Interview MdB Dr. Axel Berg, SPD, München (Teil I)

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Das Superwahljahr 2009 stellt sich als Super-Schlafjahr dar.

Geradezu surreal mutet die Diskrepanz an, die sich zwischen den aktuellen, drängenden Themen einerseits und den müden Wahlkampf-Angeboten andererseits auftut.

Mögen die Parteien im großen und ganzen ein enttäuschendes Bild abliefern, so scheint es ihn doch noch zu geben: Den engagierten, bürgernahen, gradlinigen und in der Sache verständigen Politiker.

Auf den Münchner SPD-Abgeordneten Dr. Axel Berg stieß ich eher durch Zufall. Auf Foren wie Abgeordnetenwatch und anderen finden sich Beiträge von Herrn Berg, die aufgrund ihrer Faktenfülle und einer phrasenfreien, sachlichen und auch selbstkritischen Argumentation den Schluß zulassen, dass hier ein Politiker Demokratie lebt, indem er den ernsten Diskurs mit den Bürgern sucht (Bsp. 1,2,3).

Aufgrund dessen entstand folgendes Interview, für das sich MdB Berg dankenswerter Weise Zeit genommen hat:

1. Weltwirtschaftskrise, globale Erwärmung und angesichts der hiesigen Einkommensunterschiede eine sozial gereizte Stimmung im Land. Bei dieser Mischung würde man einen außerordentlich scharfen Richtungswahlkampf erwarten. Doch davon ist nichts zu spüren. Will, kann die SPD in der kurzen verbleibenden Zeit noch Akzente setzen, die diesen schwerwiegenden Themen gerecht werden?

Da muss ich Ihnen Recht geben – es mangelt momentan sicher nicht an gesellschaftlichen Problemen, um im Wahlkampf richtungsweisende Akzente zu setzen. Für einen Richtungswahlkampf braucht es aber auch eine klare Richtung, und die fehlt derzeit leider noch in der SPD. Obwohl die sozialdemokratische Idee von gesellschaftlichem Fortschritt und sozialer Teilhabe nie so aktuell war wie heute, mangelt es meiner Partei aktuell an geeigneten Leitbildern und nachvollziehbaren Visionen – kurz: an Profil.

http://www.axel-berg.de/images/Axel%20Standard-Foto(1).jpgNur gegen Schwarz-Gelb zu sein recht eben nicht, man muss seine Position auch mit überzeugenden Inhalten füllen. Und gerade hier böte die aktuelle Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise doch die beste Ausgangsposition für einen inhaltlich überzeugenden Richtungswahlkampf: Seit Jahren setze ich mich mit einer ganzen Reihe sozialdemokratischer Kollegen dafür ein, die marktradikalen Kräfe in der Finanzwirtschaft zu begrenzen und die Haftung und Verantwortung im Top-Management auszuweiten – warum stellen wir diese Forderungen nicht stärker in den Mittelpunkt unseres Wahlkampfs?

Die Krise böte auch endlich konkreten Anlass zu einer inhaltlichen Neudefinition von Sozialer Marktwirtschaft, und eine solche halte nicht nur ich sondern eine ganze Reihe von Wirtschaftsexperten für dringend erforderlich.

In dem Zusammenhang hätte ich gleich mehrere Chancen gesehen, die Sozialdemokratie glaubwürdig und nachvollziehbar neu zu positionieren: Im Gegensatz zur marktliberalen Egoismus-Ideologie glauben wir eben nicht daran, dass das ‚freie Spiel der Kräfte‘ von selbst ein gerechtes Verteilungsergebnis in unserer Gesellschaft herbeiführt – geschweige denn, dass ein freies Spiel, das heißt Chancengleichheit, überhaupt jemals existiert hätte. Gleichzeitig stehen wir aber auch für das Prinzip der Selbstverantwortung und wollen den Staat deswegen eben nicht zu einem allmächtigen und allgewaltigen Verteilungsapparat ausbauen. Sozial heißt für uns nicht Gleichheit um jeden Preis. Soziale Gerechtigkeit hat eben sehr wohl auch etwas mit Leistungsgerechtigkeit und Freiheit zu tun. Darum wollen wir die Menschen in den Stand setzen, sich persönlich und wirtschaftlich selbst zu verwirklichen und dadurch am gesellschaftlichen Fortschritt mitzuwirken und teilzuhaben. Um diesen Gedanken umzusetzen braucht es jedoch nicht nur einen innerparteilichen sondern einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs, in dem auch essenzielle Themen wie Bildung und Arbeit nicht ausgespart werden.

2. Jakob Augstein schrieb kürzlich: „Die FDP gewinnt, weil sich die Vermögenden, die bei einer echten Wirtschaftsreform etwas zu verlieren hätten, um Westerwelle scharen“ und „die LINKEN gewinnen, weil immer mehr Menschen vom bestehenden System zu Verlierern gemacht werden“. Was hindert die SPD daran, sich angesichts der großen Chance, die ein unübersehbarer Linksruck im Wahlvolk mit sich bringt, neu zu sortieren und mit scharfem sozialem Profil gegen CDU und FDP aufzustellen?

