Oder: wie ist man für eine Sache und fügt ihr großen Schaden zu?
Bei der gestrigen Pro-Gaza Demonstration auf dem Münchner Marienplatz haben die Veranstalter und Teilnehmer so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte.
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Aus Sicht der vielleicht 400 Teilnehmer mag die Veranstaltung ein Erfolg gewesen sein.
Schließlich hatte man sich lautstark geäußert, hatte den Rednern heftig zugestimmt und viele türkische, palästinensiche und Hammer-und-Sichel-Fahnen geschwenkt. Auch die 5 oder 10 jüdischen Bürger, von denen einer eine große israelische Flagge und einer ein kleines Fähnchen geschwenkt hatten, hatte man gründlich angeschrieen, ausgebuht und nieder gepfiffen.
Sollte aber irgend jemand annehmen, diese Demonstration hat der Sache des "Free Gaza Movement", oder den Palästinensern in Gaza oder der Westbank etwas Gutes gebracht, unterliegt einem monströsen Irrtum.
Ohne Partei zu ergreifen, können die Fehler der Veranstaltung neutral benannt werden (in der Reihenfolge der Schwere des Fehlers):
- Allahu akhbar!
Wer meint, in der bayerischen Landeshauptstadt Punkte sammeln zu können, indem Chöre von Allahu akhbar - Gott ist groß - angestimmt werden, könnte falscher nicht liegen. Hierzulande, man mag das bedauern, wird dieser Ruf überwiegend assoziiert mit Schlachtrufen irgendwelcher Gotteskrieger. Selbst wenn nicht: Es werden sich wenige finden lassen, die den muslimischen Gebetsaufruf auf öffentlichen Plätzen gerne hören werden, schon gar im Kontext brisanter politischer Vorgänge. - Aggressives Auftreten
Das trifft nicht auf alle Teilnehmer zu, aber auf einen Teil. Ich musste an die Demonstration der Exil-Iraner denken, die gegen die von Ahmadinejad manipulierten Wahlergebnisse demonstriert hatten. Das war ein ruhiger, gesitteter Zug von etwa dreihundert Leuten. Das Durchschnittsalter lag bei geschätzten 40 Jahren. Die Teilnehmer artikulierten sich klar und besonnen. Gestern traf das Gegenteil zu: Vorneweg zogen jugendliche Einpeitscher von 15 bis 20 Jahren, die offenbar ihren Spaß daran hatten, unter dem Deckmantel politischer Aktivität ihren Anwandlungen freien Lauf lassen zu können. Auf den Gesichtern der umstehenden Passanten war unschwer abzulesen, wie dieses Auftreten ankam.
Während zu Beginn der Veranstaltung nur herkömmliche Landespolizei als Begleitung vor Ort war, schien man sich angesichts dieser Beobachtungen Sorgen gemacht zu haben. Eine halbe Stunde später kam eine Einsatzgruppe Polizei (schwarze Uniform) mit schwerer Montur (Helm, Schutzwesten, Schlagstock etc.) im Laufschritt, um sich schützend zu dem längst abseits stehenden Häuflein pro-Israel-Demonstranten zu stellen. Ein Ehepaar mittleren Alters, das an mir vorbei ging, merkte dazu an "Schau mal, jetzt müssen's die Israelis hier schon so beschützen!". Das Ehepaar dürfte nicht alleine gewesen sein bei diesem Gedankengang. Damit hat die Demonstration auch dem Ansehen Deutschlands geschadet. Nur gut, dass keine Kameras in der Nähe waren... - Kommunistenflaggen
"Breite Bündnisse", wie man es bisweilen nennt, sind vielleicht schmeichelhaft für den Veranstalter, weil dadurch ein paar Menschen mehr zusammenkommen. Ob man allerdings Sympathisanten für Gaza dadurch gewinnt, dass Hammer-und-Sichel-Flaggen in Bayern geschwenkt werden, darf mehr als bezweifelt werden. Manch Interessierter wird sich fragen: Muss ich nun auch pro-kommunistisch sein, wenn ich die Palästinenser unterstützen will? Kurzum: Die Chance, mit der Kommunistenflagge zusätzliche Unterstützer für die Sache Palästinas zu gewinnen, liegt bei großzügig geschätzten 5 Prozent. Die Chance, Leute damit zu irritieren oder abzuschrecken, beläuft sich wohl nicht auf 95%, aber auf einen nennenswert großen Anteil. Demnach ist das eine sehr, sehr schlechte Kalkulation. - Alte Parolen
Wer die pro-palästinensische Demonstration gegen den Gaza-Krieg um die Jahreswende 2008/09 auf dem Odeonsplatz gesehen hat, wird feststellen, dass damals dieselben Parolen verwendet wurden. Beispiel:
