Die Linken, die Sozialisten haben sich schon immer zerfleischt.
Die Konservativen, die Rechten haben schon immer triumphiert.
Schon aufgefallen?
http://forum.attac.de/download/file.php?id=479Hierzulande hat hat die SPD gerade ihr schlechtestes Wahlergebnis eingefahren, während die LINKE in ungeahntem Maß triumphierte (was für eine frappierende Ähnlichkeit: Bei den Reichstagswahlen 1920 erzielte die abgespaltene USPD annähernd so viele Stimmen wie die stark geschwächte SPD).
Nicht wenige Anhänger der LINKEN triumphieren nun und gönnen der älteren Schwester ihre Niederlage von Herzen.
Sehr zur stillen oder auch nicht so stillen Freude der Christ-Demokraten und Guido-Mobilisten.
Die Vereinigten Staaten mochten acht Jahre lang wahrhaft gedemütigt worden sein von ihrem eigenen Präsidenten, der ihnen zwei Kriege bescherte, die Wirtschaft ruinierte und den seit Nixon radikalsten Angriff auf das demokratische Gerüst vornahm: Und dennoch scheint der dahinter stehenden rechtskonservativen Gesinnung, dem damit einhergegangenen Neoliberalismus und dem christlichen Fundamentalismus keine dauerhafte Abfuhr erteilt zu werden.
Gewiß, Obama wurde mit größter Begeisterung ins Amt eingeführt, und ein Gutteil dieser Begeisterung ist auf die enorme Erleichterung zurückzuführen, acht Jahre Bush irgendwie überstanden zu haben. Doch die Halbwertszeit, mit der man sich an Bush erinnert, ist verblüffend kurz.
Denn inzwischen, nach lächerlich kurzer Zeit im Amt, wird Obama vorgehalten, gewisse Ziele nicht längst erreicht zu haben. Pah, was sind acht Jahre schnell vergangen... Obama, Du hattest schon über sechs Monate Zeit! Das Naserümpfen über den nicht cäsarisch durchgreifenden Obama ist bei uns ja schon chic, bevor seine ersten hundert Tage vorbei waren.
http://www.hdg.de/lemo/objekte/pict/JahreDesAufbausInOstUndWest_plakatCDUAlleWegedesMarxismus1953/index.jpgNein, schadlos hält man sich hüben und drüben nicht an den eigentlichen Verursachern, so viel muss klar festgestellt werden, sondern an denen, die in ihren Versuchen, die dringlichsten Reparaturen vorzunehmen, keine perfekten Würfe zustande brachten beziehungsweise zustande bringen.
Bitte: Über Schröders Hartz IV und die Agenda 2010 wurde viel, viel Zutreffendes und einiges Übertriebenes berichtet. Doch was sind dagegen 16 Jahre Kohl, in denen das Land in einen zunehmenden Dämmerschlaf verfiel und in denen die Christsozialen keine Energie aufbrachten, die längst überfälligen Erneuerungen vorzunehmen?
Nein, statt dessen ist Kohl der Einheitskanzler und Schröder der Hartz-IV-Kanzler. Was für eine Verzerrung.
Und in den Staaten kann sich der Usurpator Dick Cheney heute durch die Talkshows hangeln und von der zunehmenden Gefährdung der amerikanischen Sicherheit durch Obamas Politik schwadronieren, ohne dass ihn die amerikanischen Bürger niederschreien würden.
Zurück zur Ausgangsthese: Bei uns wie in den Staaten liegt derselbe Sachverhalt für diese doch bemerkenswerte selbstzerstörerische Tendenz der Linken zugrunde.
Bricht man es auf die wirtschaftlichen Verhältnisse herunter, steht die konservative Strömung für Besitzstandswahrung oder -mehrung der bereits Vermögenden.
Die linke Strömung steht für die Erlangung von (nennenswertem) Besitzstand oder eine Umverteilung der Vermögen (was auf dasselbe hinaus läuft).
Die Politik der Wahrung ist ungleich einfacher als die Politik der Erlangung.
Denn ersteres bedeutet im Wesentlichen Erhaltung der Strukturen. Letzteres bedeutet im Wesentlichen Veränderung der Strukturen.
