Mahmud Abbas und das große Zögern

PLO-Parteitag Auf dem ersten PLO-Parteitag seit langem könnte Präsident Abbas zeigen, dass er das problematische Erbe Arafats abgelegt hat. Nichts deutet darauf hin.

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Zum bevorstehenden Parteitag der Fatah in Bethlehem, 04.-06.08.2009

Palästina soll innerhalb der nächsten drei Jahre souverän werden. Der Autonomierat werde in dieser Zeit die Unabängigkeit des Landes ausrufen, sagte Mahmud Abbas am Montag.*

Der Montag, von dem hier die Rede ist, liegt lange zurück. Dieser Montag, an dem Mahmud Abbas die Gründung des Palästinenserstaates ankündigte, war der 22. Januar 1996.

Der Führer der Palästinenser hieß damals Jassir Arafat.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/b/b7/Yasser-arafat-1999.jpg/225px-Yasser-arafat-1999.jpgArafat - Kampfname Abu Amar, "Vater der Revolution" - war während seiner jungen Jahre in Kuwait Mitgründer der Fatah, wurde 1959 Vorsitzender der PLO und - je nach Lesart - Widerstandskämpfer oder Terrorist, nach Jahrzehnten schließlich eine verehrte Vaterfigur der Palästinenser, und blieb bis zuletzt ein rastloser Taktiker.

Der größte Verdienst Arafats bestand darin, die Lage der Palästinenser ins Rampenlicht der Welt zu bringen.

Der größte Makel Arafats bestand darin, den Schritt vom Revolutionär zum Staatsmann nie vollzogen zu haben.

Mit fortschreitendem Alter verwandte Arafat immer mehr Energie darauf, die eigene Position zu sichern. Das hatte seine Gründe, denn Arafats Kritiker waren Legion, und das aus gutem Grund:

Die Führungsriege um Arafat hatte sich zunehmend einem korrupten und luxuriösen Leben verschrieben. In Gaza und der Westbank hat das viele entsetzt.

Anfang der Achtziger war Arafat an einem Tiefpunkt, politisch wie militärisch. Ausgerechnet Israel sollte ihn daraus retten; 1982 marschierte es aus einem Anlaß, der nichts mit der PLO zu tun hatte, in den Libanon ein und machte Arafat über Nacht erneut zum Helden des palästinensischen Widerstands.

Beirut wurde belagert, und die PLO zum Abzug gezwungen. Im folgenden tunesischen Exil führte die Clique um Arafat ihr buntes Treiben weiter. Der Stern Arafats begann erneut zu sinken. Als die krisengebeutelte UdSSR ihre Zahlungen an die PLO verringerte, war die Perspektive vollends düster.

Der Ausbruch der Ersten Intifada im Dezember 1987 überraschte die PLO-Führung in Tunis komplett. Die nächste Überraschung war die Gründung der Hamas, gleich am Tag nach Beginn des Aufstands. Die Hamas war präsent, aktiv und effizient.

Im weiteren Verlauf der Intifada gelang Arafat das Kunststück, als Führungsfigur auch dieser Bewegung wahrgenommen zu werden. Das zahlte sich aus. In den ersten Wahlen zur Palästinensischen Autonomiebehörde in 1996 errang Arafat stolze 85 Prozent der Stimmen.

Trotzdem gab es einen neuen Trend. Israel hatte kein Interesse an einem starken Arafat und förderte deshalb frei nach dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" die anfangs unverdächtig wirkende Hamas. Deren Karriere gegen die korrupte und unterm Strich politisch impotente PLO konnte damit beginnen.

Mit den Wahlen von 1996 wurde Arafat Präsident der Palästinenser. Doch Arafat wollte oder konnte keinen couragierten Richtungswechsel vollziehen weg vom Revolutionär hin zum Staatsmann.

