Freiheitskämpfer (?) Yitzhak Shamir tot

Rückblende Die Nachrufe zum ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Shamir blenden seine dunklen Seiten aus.

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Yitzhak Shamir, zweimaliger Ministerpräsident Israels*, Ex-Terrorist und derjenige, der 1940 offenbar mit Nazi-Deutschland gegen die Briten kollaborieren wollte, starb in Herzliya, dem Nobelvorort von Tel Aviv.

Vor der Staatsgründung Israels in 1948 gehörte der aus Polen eingewanderte Shamir dem militanten jüdischen Untergrund Irgun ** an.

Die Irgun kämpfte vor allem gegen Großbritannien, das nach dem Ersten Weltkrieg vom Völkerbund mit der Verwaltung Palästinas beauftragt wurde.

1940 spaltete sich von der Irgun die radikalere Fraktion “Lechi” ab, auch “Stern-Gruppe” genannt nach ihrem Gründer Abraham Stern. Yitzhak Shamir schloß sich der Stern-Gang an.

Die Stern-Gruppe terrorisierte hauptsächlich die britische Mandatsmacht. Terror war es freilich nur in den Augen der Engländer, für Shamir und seine Mitkämpfer war es ein legitimer Freiheitskampf. Die Briten suchten Shamir mit Fahndungsplakaten:


Kollaboration mit Nazi-Deutschland scheiterte

Die Stern-Gruppe war von ihrem Kampf gegen die Engländer so besessen, dass Abraham Stern gegen Ende des Jahres 1940 Nazi-Deutschland das Angebot machte zusammen gegen die Briten zu kämpfen. Die Deutschen sollten die Judenfrage dadurch lösen, daß sie einer unbegrenzten Auswanderung der europäischen Juden nach Palästina zustimmten, während die Stern-Gruppe mit ihren Sympathisanten Spionagedienste für Deutschland erbringen und militante Aktionen gegen die Briten vornehmen würde. Die Deutschen gaben keine Antwort. Sie hatten sich längst festgelegt hinsichtlich ihrer Angebote an die Araber und hinsichtlich ihrer kriminellen Maßnahmen gegenüber den Juden.

Shamir wurde 1941 von den Briten festgenommen. Kurz nachdem Abraham Stern 1942 von den Engländern gestellt und getötet wurde, gelang Shamir die Flucht aus dem Gefängnis. Er reorganisierte die Stern-Gang und wurde 1943 einer ihrer drei Führer.

Zu dieser Zeit wußte man Bescheid über die Greuel der deutschen Judenverfolgung. Beide Eltern Shamirs und zwei seiner Schwestern wurden im Krieg ermordet. Sein Vater gehörte möglicherweise einem “Judenrat” an, und wurde in seiner Heimatstadt von Polen ermordet. Daher entwickelte Shamir eine besonders große Abneigung gegen die Polen. Sie hätten seiner Meinung nach den Antisemitismus “mit der Muttermilch aufgesogen”.

In Shamirs Stern-Gang wurde daneben eine merkwürdige These entwickelt: Die Engländer als die Besatzer Palästinas – der alten und erklärten neuen Heimat der Juden – hätten sich mit ihrer Besatzung zum Richter über die Juden aufgespielt. Die Deutschen seien nun die Vollstrecker, seien die Henker der Engländer geworden. Es würde aber noch weitere, viele Hitlers geben, die den Vollstrecker spielen würden. Umso mehr müsse man der Wurzel des Übels begegnen, und das seien nunmal die Engländer in Palästina.*** Das war ein weiteres Motiv, den militanten Kampf gegen die Briten zu verschärfen.

Politischer Mord und Massaker

1944 ermordete die Lehi den britischen Konsul Lord Moyne in Kairo, nachdem mehrere Versuche gescheitert waren, den Hochkommissar McMillan zu töten.

Als die rivalisierende Irgun 1946 den berüchtigten Bombenanschlag auf das König-David-Hotel in Jerusalem verübte, führten die Briten eine groß angelegte Razzia in Jerusalem durch. Shamir hatte sich als Rabbi verkleidet, wurde aber bei einer Gegnüberstellung von einem britischen Polizei-Sergeanten erkannt, festgenommen und ins Exil nach Eritrea verbracht. Kurz darauf töteten Lehi-Angehörige den britischen Polizisten beim Tennisspielen. Shamir meinte später, er habe keine Anweisung dazu gegeben, hätte den Plan aber gebilligt.

Shamir gelang die Flucht auch aus dem Exil. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung Israels war er zurück.