Solange Menschen nicht frieren oder hungern oder sich der Krieg nicht im eigenen Land abspielt (alles drei traf zu gegen Ende des Ersten Weltkriegs, weshalb in Deutschland auch die Novemberrevolution 1917 ausbrach), lassen sich die Besitz-Strukturen mit überschaubarem politischem Aufwand erhalten.
Wie allerdings Strukturen aufzubrechen, neu, gerechter zu schaffen sind, darüber gibt es ungleich mehr unterschiedliche, nein: unterschiedlichste Ansätze, Überlegungen, Überzeugungen und Leidenschaften, als es einer politischen Strömung möglich wäre aufzunehmen.
Und so fallen wie auf natürliche Weise die allzu rasch enttäuschten Liberalen in den USA über Obama her - sehr zum Gefallen der Republikaner - und die Linken in Deutschland über die Sozialdemokratie - sehr zur Freude des konservativen Establishments.
Statt sich auf linker Seite hüben wie drüben Strategien zu überlegen und anzueigen, wie man GEMEINSAM zu einer sozialeren Gesellschaft gelangen könnte, zerfleischt sich die Linke einmal mehr selbst. Und bevor der erste Vorschlag gemacht wird, wie man zusammen kommen könnte, werden zehn Erklärungen angeboten, wer mehr schuld hat am Zerwürfnis.
Wüßten die Lafontaines, Gysis, Münteferings, Steinmeiers ein bisschen mehr über die schiere Häme, mit der die andere Seite ihren Konkurrenzkampf goutiert, würden sie ein wenig in sich gehen.
Doch selbst das wäre nur ein erster Schritt. Davon sind wir wohl weit entfernt. Auf politischer Seite wie auf der Seite des politischen Publikums.
Und so wünschte ich derzeit, ich wäre ein Konservativer. Dann hätte ich viel Anlass zu satter Genugtuung.
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Plakat 1: Attac
Plakat 2: Haus der Geschichte
Bild: courtesy (c) Randall Stoltzfus
Kommentare 32
"Wüßten die Lafontaines, Gysis, Münteferings, Steinmeiers ein bisschen mehr über die schiere Häme, mit der die andere Seite ihren Konkurrenzkampf goutiert, würden sie ein wenig in sich gehen"
Das wissen die, davon können Sie ausgehen.
So denke ich auch.
Boshaft gefragt: Wo sind denn die Steinmeiers und Münteferings politisch zu verorten?
Links doch sicher nicht. Und in der Sozialdemokratie sicher auch nicht, obwohl sie Mitglieder einer Partei sind, die dieses Wort im Namen trägt - nun ja, die CSU trägt auch die Wörter 'christlich' und 'sozial' im Namen...
Vielleicht können die Linken hierzulande Seit' an Seit' schreiten, wenn auch der letzte Sozialdemokrat bemerkt hat, daß die Sozialdemokratie heute woanders zu finden ist als in der SPD, und konseequenterweise dahin zieht, wo es sozialdemokratisch zugeht.
Liebe Magda, lieber I.D.A. Liszt
ich weiß, was Sie meinen, und kann (leider) gar nicht großartig widersprechen, was Ihre konkreten Anmerkungen anbelangt.
Und doch scheinen mir Ihre Kommentare das wiederzugeben, was ich versucht habe zu bemängeln:
Das kurzsichtige Überwiegen der Genugtuung, dass es der auf den falschen Weg geratenen SPD mit ihrem Steinmeier Münte so richtig gezeigt wurde...
Ich meine allerdings, dass die SPD nicht Steinmeier und Münte sind, sondern eine Partei, die deren Vorgaben lediglich (zu lange) gefolgt sind.
Dass die SPD ganz andere Bestandteile hat, sieht man beispielsweise am ehemaligen und schmählich fallen gelassenen MdB Axel Berg....
Kurzum: Die SPD könnte wieder SPD sein, wenn sich die Basis ihrer selbst erinnern und sich durchsetzen würde.
