Jerusalem: Von Bikinis, feschen Israelis, Dreck und Mauerkindern

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Fesche Israelis

Es gibt keine Bikinis in Jerusalem. Oder so gut wie keine. Wie auch? Es gibt ja keine Schwimmbäder, oder zumindest kenne sie keine, erzählt mir die junge Frau aus der Schweiz, die seit einiger Zeit hier arbeitet. Aber schicke Läden gibt es hier schon. Besonders gut ist die Auswahl an modischen Wickelröcken, vor allem die mit Stickereien und anderem Besatz. Ob man leggings darunter tragen will oder nicht, hier wird man fündig. Die jungen Israelis, na ja, dazu könne sie ja nichts sagen, die sieht man ja nur in Uniform. Die Ausrede lasse ich nicht gelten. Man sieht ja mehr als genug in der Stadt, die ganz normal in Zivil herum laufen. Sie ziert sich ein bisschen. Ja, die haben schon was, meint sie. Das war zurückhaltend formuliert, muss ich anmerken. Sie wollte eigentlich sagen, dass sie die Jungs hier scharf findet. Den lieben Jungs und Männern zuhause zum Trost: Als Frau aus Europa, hat sie dazu gesagt, kommt man nicht leicht in Kontakt mit den feschen Israelis. Oder zumindest nicht für feste Beziehungen. Hm, das war jetzt wieder weniger beruhigend, oder?

Sturm über Jerusalem

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Die Heilige Stadt sieht heute aus, als läge sie auf dem Mars. Ein Sandsturm aus der Wüste hat Jerusalem in einen dichten, rötlich-ockerfarbenen Schleier gehüllt. Der extrem feine Sandstaub kriecht durch alle Ritzen und liegt als hauchdünner Schmirgel auch auf Boden und Tischen.

Von der Altstadt aus geht es bergab in den arabischen Stadtteil Silwan, Richtung Sicherheitszaun. Oder Apartheits-Wall, je nachdem. Silwan: Man merkt fast immer, ob man in einem israelischen oder arabischen Stadtteil ist. Nicht an den Menschen, sondern an Müll und Unrat. Kann städtisches "Leben in Unrat" so etwas wie kultureller Bestandteil sein, also etwas Normales, etwas, das man so will? Ich kann es mir nicht vorstellen. Wieso nimmt der Ladenbesitzer, der eine Viertel- oder halbe Stunde vor seinem Geschäft sitzt und auf Kunden wartet, nicht einen Besen in die Hand und macht wenigstens seinen unmittelbaren Bereich vom gröbsten Dreck sauber? Ich fürchte, mancher Leser wird diese Erwartung als pingelig oder allzu deutsch belächeln. Man muss aber dieses Maß an Dreck, von dem ich spreche, mit eigenen Augen gesehen haben.

Die Mauer

http://farm5.static.flickr.com/4070/4647511747_6f812e48ce_o.jpgUm zum Zaun zu gelangen, muss man über die Anhöhe von Silwan. Der Sandstaub macht das Atmen mühsam, trotz des höchsten Ganges, den ich beim Fahrrad verwende. Auf halber Höhe setzt für wenige Minuten ein Regen ein. Sofort herrscht eine Luftfeuchtigkeit wie im Dschungel. Auf Höhe der Stelle, an der ich kurz pausieren muss, liegt ein stacheldrahtbewehrtes Gelände mit einem stattlichen Bungalow. Auf dem Dach weht die israelische Flagge.

Auf der Anhöhe befindet sich die Hauptstraße von Silwan. Komme an einer Gruppe von Jugendlichen vorbei. Sie rufen mir etwas zu und winken. Winke kurz zurück. An der Gruppe vorüber, saust mir ein Stein an der Nase vorbei. War das jugendlicher Übermut, um es freundlich zu formulieren, oder Aggression gegen einen aus dem Westen? Abends wird mir jemand, die schon lange hier ist sagen, dass sie mir davon abgeraten hätte, dorthin zu fahren.

Eine langgezogene Serpentine führt auf der anderen Seite wieder abwärts. Dann komme ich auf dieses gräßliche Teil zu.

Geschätzte acht Meter hoch in diesem Abschnitt, schneidet sich die Mauer mitten durch das Viertel. Zehn Meter hinter dem Wall lugt der Moscheeturm hervor. Das ist das einzige, das man vom Viertels dahinter sehen kann.

Vor der Mauer lässt ein einzelner kleiner Junge seinen Drachen steigen.

Unter diesen Bedingungen können keine Drachen steigen. In zwei oder drei Metern Höhe dreht er nur hektische Kreise, um dann abzustürzen.

Palästinenser als Besatzer

Bevor ich mich heute morgen auf den Weg gemacht habe, saß ich am Frühstückstisch neben einer vierköpfigen Familie. Nach Optik und dem wenigen, was ich vom allgemeinen Tischgepräch mitbekommen habe wohl das, was man als "normale Leute" bezeichnet.

Die Mutter sagt in die Runde, sie würde sich auf den heutigen Ausflug ans Tote Meer freuen [Das liegt in der palästinensischen Westbank, Anm.]. Nur müsse man schauen, wie man eine Route findet ohne durch die von den Palästinensern besetzten Gebiete fahren zu müssen. Der Vater merkt an: Nein, die Palästinenser würden dort wohnen, sie hätten das Land nicht besetzt, soviel er weiß. Ja vielleicht, gibt die Frau mit einem lehrerhaften Ton zurück, aber nach Diktion der Israelis haben sehr wohl die Palästinenser das Land besetzt.

Da an dieser Konversation so ziemlich alles falsch war - die Israelis gehen nicht so weit zu behaupten, die Palästinenser hätten ihr Land besetzt-, habe ich es unterlassen, ein paar dringend nötige Hinweise zu geben. Und mir vorgenommen, auf eine Frühstücksdepression zu verzichten.

Aber so ist das, wenn Christenmenschen ohne Interesse am harten Heute, aber mit größtem Interesse an ihrem eigenen Seelenheil ins Heilige Land reisen, um dort in der Grabeskirche vor Gottes-Ehrfurcht ein bisschen zu erschaudern.

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Photos: FEITAG / Schlesinger

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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