Er verhedderte sich zwischen seiner Anerkennung Israels und einer heimlichen Unterstützung der Selbstmordattentate, zwischen einem "kleinen Palästina" und einem "ganzen Palästina", zwischen Zivilgesellschaft und dem Terror seines ausufernden Sicherheitsapparates, zwischen Distanzierung von Israel und einer umfassenden Zusammenarbeit mit dessen Geheimdiensten, und nicht zuletzt zwischen Rechtsstaatlichkeit und der Despotie seiner Alleinherrschaft.

Mahmud Abbas war lange Zeit Berater Arafats und führendes Mitglied des PLO-Exekutivrates. Aus Protest gegen das zunehmend autokratische Regime Arafats trat er von seiner Funktion im Exektutivrat zurück.

Die Hamas war Nutznießer der desolaten Lage der PLO und wurde, nur zwei Jahre nach dem Tod der Ikone Arafat, der Überraschungssieger der Wahlen in 2006. Seit dem Tod Arafats sucht dessen blässlicher Nachfolger Mahmud Abbas nach einer überzeugenden Strategie.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/f5/Vladimir_Putin_in_Palestine_29_April_2005-2.jpg/180px-Vladimir_Putin_in_Palestine_29_April_2005-2.jpgAbbas hatte mit einem fulminanten Fehlstart begonnen. Er hat sich 2007 von George W. Bush und durch Einflüsterungen der Israelis dazu verleiten lassen, in Gaza mit Waffengewalt gegen die Hamas vorzugehen. Das führte nicht nur zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, sondern auch zur Vertreibung der Fatah aus Gaza.

Obwohl die Charta der Fatah vorsieht, alle fünf Jahre einen Parteitag abzuhalten, hatte es Arafat immer verstanden, eine Einberufung zu verschieben. Auch Abbas hat sich bislang Zeit gelassen. Zuletzt wurde der Kongress vor 20 Jahren in Algier einberufen.

Nun hat Mahmud Abbas rund 2000 Delegierte zum Parteitag nach Bethlehem eingeladen. Zur Wahl stehen das 21-köpfige Zentralkommittee und der 120 Mitglieder starke Revolutionsrat. Abbas erhofft eine Stärkung der Fatah, der seit Anbeginn stärksten Fraktion der PLO.

Darüberhinaus dürfte über eine neue Charta befunden werden, wovon Auszüge in arabischen Zeitungen bekannt wurden.

Der Zeitpunkt, sich jetzt auf eine neue Charta festzulegen, könnte kaum weniger passend gewählt sein.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/c/c6/BenjaminNetanyahu.jpg/225px-BenjaminNetanyahu.jpgIm Entwurf gibt es Altbekanntes zu lesen, man möchte meinen: Nur Altbekanntes. Gefordert wird ein Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 und Ost-Jerusalem als Hauptstadt.

Die Grenzen von 1967 sind kompromissfähig. Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines arabischen Palästina ist undenkbar; unrealistisch seit dem Scheitern der Verhandlungen von Camp David im Jahr 2000, und völlig ausgeschlossen unter einer Regierung Netanjahu.

Heikel ist auch der Absatz, in dem ein "jüdisches Israel" abgelehnt wird. Das wird neuderdings von Israel eingefordert: Palästinenser sollen nicht nur Israel anerkennen, sondern als explizit jüdisch anerkennen. Die Palästinenser argwöhnen - wohl zurecht - dass damit die Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in ihre frühere Heimat verhindert werden soll. In Wahrheit wissen alle palästinensischen Führer, dass die Frage nach der Rückkehr längst zu den Akten gelegt wird. Mehr als kosmetische Zugeständnisse wird es nicht geben. Warum also darüber streiten?

Gänzlich kritisch wird es, wenn von einem gewaltsamen Widerstandsrecht gegen die israelische Besatzung gesprochen wird: "Verstärkung des Kampfes gegen die Siedlungen, gegen den Sperrwall und gegen die Judaisierung von Jerusalem mit friedlichen Mitteln und begrenzter Gewalt".