"Kindermörder - Israel" im Kontext der Gaza-Hilfsflotte anzustimmen, wird die umstehenden Zuhörer, die nicht zur Demonstration gehörten, eher irritiert haben. Welche Kinder sind beim Überfall auf die Flotille ums Leben gekommen? - Mangelnde technische Ausstattung
die Mikrofone und Lautsprecher waren so gewählt, dass man in 50 Meter Entfernung nichts mehr von den Reden verstehen konnte. Nur wer direkt im Pulk vor dem provisorischen Podium stand, konnte den Reden folgen. - Mangelnde Deutschkenntnisse
Man sollte niemanden eine Rede halten lassen, der sich durch seinen Vortrag mit bisweilen schwer verständlichem Kauderwelsch durchkämpfen muss - Geringe Beteiligung
Im Großraum München gibt es Zehntausende Muslime jeglicher Provenienz. Wie kommt es, dass angesichts der Schwere des aktuellen Vorgangs nur wenige Hundert Leute aktiviert werden können? Liegt es an unzulänglicher Vernetzung, oder liegt es daran, dass sich die potentiell Interessierten von Aktionen fern halten wollen, die von diesen Organisatoren initiiert werden? So, wie ein Konzertveranstalter gut beraten ist, ein Konzert wegen zu geringer Nachfrage abzusagen, sollte man auch keine Demonstration durchführen, bei der man im Vorfeld erkennen kann, dass zu wenige kommen. Hat man sich um diese Frage gar nicht gekümmert, wäre das ein weiterer organisatorischer Fehler. Denn: Wenig Anteilnahme wurde schon immer gleichgesetzt mit geringer Bedeutung.
Infolge all dessen blieben die Demonstranten so gut wie vollständig unter sich, und das, obwohl die israelische Palästinenser-Politik in der deutschen Öffentlichkeit kritischer denn je gesehen wird.
Auf dem Marienplatz haben sich vielleicht zwei oder drei Dutzend Passanten scheu dem Kreis der Zuschauer genähert. Der Rest der Passanten blieb teils gelangweilt, teils belustigt, teils mit ungehaltenem Ausdruck der Sache fern.
Aus der Perspektive "Öffentlichkeitsarbeit" war diese Demonstration pro Gaza eine Demonstration der Unfähigkeit und damit der palästinensischen Sache sehr schädlich.
Es bleibt zu hoffen, dass diejenigen, die in der deutschen Öffentlichkeit für die grundsätzlich berechtigte Sache der Palästinenser werben wollen, aus solchen groben Fehlern lernen.
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Photo: Schlesinger
Kommentare 3
demonstrationsconsulting: ein krisenfester job?
Ich kann da nichts unverstaendliches entdecken. Ich finde auch die Funksprueche richtig. Fighting language. Dass die Araber den Holocaust nicht verschuldet haben, ist eine Trivialitaet. Israel verteidigt seine Freiheit, im Mittelmehr nach Willkur ueber Gaza zu bestimmen. Das ist mit dem Grundsatz der Freiheit der Meere nicht vereinbar. Rechtfertigungsgruende gibt es nicht. Israel befindet sich gegenwaertig weder mit Gaza, noch mit dem Iran im Krieg. Eine nach Kriegsrecht wirksame Blockade kommt also von vorneherein nicht in Betracht. Kontrollen auf See koennten sie auch machen, wenn sie das Einsickern von Raketen nach Gaza verhindern wollen. Die Blockade ist also auch als Akt der Selbstverteidigung unverhaeltnismaessig. Ganz abgesehen von der Legalitaet von Kontroillen auf hoher See. Sollen sich die Israelis doch einen Sicherheitsratsbeschluss besorgen, wie im Fall der Sanktionen gegen den Iran.
Die hier beschriebenen Araber haben sich offen artikuliert. Ob diese Araber fuer die in Muenchen lebenden Arabewr repraesentativ waren oder nicht, ist voellig egal, genauso wie die Frage, ob nennenswerte Teile der deutschen Bevoelkerung erreicht wurden. Irgendeinen Schaden fuer die palestinensiche Sache habe ich nicht entdeckt. Denn wichtig waeren Public Relations etc nur, wenn das Thema eines waere, ueber das man vernuenftig mit Abwaegung von Pro und Contra diskutieren koennnte. Die Israelische Politik ist aber einfach gescheitert, woran die gewaltlose Eroberung der Rachel Corrie nichts aendert. Der Kaiser ist nackt.