Die fünf Tage sind rasend schnell vergangen.
Stimmt nicht. Es kommt mir vor als wäre ich seit Wochen, vielleicht Monaten hier. Wäre ich heute morgen aufgestanden und hätte Ivrith gesprochen, hätte es mich nicht gewundert. Aber selbst im Heiligen Land gibt es solche Wunder nicht. Wir sind schließlich nicht in Lourdes.
Habe gerade das Fahrrad zurück gegeben. Gefragt, ob ich einen Starknutzungszuschlag zahlen müsste. 50 bis 60 Kilometer werden es gewesen sein in den letzten vier Tagen. Das Fahrrad von Agarage Bikes in der Hayarkon Straße hat gerade mal 7,50 pro Tag gekostet (80 Euro Pfand). An die Damenwelt: Der junge Inhaber ist ein Hingucker, und ein echter Smarty dazu :-)
Bin gestern nachmittag die vielleicht fünf Kilometer vom Hotel quer durch die Stadt ins Tel Aviver Museum für Moderne Kunst geradelt. Ohne Stadtplan. Motto: Get lost in Tel Aviv. Ging aber alles bestens.
Statt eines Stadtplans kann man zwei andere einfache Hilfsmittel nehmen: Die Sonne und die markanten hohen Gebäude. Merksätze zu Sonne, die auf der Landseite auf- und über dem Meer untergeht: Hast Du mittags die Sonne im Rücken, gehts nach Norden und schaut man in die Sonne, gehts nach Süde. In beiden Fällen also parallel zur Küste. Will man am späteren nachmittag ans Meer, läuft man direkt zur Sonne. Sodann sind die Ditzengoff- und Schalom- und anderen Hochhäuser der Stadt weithin gut erkennbar.
Das Museum ist sehr empfehlenwert. Neben modernen Klassikern wie Degas (Skulpturen) gibt es große Ausstellungen zeitgenössischer israelischer Künstler. Schwer beeindruckt war ich von den Werken Tamar Getters. Alle mannsgroßen Bilder gingen übergangslos ineinander über und hatten im wahrsten Sinn des Wortes eine rote Linie, die sie verband.** Etwas ganz Besonderes sind auch die Textil-Stücke von Tzuri Gueta. Das Hauptstück ihrer Ausstellung stellt eine Mischung dar aus ozeanischer Unterwasserlandschaft und einem Märchenwald. Zuerst irritiert eine optische Täuschung, da man sich sicher ist, vor einem 3D-Bild zu stehen. Beim Herantreten erkennt man, dass es die besondere Struktur des Stoffes ist, die diesen Eindruck erweckt. Sodann "treten" aus der Bildfläche abstrahierte Seeigel oder Tang heraus, die den räumlichen Eindruck verstärken.
Hier noch ein paar lose Eindrücke von gestern. Zu sehen gabe es unter anderem:
- 3 Blumenläden, einer davon nur mit Plastikblumen. Blumenläden gibt es sehr wenige hier. Nur auf dem Markt hat man ein gutes Angebot
- Obst- und Gemüsepreise auf dem Markt: riesige Auberginen und Zuccini für 2 Shekel das Kilo (40 Cent). Tomaten kosten seltsamerweise fast so viel wie bei uns. Paprika um 3 Shekel (60 Cent) das Kilo
- viele tätowierte Jungs und Mädels, von kleinen Tatoos bis großflächige Arm-, Rücken- oder Oberkörpertattoos
- Dutzende von Soldaten und Soldatinnen mit umgehängter Waffe und aufmunitionierten Magazinen im Halfter
- viele russisch sprechende Leute; viele Plakate, Hinweistafeln etc., die auch russisch untertitel sind