Was ist "begrenzte Gewalt"? So etwas ähnliches wie die Folter, die George W. Bush zum "verschärften Verhör" umbenannte?

Bei der Bewertung all dieser Positionen geht es nicht um die Legitmität der Forderungen, sondern um politische Klugheit. Die vermisst man hier schmerzlich.

Es ist einmal mehr die taktisch klügere Hamas, die nach dem Gazakrieg in diesem Frühjahr nicht nur ihre Raketenangriffe weitgehend eingestellt hat, sondern jüngst auch damit von sich reden macht, ihren Widerstand von einem militärischen auf einen kulturellen Schwerpunkt verlagern zu wollen.

Hamas kennt die internationale Empörung gegenüber den israelischen Exzessen in Gaza.

In Gaza hat sie dieser Tage eine ganze Reihe kultureller Veranstaltungen initiiert; von Kinofilmen über Ausstellungen bis hin hin zu Dokumentationen zum Gazakrieg, mit Hilfe derer der Weltöffentlichkeit die Lage in Gaza nahegebracht werden soll. Die großen US Zeitungen haben längst davon berichtet, und schon beginnt man von einer Dialogbereitschaft der Hamas zu sprechen.

Und während sich die Hamas der Kairoer Rede Obamas gegenüber offen gezeigt hat, scheint sich vor allem die "junge Generation" der Fatah militärischer Gewalt gegenüber wieder toleranter zu zeigen. Dabei tut sich einmal mehr Mohammed Dahlan, der frühere Sicherheitschef der Fatah in Gaza, als Hardliner hervor.

Der Programmentwurf der Fatah wäre kaum der Rede wert, wäre er vor zwei Jahren entstanden.

Von einer Regierung Bush konnte man sich auf palästinensischer Seite wenig versprechen, und der damalige Ministerpräsident Ehud Olmert, der gegen innenpolitischen Widerstand immerhin eine Zweistaatenlösung und einen Teilabzug der Siedler befürwortet hatte, hat sich mit seinen Affären aus dem Amt gekegelt.

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/17/Rahm_Emanuel%2C_official_photo_portrait_color.jpg/200px-Rahm_Emanuel%2C_official_photo_portrait_color.jpgSeit dem Amtsantritt Barack Obamas schwelt aber ein Streit zwischen Washington und Jerusalem, der von beiden Seiten nur mit Mühe klein geredet wird. Über Obamas Stabschef Rahm Emanuel, den man früh verdächtigte, er würde im Oval Office die knallharte israelische Lobby geben, argwöhnt man in Jerusalem längst, er sei offenbar der Anstachler hinter Obamas kritischer Haltung gegenüber Israel.

Das alles könnte Abbas, könnte die Fatah still als Trumpf verwenden und mit behutsamer Politik versuchen, daraus Nutzen zu ziehen. Selten durfte man auf palästinensischer Seite mehr darauf bauen, effektive Unterstützung aus Washington zu bekommen.

Sich aber jetzt hinzustellen und von Bereitschaft zu gewaltsamen Widerstand zu reden, muss Widerspruch aus dem Weissen Haus provozieren. Und das nur, um bestimmten Fraktionen innerhalb der Fatah zu zeigen, dass man noch Zähne hat? Ein kleines Gut, das hier eingekauft werden soll, zu einem horrenden Preis. Aus Jerusalem jedenfalls kommen prompt die zu erwartenden Reaktionen.

Hat Abbas wirklich nicht mehr von Arafat gelernt - als zu lavieren? Was für eine schmerzliche Perspektive auf die politische Entwicklung in Palästina.

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* Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 23. Januar 1996

(Photo: Jassir Arafat, en. Wikipedia, CC Lizenz)

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Geschrieben von

schlesinger

"Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt" Jorge Louis Borges

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