ihre feierliche Art dahin, trugen ihre Habseligkeiten mit Würde und Stolz.”

Ein Höhepunkt der Kämpfe war der Entlastungsangriff auf das arabisch eingeschlossene Jerusalem. Kaniuk und seine Leute schlugen sich nach verlustreichen Kämpfen durch nach Jerusalem, um Proviant und Munition in die belagerte Stadt zu bringen. Das war an einem Samstag. Von den Orthodoxen wurden sie mit Steinen beworfen und neben den Anklagerufen “Shabbes, Shabbes!” auch wüst beschimpft.

Natürlich brachte der Krieg die normalen Verrohungen und Akte von Barberei mit sich, wie immer, auf beiden Seiten.

Ein Kamerad war drauf und dran einen kleinen Palästinenserjungen zu töten. Kaniuk wollte ihn schützen. Damit zeigte er sich “weich” und geriet selbst in große Gefahr:

Hör mal Du Araberschlecker, wenn Du den Jungen erschiesst, schlachte ich ihn nicht ab, und wenn Du ihn nicht erschiesst, schlachte ich vielleicht auch noch seine tote Mutter ab, die vielleicht noch gar nicht tot ist. Er versetzte ihr [der auf dem Boden liegenden schwer verletzten Frau] einen Tritt. Sie erzitterte, und er sagte: Die Schlampe ist nicht tot, guck Dir an wie ehrlos die Araber fallen.

Kaniuk bebte am ganzen Körper, war der Ohnmacht nahe, und lässt offen, ob er den Jungen schließlich nicht doch erschossen hat.

Und doch kam es immer wieder vor, dass man den Kampf genoss.

Ich weiß noch, zwischendurch, zwischen Schmerz und Leere, liebte ich die Kampfmomente. Wir alle liebten sie.

Ja, was auch sonst? Kaum eine Lebenslage erfüllt den Körper bis in die Zehenspitzen mit diesen Sinneseindrücken, flutet ihn in Momenten höchster Gefahr mit Adrenalin. So mag auch der eigentlich Friedfertige im Krieg ganz unerwartet zum Kriegsjunkie werden.

Irgendwann kam der Krieg zu seinem Ende. Der Soldat kehrte heim. Überbrachte in Tel Aviv einer Mutter die schlimme Nachricht vom Tod ihres Sohnes, der neben ihm gestorben war.

Sie grinste mich boshaft an und sagte, schade, dass es nicht umgekehrt gekommen ist.

Eine Heldengeschichte ist das nicht.

Nur ein großes, wahrhaftiges Buch.

Texte aus: 1948, Yoram Kaniuk, Aufbau Verlag

Leseempfehlung: Khirbet Khizeh / The most moral army

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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