Israels nützliche linke Idioten

Wir dürfen reden Solange man kritisieren darf, muss es Demokratie sein. Oder?

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Die israelischen Ministerpräsidenten laden Schriftsteller und Poeten ein, um im Gespräch eine intensive Seelenerkundung darüber zu betreiben, was im Land alles schief läuft. Sie bewundern auch die Antworten der Schrifsteller. Und ignorieren sie später komplett.*

So beschrieb schon vor Jahren der prominente israelische Schriftsteller Amos Oz das Verhältnis der politischen Elite zu den Künstlern in seinem Land.

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Verblassen, im Angesicht der Mächtigen (Brunnen in Brixen / IT)

Israelische Filmemacher drehen vorzügliche Filme auch und gerade über das politisch heikle Thema Krieg & Besatzung, man denke nur an so große Filme wie The Bubble, To see if I am smiling oder Alles für meinen Vater.

Theaterregisseure bringen Stücke wie Ulysses auf dem Flaschenfloß auf die Bühne, die Kritik an Israels Besatzungspolitik in einer Härte äußern, die, würde sie von nicht-israelischen Regisseuren außerhalb des Landes produziert, die schlimmsten Antisemitismusvorwürfe nach sich ziehen würden.

Schriftsteller wie Amos Oz, David Grossman oder A.B. Yehoshua sind im Kulturleben Israels nicht wegzudenken, sind jedermann geläufig und haben unzählige Bücher und Essays gegen die Besatzung und die damit einhergehenden Gefahren für die Seele der israelische Gesellschaft verfasst.

Philosophen und Sozialwissenschaftler mit großen Namen schreiben und analysieren gegen die Besatzung, darunter so renommierte Köpfe wie Moshe Zimmermann, Moshe Zuckerman, Ian Lustick oder Baruch Kimmerling.

Historiker und Publizisten haben viele Dutzend einschlägiger Untersuchungen abgefasst, die wenig übrig lassen vom idealistischen Gründungsmythos Israels, und haben dem Land einen Spiegel vorgehalten, der wenig Anlaß gibt zu Stolz. Groß ist die Bürde von massenhafter Vertreibung, Diebstahl, Vergewaltigung, Zerstörung und Mord, wie unter anderem von Benny Morris, Tom Segev, Ilan Pappe oder Idith Zertal bedrückend detailliert dargelegt wurde.

Menschenrechtler dokumentieren in unzähligen kleinen und großen Organisationen wie Gisha, B’Tselem, Machsom Watch oder dem Komittee gegen Zerstörung palästinensischer Häuser die Vergehen vor allem der israelischen Armee.

Viele jüdische Blogger in Israel und andernorts – z.B. Richard Silverstein, die Blogger-Comunity von 972mag, MondoWeiss, OpenZion oder DesertPeace – üben leidenschaftlich Kritik an der Sicherheitspolitik Israels und sind dabei durchaus einem größeren Publikum bekannt.

Diese Liste läßt sich erweitern um die Gruppierung von Ex-Soldaten, die unschöne Berichte über ihre Militärzeit berichten, Zirkel von Eltern deren Kinder im Konflikt ums Leben kamen und die endlich eine versöhnungsbereite Regierung wollen, und und und.

So viel Wille, so viel Bereitschaft, so viel Engagement, und doch keine Änderung?

So viel demokratischer Diskurs, so viel Debatte, so viel Information, und doch keine Änderung?

So viel Trauer, so viel Schmerz, so viel Zorn, und doch keine Änderung?

Israel = Demokratie! Israel = modern! Israel = lebendig!

Sind das die heutigen Slogans, mit dem die Menschen dazu gebracht werden, das eine zu glauben und das andere zu tun?

Denn schloß sich nicht gerade der rechtskonservative Likud des Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zusammen mit dem rechtsextremen “Haus Israel” – Beitenu Israel – des Neofaschisten** und amtierenden Außenminister Avigdor Liebermann?

Gehört Israel nicht längst einem (wie Präsident Eisenhower für Amerika kommen sah) militärisch-industriellen Komplex, in dem knapp zwei Dutzend Familien das Gros des Volksvermögens besitzt?

Setzen sich die radikalen Siedler des Gush Emunim nicht immer wieder aufs neue durch gegen eine Regierung, die nur dem Schein nach ab und an eine unbedeutende Siedlung medienwirksam räumen lässt, um aber den allgemeinen Siedlungsbau weiter zu befördern?

Ist nicht die schweigende Mehrheit in Israel seit langem einverstanden mit der im Grunde seit Jahrzehnten offiziell gepflegten Ideologie, nach der die Palästinenser gleichermaßen unfähig und unwillens für den Frieden sind?

Ist es vielleicht so, dass das offizielle Israel sich seine linken Literaten, Intellektuellen, Blogger und Publizisten als nützliche Idioten hält? Die selbst ebensowenig wie das Ausland erkennen, wie wenig sie zu sagen haben im Spiel der Kräfte?

* Prime ministers invite writers and poets for a soul-searching tête-à-tête and ask them where the country has gone wrong. And they admire the writer’s answers and ignore them completely. (TheDailyBeast)

** So der konservative Republikaner Martin Peretz, Herausgeber des “New Republic”, über Lieberman (“a neo-fascist list headed by a Russian immigrant and certified gangster, Avigdor Lieberman, who is the Israeli equivalent of Joerg Haider of Austria (now dead) and Jean-Marie LePen”)

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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