Meiner Meinung nach gibt es keinen objektiven Hinderungsgrund!

Wer soziale Teilhabe auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene einfordert findet in der Sozialdemokratie immer noch das größte Potential.

Etwas wichtiges ist uns Sozialdemokraten jedoch über die Jahre und Jahrzehnte abhanden gekommen: die grundsätzlich kämpferische und innovative Einstellung im Hinblick auf die Durchsetzung unserer sozialen Ziele.

http://www.axel-berg.de/images/Plakat%20Sinneswandel.jpgHinsichtlich der kämpferischen Haltung hat uns die Linke sozusagen „rechts überholt“ und damit vor allem für diejenigen, die sich selbst als Verlierer sehen, eine politische Lücke gefüllt. Am Begriff des „Verlierers“ kann man aber auch sofort die entscheidenen inhaltlichen Unterschiede zwischen SPD und der Linken festmachen: Die Linke braucht und baut auf „Verlierer“, um ihr politisches Programm zu legitimieren – die Sozialdemokratie verzichtet bewusst auf eine solche Polemik. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten sieht sie in jedem Menschen das Potential, seine Begabungen und Chancen aktiv und eigenveranwortlich zu verwirklichen. Dieses Potential wollen wir Sozialdemokraten auf möglichst effiziente und innovative Art und Weise fördern, und nicht durch eine schädliche und unrealistische Versorgungsmentalität die Menschen zur Hilflosigkeit erziehen. Wir alle brauchen Freiheit und Eigenverantwortung, um uns weiter entwickeln zu können. Es geht daher nicht an, willkürlich einige Menschen als Verlierer abzustempeln – hier geht es der Linken mehr um den Ausbau eines möglichst unmündigen Wahlklientels als um eine verantwortungsvolle Politik am Bürger!

Mein Fazit lautet daher: Die SPD muss ihr „S“ zeitgemäß neu-interpretieren und es dann aktiver gegenüber den Vertretern des übrigen politischen Spektrums vertreten.

3. Zur Agenda 2010, die laut Heribert Prantl von der Süddeutschen der SPD vielleicht das Herz, wenn nicht das Rückgrat gebrochen hat, zwingt sich die Partei mit ihrer schrumpfenden Mitgliederzahl weiter unter eiserne Parteidisziplin und ihre mürrische SPD-Wählerschaft zur Gefolgschaft. Wie lange kann die SPD diesen selbstmörderischen Kurs fortsetzen?

Dass damals gerade eine SPD-geführte Regierung derart harte Einschnitte in das deutsche Sozialsystem initiiert hat, war für viele Mitglieder der sozialdemokratischen Partei und der ihr traditionell nahestehenden Gewerkschaften nur sehr schwer nachvollziehbar.

Trotz der inhaltlich nicht immer unberechtigten Kritik dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass die Agenda damals parteiübergreifend als notwendig erachtet, von den Oppositionsparteien weitestgehend unterstützt und von CDU/CSU aktiv mitgestaltet wurde. In ihrer Regierungserklärung äußerte Frau Merkel zu Beginn Ihrer Kanzlerschaft: „Ich möchte Kanzler Schröder ganz persönlich danken, dass er mit der Agenda 2010 mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen.“

Obwohl sich also alle Parteien hinsichtlich der generellen Notwendigkeit der in der Agenda 2010 angegangenen sozial- und speziell arbeitsmarktpolitischen Reformen einig waren, bedeutet das noch nicht, dass wir diese Reformen heute und in Zukunft auch in derselben Art und Weise weiterführen sollten.

Insbesondere die mit dem Namen Hartz verbundenen Arbeitsmarktreformen sind meiner Ansicht nach Ursache für zu viele gesamtgesellschaftlich negative Auswirkungen, um sie in dieser Form weiter aufrecht zu halten – sei es die generelle Verstärkung der Existenzangst in breiten Schichten, die finanzielle Benachteiligung von Familien und Partnerschaften, die bereits bei Kindern bestehende Gefahr der Verarmung, die unwürdige Missbrauchsdebatte oder der allgemeine Zwangscharakter, um nur einige zu nennen.

Anhand der durch die Reform eskalierten Probleme in der Arbeitsmarktpolitik lässt sich besonders gut aufzeigen, in welche Richtung unsere weiteren Bemühungen um eine nachhaltige sozialdemokratische Neudefinition gehen sollten: In einer zunehmend globalisierten und durch fortlaufende Innovationen beschleunigten Welt wird eine verwaltete, unselbständige Form der Arbeit im klassischen Normalarbeitsverhältnis immer weniger zielführend sein.

Nicht nur unsere wirtschaftliche sondern auch unsere kulturelle und soziale Existenz wird davon abhängen, dass wir in Zukunft Arbeit sowohl flexibel als auch sozial ausgestalten können. Nur motivierte und selbständige Arbeit wird die Kreativität und letztlich Innovation schaffen, die wir brauchen, um als High-Tech- und Kulturnation im globalen Wettbewerb überlebensfähig zu bleiben. Aber nur eine ausreichende Sicherheit für alle Bürger garantiert, dass jeder Einzelne mutig voranschreiten und Neues verwirklichen kann. Uns steht also keine geringere Aufgabe bevor als den Ausgleich, ja den Spagat zwischen sozialen und wirtschaftlichen Interessen zu erreichen. Für diese überaus schwierige Aufgabe ist allein die SPD hinreichend gewappnet – es ist zugleich ihre und unsere Chance aus der aktuellen Krise.

