"Geschwätzigkeit führt zu verschwommenen, unklaren Dingen."
Dieses Zitat stammt von Dan Quayle, Vizepräsident unter George H.W. Bush, und könnte auf den amtierenden Vize Joe Biden gemünzt sein.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/9/94/Quayle.jpg/180px-Quayle.jpgDan Quayle lieferte seinerzeit eine derart große Menge an abstrusen, dummen oder unfreiwillig komischen Äußerungen, dass sich bald eine regelrechte Fangemeinde entwickelte, die seine Sprüche zur Gaudi des Publikums vierteljährlich als Sprüchesammlung mit dem Titel "Quayle Quarterly" herausgab.
Um einen kleinen Eindruck zu vermitteln, hier ein paar Kostproben:
- I am not part of the problem. I am a Republican.
- Republicans understand the importance of bondage between a mother and child.
- The future will be better tomorrow.
- One word sums up probably the responsibility of any vice president, and that one word is 'to be prepared'.
- The Holocaust was an obscene period in our nation's history. I mean in this century's history. But we all lived in this century. I didn't live in this century.
- We are ready for any unforeseen event that may or may not occur.
Biden leidet unter Tourette-Syndrom
Nun also Joe Biden. Biden ist kein Quayle in dem Sinn, dass er schieren Unfug erzählt.
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/4/43/Biden_Obama.jpg/180px-Biden_Obama.jpgEr scheint vielmehr unter einer Art politischem Tourette-Syndrom zu leiden. Sie wissen schon: Diese Krankheit, die den Betreffenden wider Willen dazu veranlasst, aggressive Begriffe, grobe Flüche oder gar Obszönitäten auszust0ßen.
Vergangenes Wochenende gab Biden dem Sender ABC ein Interview, in dem er in Bezug auf einen möglichen israelischen Militärschlag gegen den Iran meinte:
the U.S. "cannot dictate to another sovereign nation what they can and cannot do."
"Israel can determine for itself -- it's a sovereign nation -- what's in their interest and what they decide to do relative to Iran and anyone else"
Die Reaktionen über das angebliche "grüne Licht" für einen israelischen Angriff ließen nicht lange auf sich warten und reichten von ungläubigem Staunen über Empörung bis hin zu Alarmismus.
Wer auf eine erregte Debatte in den USA gewartet hat, wurde enttäuscht. Die Diskussion blieb aber nicht deshalb weitgehend aus, weil man sich dort nicht über einen weiteren Krieg im nahen Osten sorgen würde, sondern weil man schlicht berücksichtigte, wer das Interview gegeben hat:
Biden, the "loose cannon" (der unverantwortliche Schwätzer).
Da kamen dann zum Beispiel auf den Megablog DailyKos schon mal bis ins Gelangweilte gehende Reaktionen wie: "just Biden not having a delicate enough filter on issues."
Andere hatten eine gutmütig-belehrende Richtung, fast wie um Biden beim besseren Formulieren behilflich zu sein: "think that what Biden actually meant was to tell our government: If you decide to attack Iran, you're on your own. We won't stop you and won't help you." Natürlich gab es auch Beiträge, die Bidens Kommentar wortwörtlich verstanden wissen wollen:
"This is NOT Biden saying something foolish without thinking. You're the fool for thinking that. This is a statement from somebody who (believe it or not) is something of a veteran in Foreign Policy, concerning a very tense situation. It's a well-calibrated statement."
Das zuletzt angeführte Zitat gilt vor allem für die Rezeption von Bidens Äußerungen bei uns. Wie sollte es auch anders sein? Immerhin ist er Vizepräsident und mit der Personalie Biden ist man außerhalb Amerikas eher wenig vertraut.
Wäre das Interview von Obama gegeben worden, wären die Reaktionen mit Sicherheit ganz anders und zurecht heftig ausgefallen.
Statt dessen korrigierte Obama, der sich zu Verhandlungen über Atomwaffen in Moskau aufhält, jüngst die unbedachte und diplomatisch dumme Äußerung seines Vize, indem er beinahe schroff klarstellte, dass die USA definitiv kein grünes Licht in Richtung Israel gegeben hätten:
The United States is "absolutely not" giving Israel a green light to attack Iran, U.S. President Barack Obama told CNN Tuesday.
We have said directly to the Israelis that it is important to try and resolve this in an international setting in a way that does not create major conflict in the Middle East"
Dies ist die bisherige und bis auf weiteres unverändert gültige Politik der Regierung Obama, die durch eine unüberlegte Äußerung von Joe Biden nicht verändert wurde. Das weiß man auch in Jerusalem, weshalb man sich dort in Richtung Washington erst gar nicht zu fragen traute, ob man Überflugrechte über den Irak erhalte.