Das aber bedarf der politischen Arbeit (Hand aufs Herz: wie viele haben wohl mit ihrem SPD-Abgeordneten gestritten? Wohl kaum einer. Man macht statt dessen sein billiges Protesthäkchen.)
Solange aber die Selbstgerechtigkeit in den beiden linken Parteien (bei deren Führung und ihren Anhängern) vorherrscht, dient sie faktisch den ganz anderen, obwohl das von den Einzelnen sicherlich nicht beabsichtigt wird ...
Die Alternative lautet: Alle Energie darauf verwenden, eine gemeinsame Linke zustande zu bringen. Aber mit Ego-Profis à la Lafontaine und Steinmeier ist das illusorisch.
Und zuletzt müsste eine Linke in einer Bundesregierung erst beweisen, wie effektiv sie ist. Nach vielen, vielen Jahren hat man offenbar vergessen, wie mittelmäßig Lafontaine im Saarland gewaltet hat.
Was die Leistungsfähigkeit der LINKEN anbelangt, kann ich gar nichts dazu sagen.
Ich kann aber aus struktureller Sicht sagen, dass die Zersplitterung der Sozialisten in der Form, in der sie derzeit stattfindet, sicherlich nur den Konservativen und Rechtsliberalen dient. Das aber machen sich die Vertreter mutmaßlich reinen sozialen Lehre nicht klar.
Diese weitere strukturelle Schwäche der Linken hätte ich im Beitrag noch erwähnen sollen:
Sie wollen immer die ganze politische Wahrheit.
Den Konservativen genügt der pragmatische Vorteil.
"Kurzum: Die SPD könnte wieder SPD sein, wenn sich die Basis ihrer selbst erinnern und sich durchsetzen würde."
Was war denn die SPD? (Keine rhetorische Frage, denn Blicke in die Vergangenheit erhellen Gegenwart und Zukunft.)
So etwas wie eine Partei. Hörte ich gerüchteweise.
Ich habe heute meinen Hans Dieter Hüsch - Tag und deshalb mit seinen Worten gefragt (oder gesagt):
"Also das ist doch alles absolut nichts neues. Eben!"
Die Frage also ist: wie geht es nun weiter? Am mangelnden Erkenntnisgewinn liegt es nicht. Vielleicht an linker Borniertheit, das jede Facette dieser linken Splittergruppen meint, diese eine Facette sei das Salz in der Suppe und damit der entscheidende Krümmel Wahrheit, den es mit aller Inbrunst zu verteidigen gilt?
Möglich - arme Linke...
Wie immer gut! ...aber vergessen darf man das auch nicht, dass Schröder der Kanzler war, der Hartz IV
möglich gemacht hat. Bitte nicht vergessen, wer die Linke geschaffen hat!
por
"Sie wollen immer die ganze politische Wahrheit.
Den Konservativen genügt der pragmatische Vorteil.
"
...weil mit gerade ein Blog nahe geht. Herzblut. Linkes Herzblut. Warum neigt es dazu grundsätzlich destruktiv zu wirken?
Lieber schlesinger;
andersrum wird aber auch ein Schuh draus:
Zitat Sigmar Gabriel gesternim DeutschlandRadio: "Ich habe keine Probleme, mit der Linken zu koalieren - auch nicht auf Bundesebene, wenn die Inhalte stimmen. Nur: Die müssen sich an uns abarbeiten - nicht wir an denen..." In süffisantem Ton sagte er das.
Wie arrogant ist das? Wie kommt er zu dieser Haltung? Ich fand das, mit Verlaub, großkotzig. Die SPD bzw. ihre Funktionäre merken immer noch nichts. Schon gar nicht, dass ihre Zeit bald abgelaufen sein könnte. Insofern kann ich die Abgrenzung der Linken gut verstehen.
Ansonsten, s. den Kommentar von I.D.A. Liszt.
Herzlich, Anna
@ Titta's "Was war die SPD"? Nun, das Thema füllt Bücherregalwände...