- 2 Haare-Krishna-Ableger, die wie angegossen auf einem Teppich saßen und sich inmitten des abgasgeschwängerten lärmenden Vorplatzes zum Markt sichtlich der Erleuchtung hingaben. Auf der Straßenseite ihnen gegenüber stand die Konkurrenz in Form zweier Orthodoxer. Letztere waren noch weniger zu beneiden, da sie auf der Sonnenseite standen und in schwarz gekleidet waren (immerhin mit weißen Schals um die Schultern)
- 3 Tippelbrüder
- ein Fernsehprogramm mit 20 Kanälen. Viele Spielfilme laufen auf englisch und sind hebräisch und / oder russisch untertitelt. Kein Wunder spricht hier alles englisch. Mehr Nachrichten als bei uns
- höchstens zehn Asiaten oder Asiatinnen (Inder gibt es ein paar mehr, aber Chinesen, Vietnamesen, Koreaner und dgl. sieht man so gut wie nicht)
- sehr sehr viele Katzen
- viele Männer und noch mehr Frauen, die ihre Hunde ausführen oder mit ihnen am Strand spazieren gehen (an manchen Strandabschnitten sind sie verboten, aber an den meisten erlaubt. Sie dürfen auch ins Wasser. Die Hunde, meine ich)
- 2 Orthodoxe, die gut gelaunt waren
- Ein 53jähriger Kriegsversehrter mit einem metallenen Bein. Im Yom-Kippur-Krieg 1973 hatte ihm ein ägyptischer Artillerie-Schrapnel das Bein abgetrennt
- 1 Alt-Hippie mit grauem langem Bart à la ZZ-Top, der auf die Gepäckablage seines mitleiderregend alten Mopeds (!) eine große Lautsprecherbox montiert hatte, aus der Scott McKenzies San Franzisko ("Be Sure to Wear Flowers in Your Hair") schepperte. Der Gute sorgte damit für viele belustigte Gesichter...
Zum Abschied aus Tel Aviv eine abendliche Strandstimmung:
http://farm5.static.flickr.com/4037/4635811769_2830639e6c_o.jpg
In Jerusalem werde ich in einer Monastei mitten in der Altstadt untergebracht sein und dort leider kein W-LAN haben. Daher könnte es sein, dass es eine kleine Berichts-Pause gibt, bis ich ein passendes Internet-Cafe gefunden habe.
Ein herzliches Schalom, Salam aus Israel
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* gilt für nachmittags
** Habe die Nutzung zweier Bilder für diese Seite hier angefragt. Warte noch auf Antwort.
Kommentare 14
Wünsche Dir viel Spaß in der heiligen Stadt Jerusalem/Yerushalayim/Al Quds - und viel Power, um den Kulturschock, den die Umstellung nach fünf Tagen Tel Aviv bei Dir auslösen mag, zu bewältigen. Und schau doch mal nach, ob es in Ostjerusalem noch den Educational Bookshop gibt (Nähe Paulus-Haus)...
Vielen Dank! Da hast Du mit den bookshops einen Punkt angesprochen: Hatte das letzte mal Dutzende used-book-shops gefunden und kräftig geräubert (eine leinene Ausgabe von Schopenhauers Preisschrift über die Freiheit des Willens, Ausgabe 1923, in Sütterlin, toll, für damals um die 15 Shekel - übrigens: damals war der Shekel bei 1 DM...) Waren diese shops gar nicht in TA, sondern in Jerusalem? Ich weiß es nicht mehr.... Übrigens: Dein Blog ist gut. Werde ihn bei Rückkehr bei mir aufnehmen.
Schöner Blog ! Ich hätte auch gerne den Hippie auf dem Mofa gesehen.
monastei mitten in der altstadt? - ich bin am grübeln.
auch ich wünsche dir alles gute. erst mal für die fahrt hinauf nach Jerusalem!
und geh doch mal gucken: ich glaub, in Jerusalem gibt es noch mehr katzen als in Tel Aviv. zählen witzlos.