Während des sogenannten Unabhängigkeitskriegs 1948/49 gab der Lehi grünes Licht für die Ermordung des UN Unterhändlers Graf Folke Bernadotte. Der UN Vermittler hatte den Vereinten Nationen einen neuen Vorschlag zur Teilung Palästinas unterbreitet, der aus Sicht vieler Zionisten nicht akzeptabel war.

Nicht nur der Kampf gegen die Engländer war brutaler geworden, sondern auch der gegen die Palästinenser.

Am 9. April 1948 – vor Beginn der regulären Kampfhandlungen zwischen Israel und den arabischen Nachbarn – stürmten Kräfte von Irgun und Lehi (Stern-Gruppe) die Ortschaft Deir Yassin:****

Irgun and Stern Gang, the Jewish forces, stormed into the village of Deir Yassin [...], they sprayed the houses with machine gun fire, killing many of the inhabitents.

The remaning villagers were then gathered in one place and [~100] murdered in cold blood, their bodies abused while a number of the woman were raped and then killed.

Fahim Zaydan was 12 at the time [...], recalled

“They took us out one after the other; shot an old man and when one of his daughters cried, she was shot too. Then they called my brother Muhammad, and shot him infront of us, and when my mother yelled, bending over him- carrying my little sister Hudra in her hands, still breastfeeding her- they shot her too.”

Zaydan himself was shot, too, while standing in a row of children the Jewish soldiers had lined up against a wall, which they had then sprayed with bullets “just for the fun of it” [...].

Die Jahre im Untergrund waren für Shamir jedenfalls die beste Zeit seines Lebens.

Die Araber verstehen nur die Sprache der Gewalt

Die Araber sah Shamir als den ewigen Feind, und als gleichförmig in ihrer Haltung:

The Arabs are the same Arabs and the sea is the same sea.

In seiner Amtszeit als Ministerpräsident hielt Shamir daher wenig von Zugeständnissen an die Palästinenser.

Er vertraute nur auf die eigene nationale Stärke. Ja, er sei für Frieden eingetreten, aber der komme nur auf eine Art zustande: Stärke.

Wer im Wettstreit zuerst ermüde (“blinzele”), der habe verloren, und dem könne man den Frieden diktieren:

The truth is that, in the final analysis, the search for peace has always been a matter of who would tire of the struggle first, and blink

Das war nichts Neues in der Haltung israelischer Ministerpräsidenten. Das war exakt die frühe zionistische Ideologie des auf Stärke bedachten Führers der sogenannten Revisionisten, Vladimir Jabotinsky.

Sie entspricht im Übrigen genau der Haltung des amtierenden Ministerpräsidenten Netanjahu, eines erklärten Anhängers von Jabotinsky.

Netanjahu meinte in seinem Nachruf überschwänglich, Shamir gehöre

zu der Generation von Giganten, die den Staat Israel gegründet hat.

Den Satz Shamirs, die Araber blieben immer dieselben Araber wie die See immer dieselbe See bliebe, wertete Netanjahu in seinem Nachruf als “fundamentale Wahrheit“.

Israels Präsident Shimon Peres meinte:

Yitzhak Shamir war ein mutiger Krieger, vor und nach der Gründung des Staates Israel.

Er blieb seinen Überzeugungen treu, war ein großer Patriot und wahrer Freund Israels, der seinem Land mit unablässiger Integrität und Engagement diente.

Einmal mehr zeigt sich, wie verklärend Nachrufe sind. Denn es war Ministerpräsident Yizhak Shamir, der 1987, ein halbes jahr vor Ausbruch der Ersten Intifada, die weit gediehene Friedensinitiative seines damaligen Außenministers Shimon Peres mit den Jordaniern abschmetterte.

Bild: Public Domain (Wikimedia)

* MP von 1983-84, 1986-92

** IZL / “Irgun Zevai Leumi” / “The National Military Organization in the Land of Israel”

*** Vgl. Joseph L. Heller, The Stern Gang, Ideology, Politics and Terror, S. 108

**** Zit. aus Ilan Pappé, Ethnic Cleansing of Palestine, S. 90; Die Ortschaft Deir Yassin hatte einige Monate zuvor mit der jüdischen Nachbargemeinde Givat Shaul und deren militärischem Kommandeur einen Friedenspakt geschlossen und außerdem irregulären arabischen Einheiten die Kooperation verweigert. Dafür töteten arabische Freischärler alle Schafe der Gemeinde und einen Bewohner. Der Ortsvorsteher von Deir Yassin wurde nach Jerusalem zitiert und aufgefordert mit den arabischen Einheiten zu kooperieren, was er ablehnte, weil sich seine Gemeinde in Frieden mit den jüdischen Nachbarn befinde. Das konnte das Massaker nicht verhindern.

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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