Vielleicht nur eine kleine Episode aus meinem früheren Spezialgebiet ("Anfänge deutsch-israelische Beziehungen"). Bekanntlich wurde der erste Bundekanzler Adenauer nur mit seiner eigenen Stimme Kanzler. Andernfalls hätte der erste BK Kurt Schumacher geheissen. Was für ein politisches Urgestein! Während Adenauer auf dem ersten Parteitag der CDU kein Sterbenswörtchen zum Holocaust sagte(!), prangerte Schumacher auf dem ersten SPD-Parteitag, der zuvor stattfand, in einer langen Passage alle Naziverbrechen an. Das war selbstverständlich ein politisches Risiko, denn wie viele versteckte Nazis und Antisemiten es damals gab, die man mit solchen Erklärungen als Wähler verlieren konnte, war kaum zu sagen. Es kommt also auch stets auf das Rückgrat der politisch Verantwortlichen an.
Danke, und Sie haben mit Hartz IV natürlich recht, das wollte ich auch gar nicht verwischen... Aber (kein Trost für viele Betroffene...), man muss erst mal die Traute haben, gewisse Mißstände anzupacken. Die Agenda 2010 hat ja nicht nur Negatives beinhaltet. Dass man sich allerdings dauerhaft gegen eine Reform der Reform verwehrt(e), macht m.E. die Sache erst dramatisch und unverzeihlich.
@ Anna:
"Wie arrogant ist das [Gabriel]? Wie kommt er zu dieser Haltung? Ich fand das, mit Verlaub, großkotzig."
Korrekt. Und im Kontext des Beitrags kein Beitrag der neuen SPD-"Führung", wie die Lage besser werden könnte.
Die Episode erklärt aber nicht die Frage was die SPD war und ist.
Ich danke schlesinger für seine Episode genauso wie luggi für seinen Einwand.
Vielleicht ist die Tragik der SPD, daß genau beides richtig ist. Die Individualisten mit Rückgrat wie eben auch die politisch fragwürdigen bis einfach falschen Entscheidungen, die (die Geschichte der) SPD ausmachen.
Momentan ist aber keiner mit Rückgrat bzw. einer dieser Individualisten in Sicht.
Die Adenauerzeit ist aufschlussreich in diesem Zusammenhang. Denn während 1949 für das linke Lager nur zwei Parteien in den Bundestag einzogen, war es für das konservative Lager eine Vielzahl. Und trotzdem waren die Konservativen erfolgreich. An der bloßen Anzahl der Parteien, die sich in einem Spektrum finden, könnte man also kaum den zu erwartenden Erfolg oder die reale Stärke dieses Lagers festmachen. Das zeigen ja auch Frankreich und Italien, wo die derzeitigen Präsidenten von ganzen Parteienbündnissen getragen werden, und trotzdem fest im Sattel sitzen. Also nur die Tatsache, dass es in Dtl. 2-3 linke Parteien gibt, erklärt nicht deren relative Erfolglosigkeit.
Gut an dem Beitrag ist ja der Blick in die Geschichte, die historische Perspektive.
Der Verursacher/die Ursache des Übels wird schnell vergessen, der neu Regierende soll reparieren, und weil die Ursache/die Verursacher nicht benannt/angetastet werden dürfen, wird der Reparierende kaputtkritisiert.
Kohl/Thatcher/Reagon: da beginnt der Neoliberalismus, Blair und Schröder ziehen ihn durch. Denn Blair und Schröder wollen nur reparieren, im Falschen, nicht wirklich neu machen.
Thats History, Knoppsches Damals.
Und dann? Der Pragmatismus der Konservativen kommt aus Herrschaftstradition, die Spaltungen der Linken aus Theoriedebatte.
Tja, falsche Welt, in der Theorie nicht einfach Praxis werden darf. Wegen: Machtverhältnissen, Klassenspaltung, Kulturindustrie.
Und was sollte eine deutsche Linke auch machen? Auf einem komplett durchkapitalisierten Globus? Die Internationale ausrufen???
@ alle
Die Frage nach dem "Was ist / war die SPD" kann ich leider nicht beantworten. Ich kann nur sagen, dass sie immer auch großartige, mutige, visonäre Momente, Zeiten und Führungsfiguren hatte und wünsche ihr und den Menschen hierzulande das sehr zurück.
Natürlich hat luggi recht, dass meine Episode die SPD nicht erklären kann.
