Frau Merkel reist nach Amerika

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Das Verhältnis von Bundeskanzlerin Merkel zu Präsident Obama ist ein gestörtes.

Zu Zeiten der beiden größten Gefährder der amerikanischen Demokratie, die den Namen Bush und Cheney tragen, liebesdienerte die Oppositionsführerin Merkel nach Kräften, um Washington die uneingeschränkte Solidarität des vermeintlich moralisch besseren Deutschland zu demonstrieren.

In der beharrlichen Verweigerung von Gerhard Schröder, sich von George W. Bush in den Irakkrieg ziehen zu lassen, sah Merkel den "schamlosesten Betrug am Wähler, den ich in meiner politischen Geschichte jemals erlebt habe".

Denn die christliche Partei, an deren Spitze Frau Merkel schon damals stand, wußte wie Bush ganz genau Bescheid über die Massenvernichtungswaffen des Saddam Hussein.

Im Antrag der CDU/CSU-Fraktion hieß es unmißverständlich:

"Auf diese Weise haben wir klar, fest und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass wir die Welt von der Gefahr der Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins befreien wollen. Gemeinsam müssen wir darauf bestehen, dass sein Regime entwaffnet wird."

Nein, Krieg wollte Frau Merkel bestimmt nicht. Zumindest versuchte sie ihr Bestes, sich so darzustellen. In Wahrheit wäre sie sofort mit in den Krieg gezogen, denn im Antrag hieß es klipp und klar:

"Das muss einschließen, dass die Bundesregierung ernste Konsequenzen, die die Völkergemeinschaft bei einem Zuwiderhandeln des Iraks ergreift, voll mitträgt."

Voll mitträgt. Korrekt. Den Krieg des George W. Bush hätte Frau Merkel in ihrer Loyalität voll mitgetragen, daran kann es gar keinen Zweifel geben. Es ist mühsam zu wiederholen, dass es für den Krieg gegen Afghanistan damals eine gesicherte völkerrechtliche Basis gab (die auch heute für die damalige Situation niemand ernstlich anzweifelt), wohingegen der Krieg gegen den Irak auf konstruierten "Beweisen" und abgeschmacktem politischem Druck der Bush-Administration fußte. Doch Merkel focht das nicht.

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Einer der wenigen US-Senatoren, die sich früh und nachhaltig gegen den Irakkrieg aussprachen, war Barack Obama.

Jener Obama, dessen im Wahlkampf ausgestrahltes Charisma auf die gleichermaßen trockene wie farblose Angela Merkel wirken mußte wie ein "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die häßlichste im Land?"

Zwar gilt Frau Merkel nicht als charismatische und ebensowenig als leidenschaftliche Politikerin, dafür aber werden ihr von vielen analytische Fähigkeiten und nüchterner Pragmatismus hoch angerechnet.

Doch beides läßt sie von Anbeginn gegenüber der Regierung Obama vermissen. Damit erweist sie Deutschland einen außenpolitischen Bärendienst. An freundlichen Worten lässt sie es nie fehlen, doch die Substanz läßt zu wünschen übrig.

Längst könnte Berlin die Gunst der Stunde nutzen und sich nachdrücklich für die politischen Ziele Washingtons einsetzen, die mit den deutschen Interessen weitgehend deckungsgleich sind: Klimapolitik, Verhandlungen mit dem Iran, Kooperation und Abrüstungsverhandlungen mit Rußland, Definition einer Exit-Strategie für Afghanistan, um nur einige zu nennen.

Statt dessen verfährt Frau Merkel wie üblich: Jegliches Risiko ist zu meiden, und nur im Fall eines im voraus gesicherten Erfolges erfolgt eine klare Positionierung.

Hörte man von Frau Merkel Kritik an der Klimapolitik Bushs? Hörte man von ihr Kritik an Guantanamo? Hörte man Kritik am Irakkrieg? Nein, aber umso leichter scheint ihr Kritik an Obama zu fallen, der zwar diese und weitere von Bush forcierten oder erzeugten Probleme lösen will, aber - wie hätte es anders sein können - vorhandene Widerstände, juristische Probleme sowie widerstreitende Interessen überwinden und bewältigen muss.

Dass es Deutschland nicht fertig bringt, einige wenige Inhaftierte aus Guantanamo zu übernehmen - nachdem Frank-Walter Steinmeier selbst eine unrühmliche Rolle im Fall Kurnaz spielte - kann nur als Trauerstück bezeichnet werden.

Dass Bundeskanzlerin Merkel Anfang November vor beiden Kammern des Kongress sprechen wird - was zuvor nur Konrad Adenauer gewährt wurde -, kann nur als verzweifelter Versuch Washingtons verstanden werden, den lustlosen Partner doch irgendwie enger an sich zu binden.

Doch ihre Rede in Washington wird nichts sein.

Merkel ist auch hier ganz die Tochter Kohls. Dem Dicken war es unerträglich, nicht als der Fürst wahrgenommen zu werden, für den er sich hielt. Die Bundeskanzlerin spürt, dass Obama zurzeit auf Normalmaß zurück gestutzt wird. Daran delektiert sich die Deutsche insgeheim. Sollte das fürs erste so bleiben, würde sich Merkel wieder wie zu Zeiten Bushs als die große europäische Dame fühlen dürfen, die sie allerdings nie war und nie sein wird.

Da sie nun in der Not Washingtons so hofiert wird, wird sie sich im Zuge ihres großen Auftritts gönnerhafter denn je zeigen. Obama wird es registrieren.

Hier wünscht man sich einen Genscher zurück.

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(Photo: Wikipedia CC Lizenz)

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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