Bei all dem gibt es keinen Grund so zu tun, als könnte man Joe Biden ignorieren, zumal er kein politisches Leichtgewicht ist. Aber es gibt allen Anlass, seine Äußerungen vorsichtig abzuschätzen. Im Zweifelsfall wird man gut beraten sein, eine Stellungnahme Obamas abzuwarten.
"People that are really very weird [bizarr] can get into sensitive positions and have a tremendous impact [enormen Einfluss] on history."
Auch mit diesem Zitat, das einem mit Blick auf Biden einfallen könnte, lag Dan Quayle daneben. Es galt nicht für ihn, den Einflusslosen, und es gilt nicht für Biden, den Mann mit dem häufig losen Mundwerk.
(Photo: Joe Biden, Dan Qualye, beide Wikipedia CC Lizenz)
Kommentare 6
Lieber Schlesinger,
Vielen Dank für diesen Artikel. Ich habe diese Seite von Joe Biden bis dato noch nicht gekannt.
Ich wundere mich nur, wenn er auf der politischen Bühne bereits als ein nicht wirklich ernstzunehmender "Schwätzer" bekannt sei, dann verstehe ich die Reaktion Israels nicht, nach Flugrechten über Irak zu fragen. Macht das für Sie einen Sinn, wenn seine Äußerungen die Brisanz, die der Wortlaut hat, nicht haben soll, wie kommt dann Israel dazu diese konkrete Frage anzusprechen?
@outnumber: vielen Dank für den wichtigen Hinweis, gute Güte, daran erkennt man die ungeheure Bedeutung des Wörtchens "nicht". Jerusalem traute sich NICHT, in Washington anzufragen, muss es natürlich heissen. Danke!
Lieber Schlesinger,
ich hatte dieses kleine Wörtchen überlesen.
Nochmals danke für den Artikel.
Schliesse mich outnumber an, da ich bislang nicht viel (okay: so gut wie nichts) über Biden wußte. Aber solche Bemerkungen wie die des Obama-Vize sind natürlich nicht ganz ohne, denn man kann ja nicht erwarten, dass Gott und die Welt weiß, was es mit Mister Biden auf sich hat. Spricht ja auch nicht unbedingt für Obama wenn er so einen Mann auswählt...
Ein anderer Aspekt ist,Plappermaul oder nicht,
Vize-Präsidenten sind ganz oft auch ein "Testlauf", um zu schauen und vorzufühlen, wie so eine Aussage vom Präsidenten aufgenommen werden würde.
Im eher unerwünschten Fall kann die Aussage vom Präsidenten revidiert werden, falls der gewünschte Effekt eingetreten ist, kann der Präsident siegessicher auf die gleiche Kerbe hauen.
So ist das manchmal.
@tetenal: Dass die Wahl Bidens als Vize nicht ganz risikolos war, war dem Obama-Lager seinerzeit bewußt. Doch Biden ist durchaus ein Name im Kongress und hat sich in vielen Fällen auch als Mann mit Rückgrat gezeigt, der auch gegen den Strom schwimmen kann. So hat er zum Beispiel dagegen votiert, die iranischen Revolutionsgarden auf die amerikanische Liste terroristischer Gruppierungen setzen zu lassen. Obwohl er letztlich seine Zustimmung zum Irakkrieg gab, verlangte er zuvor wiederholt, dass alle dipolmatischen Mittel ausgeschöpft werden müssten. Auch das war in der damaligen amerikanischen Stimmungslage nicht en vogue. Kurzum: Obama wollte einen mit Kanten. Ich vermute, dass ihm klar war, dass er dafür zwischendurch auch einen Preis wird zahlen müssen. So wie gerade.
@outnumber: Sie beschreiben zutreffend eine gängige Methode im Politgeschäft (kann man auch in Unternehmen beobachten, nebenbei). Im aktuellen Fall sehe ich es allerdings nicht, da sich Obama schon zu lange auf seine Nahost-Linie festgelegt hat. Das beschriebene Test-Verfahren wird üblicherweise angewendet, solange man sich noch nicht sicher ist, welchen Kurs man steuern will. Dass Obama mit einigem Risiko versucht, einen diplomatischen Kurs gegenüber Iran zu fahren, kann man am deutlichsten an den geharnischten Reaktionen der Rechten ablesen: z.B. im wutschnaubenden Beitrag des populären konservativen Maganzins Commentary, der Obama deshalb als Israel-Feind abstempeln will:
"And yet there is no question that we have entered a new era, one that I expect will be characterized by tensions and unpleasantnesses of a kind unseen since the days when George H. W. Bush was president, James A. Baker III was secretary of state, and the hostility toward Israel oozed from both men like sweat from an intrepid colonial traveler’s brow as he journeyed across the Rub-al-Khali."
Danke für die guten kritischen Kommentare!