Toda, das war natürlich ein Wink mit dem Zaunpfahl von Dir mit dem "Hinauf nach Jerusalem".... ja, es wird sozusagen meine persönliche "dritte Alijah" :-)
ganz ohne zaunspfahl. es geht hinauf, also 'aliya' , aufstieg.
mit den alten egged-bussen (früher mal, im letzten jahrtausend, die noch fenster hatten, zum schalen rausspucken und rauch abziehen lassen) ging/fuhr es dann auch spürbar langsamer.
zu 'al,el, 'ol, 'ala gäbe es sehr viel zu sagen. kommt ja auch in der bedeutung von 'zum (brand)opfer gebracht werden' vor. aber an manchen stellen zweifle ich, dass es wirklich so gemeint ist/gewesen sein könnte.
"(...) An die Damenwelt: Der junge Inhaber ist ein Hingucker, und ein echter Smarty dazu :-) ..."
*Wieso "nur" an die "Damenwelt"? :-)
Und den haste natürlich nicht fotografiert, aber "uns" den Mund wässrig machen ... ;-)
(*man hört ja so manches, z.B., dass etwa 10 % der Bevölkerung gar nicht wirklich heterosexuell ist ... :-) )
Schwule Lokale hast Du sicher nicht besucht, oder? Schade!
Gruß
SP
P.S. gibt's nachträglich 'nen Link zu den Fotos (bzw. wurden Fotos bereits wieder entfernt, die hier ursprünglich zu sehen waren ...?)
ich denk mal, das strandbild oben is ok, kann bleiben. hätt die natur was gegen das foto gehabt, hätt die sonne ja nicht geschienen, denk ich mal.
@SexPower
Wie konnte ich nur??? Der Typ ist natürlich auch ein Schmankerl (bayerisch für:Leckerbissen) für Homos. Bild hab ich keins gemacht, leider, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich jemand danach fragen würde :-)
Was die zehn Prozent anbelangt, halte ich das für eine gut angesetzte Schätzung. Es gibt dazu mit Sicherheit eine entsprechende Szene inklusive Bars, Clubs etc. Eine erkennbare Szene dürfte es hier (bin inzwischen in Jerusalem),soviel wage ich zu prognostizieren, nicht geben.
FILMEMPFEHLUNG
Falls Dich das Thema homosexuelles Leben in Israel interessiert,kann ich den recht neuen Film "The Bubble" sehr empfehlen. Ist auch bei uns erhältlich. Schau ihn auf hebräisch mit englischen Untertiteln an. Damit bleibt die Atmosphäre am besten erhalten. Er verbindet die Themen "Leben in Tel Aviv - Dienst in der Armee an checkpoints - Terrorismus - schwules Leben" anhand eines israelisch-palästinensischen Paars. Meine Note: sehr gut. Beschreibt (politisch) die Jahre der vielen Selbstmordanschläge. Womit die Empfehlung auch an alle geht, die sich für diese Perspektive interessieren. Man bekommt einen im mehrfachen Sinn des Wortes intimen Einblick ins Leben von TA.
Doch, wenn in Jerusalem, dann im Westteil, meiner Erinnerung nach direkt an der Yaffa Road. In Haifa gibt es eine alte Fabrikhalle - die, wenn ihr Betreiber, ein alter rumänischer Jude, sie öffnet, schier explodiert in einer Flut an alten, guten Büchern...
ecke king george?
@MondoPrinte Rahab: Danke für die Hinweis, hab noch keinen Stadtplan, werds mir aber merken.
Die Fahrt hierher war ein Klacks,da keinerlei Stau auf der Schnellstraße. Sagte ich Monastei? Tja, auf den Internetbildern hat es einen possierlichen Eindruck gemacht. Aber es ist ein herrschaftliches Anwesen mit.... aber ich brauch ja noch was für den Blog.
Üblicherweiser kühler hier, aber heute das Gegenteil. Die Sonne brennt regelrecht herunter. In Massada hats über 30 Grad, wie mir grade ein Berliner erzählte.
Genau!!!
@schlesinger
Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar!
"The Bubble" habe ich gesehen, ist mir sehr an die Nieren gegangen, ich hatte seinerzeit bei "ZO" eine kurze Empfehlung geschrieben, siehe hier:
community.zeit.de/user/blogger/beitrag/2009/11/10/bloggers-quotetwas-andererquot-tvtipp
Alles Gute!
Gruß
SexPower