4. Die SPD erklärt unbeirrt, auf Bundesebene sei eine Koalition mit der LINKEN nicht möglich. Nur mit viel Rhetorik lässt sich verwischen, dass in den soeben stattgefundenen Landtagswahlen letztlich nur die LINKEN eindeutige Gewinner waren. Philipp Grassmann schreibt im Freitag, die SPD würde „im Schlafwagen“ ins Abseits fahren, weil sie sich von vornherein der reellen Chance beraube, Deutschland mit einer rot-rot-grünen Koalition zu regieren. Verschenkt die SPD vorsätzlich die Chance einer linken Mehrheitsbildung zugunsten einer schwachen Juniorpartnerschaft in einer weiteren Großen Koalition?

Demokratie lebt von der Chance auf einen Wechsel, auf eine Alternative, die für das Volk – demos – mit den unblutigen Mitteln der Wahl als Herrschafts- und Legitimationsinstrument – kratein – erreichbar sein muss.

Eine große Koalition wie wir sie im Moment haben, birgt immer die Gefahr des Verrats am Kerngedanken der Demokratie: der Wahlfreiheit!

Wenn der Bürger – egal welche Partei er wählt – letztlich immer bei einer großen Koalition landet, wird seine Stimme entwertet, er wird der Alternativen und damit seiner ihm zustehenden Herrschaftsmacht beraubt. Die vorderste Aufgabe einer Partei ist daher nicht, ihre persönlichen Interessen durch eine möglichst breite und lange Partizipation in allen erdenklichen Regierungssituationen sicherzustellen. Die wichtigste Aufgabe einer demokratischen Partei liegt vielmehr in der Erarbeitung einer für das ja eigentlich zur Regierung bestimmte Volk nachvollziehbaren und praktisch umsetzbaren Alternative, einer alternativen Zukunft. Nur wer eine solche glaubwürdig und konsistent präsentieren kann, hat als Partei die Stimmen der Bürger verdient.

In den letzten Jahrzehnten habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen, dass diese Aufgabe bei allen Parteien zunehmend vernachlässigt worden ist, ja dass man sich diese mühevolle Arbeit lieber spart und nur noch auf das doch so viel angenehmere Regieren selbst konzentriert. Damit haben sich Mittel und Zweck immer mehr verkehrt: War es früher noch Selbst-Zweck, eine fundierte politische Meinung zu haben, richtet man diese heute als Partei und Politiker besser opportun nach den bestehenden Machtverhältnissen aus, um seinen „individuellen Nutzen“ zu maximieren.

http://www.axel-berg.de/images/Plakat%20Spezlwirtschaft.jpgIch gehöre leider nicht zu diesen Nutzen-Maximierern und habe es daher nie gelernt, mich immer richtig zu verkaufen. Was ich aber sehr wohl über die Jahre meiner politischen Erfahrung gelernt habe ist, dass man am Ende, wenn es um die Sache geht, mit barer Münze bezahlen muss. Auf die Koalitionsbildung gewendet bedeutet das: Sowohl auf Parteien- wie auch auf individualpolitischer Ebene gibt es eine mehr oder minder große Anzahl an „Opportunisten“, für die Regierungsbeteiligung wichtiger ist als jeder politische Inhalt. Regierungsfähigkeit hat aber nur begrenzt etwas mit Zahlenverhältnissen im Parlament zu tun. Wer keine politische Überzeugung hat, kann diese auch nicht umsetzen. Umgekehrt kann man eine völlig unrealistische und weltfremde Überzeugung niemals realisieren. Wenn die Linken inhaltlich „bezahlen“ können, also ein realistisches und zukunftsfähiges politisches Angebot unterbreiten, höre ich genauso aufmerksam zu wie bei einem Vorschlag eines Parteikollegen. Im Moment scheint die Linke jedoch auch nur ihren Nutzen zu maximieren und von der unterbliebenen inhaltlichen Arbeit der beiden großen Volksparteien zu profitieren.

Bis zu einem gewissen Grad kann ich das auch nachvollziehen: Der urdemokratische und völlig legitime Wille der Bürger nach „etwas Anderem“, nach einer Alternative, ist so stark, dass sie sogar die offensichtlich unrealistischen Vorschläge der Linken begrüßen, so sie doch wenigstens aus dem Rahmen des mittlerweile schon fast abgestimmten Verhaltens der beiden aktuellen Koalitionspartner fallen. Eine realistische politische Alternative sind die Linken deswegen nicht, aber sie zeigen uns Sozialdemokraten unsere Fehler und Unterlassungen deutlich auf! Ein Fingerzeig, den wir besser früher als später ernst nehmen sollten!

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[ Teil II hier ]

(Photo: Dr. Axel Berg)

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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