Israel: Von Champions League, Kunst-Attacken und kleineren Wirrungen

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Das Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Inter Mailand, um das vorwegzunehmen, ist hier in Israel eine große Sache.

http://farm5.static.flickr.com/4067/4629914236_7094da7778_o.jpgIm Fernsehen wird das Ereignis wie bei uns mit großem zeitlichen Vorlauf aufbereitet. Man hört Louis van Gaal im deutschen Interview, unterlegt mit hebräisch, und bekommt zum zehnten mal die letzten Klasse-Tore von Robben und Olic präsentiert, alles untermalt mit abwechselnd pompöser und rockiger Musik.

Gerade berichtet ein Reporter aus dem Umkleideraum und erklärt anhand von Großaufnahmen der Trikots das deutsche Team. Ist irgendwie schön, im israelischen Fernsehen mit bedeutungsschwangerer Geste Namen deutscher Fußballer wie Schweinsteiger oder Müller zu hören. Ist wohl nicht ganz neu, aber das zum ersten mal vor Ort zu sehen, ist schon beeindruckend.

Einen Steinwurf entfernt am Strand von Tel Aviv ist vom Sponsor Heineken ein größeres Areal fürs public viewing eingerichtet. Während solche Anlässe bei uns durch ein paar Mann Security betreut werden, sind es hier geschätzte 20 Mann Polizei plus eine größere Zahl Security einer Privatfirma. Eigentlich wollte ich jetzt dort sein, aber seit drei Stunden frischt es auf und es geht ein sehr strammer Wind vom Meer her.

Wie bei uns gibt es auch im israelischen Fernsehen reichlich Werbeunterbrechung. Aber die israelischen Spots sind wesentlich unterhaltsamer und witziger als die deutschen - vielleicht vergleichbar mit den britischen. Obwohl ich kein Ivrith kann habe ich mich gerade schlapp gelacht bei einem Werbespot eines Telekom-Anbieters, der offenbar keinerlei Respekt vor Religion hat: Mafia-ähnliche Rapper-Typen wollen von einem wie üblich in schwarz und mit Hut gekleideten Orthodoxen wissen, warum er den falschen Anbieter hat. Der gibt sich störrisch. Die beiden Muskelmänner lassen den Rabbi schließlich kopfüber vom Balkon hängen und setzen ihm weiter zu. Der gibt reumütig zu, den falschen Anbieter gewählt zu haben. Der eine Gauner raunt dem anderen gut gelaunt etwas in derArt wie "Geht doch" zu, und beide lassen den Armen nach unten sausen.... Ach, so einen Spot würde ich mir bei uns wünschen mit Erzbischof Mixa oder Papst Benedikt.

Ein arabischer Angriff - nur künstlich

Die alte Hafenanlage in Jaffa ist nicht nur alt, sondern auch herunter gekommen. Dass man aus einer mehr oder weniger schäbigen Umgebung witzige "locations" machen kann, weiß man nicht nur in London, Berlin und München, sondern längst auch in Tel Aviv.

Ein paar neue Euro-Industrie-Paletten akkurat aufeinander geschichtet, oben drauf eine robuste Platte aus Vollholz, weißes leinenes Tischtuch, schön eingedeckt, Bistrostühle drum herum, das Ganze mit opulentem Sonnenschirm beschattet, fünf mal nebeneinander und hinter allem ein langer Tresen mit kleiner, aber feiner Getränkeauswahl: Fertig ist die In-Kneipe direkt an der Mole.

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Ein paar Schritte weiter folgt die Kunst-Attacke ("art attack").* In einer alten Lagerhalle, die sich aufgrund der hohen Wände, Decken und Lichtverhältnisse dank Oberlicht bestens für eine Ausstellung eignet, zeigen 41 palästinensische Künstler aus Israel**, der Westbank und Jordanien einen Ausschnitt ihrer Werke: Bilder, Photomontagen, Grafiken und Skulpturen.

Die 150 Stücke sind frisch, modern und mit überwiegend aktuellem, aber nicht unbedingt politischem Bezug. Auf plakative politische Aussagen wird mit Ausnahme eines Bildes, das arabische Zivilisten zeigt die von israelischen Soldaten kontrolliert werden, verzichtet. Offen gesagt spricht mich diese Form eher an, weil alles andere klischeehaft wäre ("Palästinensische Kunst muss sich gegen die Besatzer richten"). Künstler bringen ihre Anschauungen und Ideen in eine bestimmte Form. Das kann, muss aber nicht politisch motiviert sein.

Am stärksten hat mich die etwa 2,50 große "schwangere Frau" aus gebogenem, verrostetem Draht beeindruckt, die als Leibesfrucht einen Stein trägt:

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Der Künstler war leider nicht anwesend, weshalb ich ihn oder sie nicht befragen konnte. Meist möchten die Künstler ohnehin den Betrachtern die Interpretation überlassen. Daher verzichte ich hier auf meine, und gebe zu diesem Zweck weiter an die FREITAGS-LeserInnen.

Auf dem Rückweg mit dem Fahrrad kommt mir in einem Gässchen eine Alte mit gebücktem Gang entgegen. Sie trägt ein violettes Kopftuch, das exakt der Farbe der üppig blühenden Hecke hinter ihr entspricht. Ich halte an und frage sie freundlich, langsam und deutlich in der vagen Hoffnung, dass sie Englisch spricht "Excuse me, may I take a photo of you, because the color of your scarf exactly matches the color of the blossoms in the hedge behind you!", worauf sie übers ganze Gesicht grinst und mir laut und gedehnt zuruft "Yes! Yeeeees, yeeeees!", aber fröhlich glucksend weiter geht. Ich gucke ihr verdutzt nach, muss aber gleichfalls lachen, und ziehe meines Weges. Schon wieder zwei glückliche Menschen, für ein paar Minuten, ganz grundlos. Aber ein schönes Bild wäre das schon geworden von der alten Dame mit violettem Kopftuch vor violett blühender Hecke. Hach.

[to be continued tomorrow morning, stay tuned ....]

Nachtrag 23.05. 09.06: Unter dem Stichwort "Wirrungen" aus dem Titel wollte ich gestern noch die Geschichte der Physikerin erzählen, die im Flugzeug neben mir saß. Ich komme mit dem Schreiben nicht nach. Mein Zweifingersystem beschleunigt das Schreiben auch nicht gerade. Die Bilder müssen zuerst bearbeitet und auf Flickr geladen werden... Gestern wurde es zwei Uhr....

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* Eine Ausstellung des "Jaffa Salon of Palestinian Art", Warehouse 2, Jaffa Port, Tel Aviv - Jaffa, bis 27.05.2010

Kurator: Ahmad Canaan, Kontakt: canart7 # gmail com

Arrangement: Amir Neuman Ahuvia

** Palästinenser aus Israel = Israelische Staatsbürger arabischer Abstammung.

Photos: Freitag / Schlesinger

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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