Trotzdem möchte ich eine weitere anbieten. Sie ist genauso mosaikhaft, aber sie gefällt mir zum einen aufgrund der Perspektive eines "einfachen" Parteimitglieds, und besonders aufgrund der Einsicht in die überall ähnlich vorhandenen Tendenzen der Menschen, was im parteilichen Schemadenken gerne verdrängt wird.
Hier ein Auszug eines Briefes von 1947, entnommen aus "Lehrstücke in Solidarität", Briefe und Biografien deutscher Sozialisten 1945-1949:
"Nun wieder zur Sozialisierung. Es geht das Gerücht, dass die ausländischen Kapitalsgruppen gefordert haben, wenn sie Anleihen gewähren sollen, dass die Frage der Sozialisierung so für 5 Jahre ruhen soll. [...]
Ja, Tragik des deutschen Proletariats. In entscheidenden Momenten versagt es immer. [...] Nun müssen wir wieder den Leidensweg bis zur neuen Krise gehen, und dann müssen die Opfer doch gebracht werden.[...]
Der Parteistreit ist ja nun wieder soweit, wie er 1932 war. Gegen Schumacher zieht die KPD schwer zu Felde. Was soll das? Praktischer Aufbau ist vorzunehmen, und nicht der Streit um Doktrinen ist zu führen. Im Aufbau zeigt es sich ja, was richtig und was nicht richtig ist. Ja, Aufbau.
Davon ist hier nicht viel zu sehen. Schiebereien und Betrügereien sind Trumpf.
Jeder will es den Hyänen des Kapitalismus nachmachen. Jeder will jetzt seine Profite unter Dach und Fach bringen.
Jetzt oder nie, ist ihre Parole, und in ihren Reihen da marschieren Sozialisten und Kommunisten. [...] Wie viele ehrliche gibt es noch?"
Was kann dieser private Brief lehren? Unter anderem dies: Gerechtigkeit, Anständigkeit von Einzelnen ist, war noch nie Merkmal einer Parteizugehörigkeit (trivial, aber doch oft übersehen). Es geht politisch immer um Kampf, in dem einmal die mehr, einmal die weniger Gerechten siegen (auch innerhalb der Parteien; wobei der Begriff Gerechtigkeit natürlich höchst problematisch ist). Und selbst wenn ein Gerechter vorn steht (wozu ich Kurt Schumacher zähle), können sich Widersacher erbarmungslos darüber hermachen (aus offiziell hehren, aber de facto niedersten Motiven - siehe die Mutmaßung des Briefschreibers)
PS. Rainer Kühn: gefällt mir, Ihr: "Der Pragmatismus der Konservativen kommt aus Herrschaftstradition, die Spaltungen der Linken aus Theoriedebatte."
Das ist ja das Problem der SPD heute. Sie verweist auf eine 146jährige Tradition und vergisst (absichtlich?) ihre Gründungsväter und ihre Tradition. Sind denn in der heutigen SPD Namen wie August Bebel, Wilhelm Liebknecht, Karl Kautsky u.a. bekannt? Wissen denn die sozialdemokratischen Genossen, dass Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Hugo Haase, Wilhelm Pieck, Clara Zetkin Mitglieder der SPD waren? Nein lieber Schlesinger, ihr Traditionsbezug ist Kurt Schumacher. Er war es, der nach Scheidemann und Ebert in unsäglicher Tradition den gesellschaftlichen Fortschritt verhinderte. Sie haben doch in der Historie geforscht. Dann sollte Ihnen aufgefallen sein, dass K. Schumacher im Auftrag der Westalliierten handelte (getrennte Sitzungen von Gremien im Büro Hannover; Zulassung einer Rede von Otto Grotewohl erst nach Intervention). Zum Verhältnis Schumachers zur innerparteilichen Demokratie in der SPD gibt es ausreichend Zitate und Erläuterungen auf Wikipedia.
Nein, in ihrem jetzigen Zustand ist die SPD Bestandteil des Systems und reproduziert sich täglich tausendmal als solcher. Sollte die SPD an dem System etwas grundsätzlich ändern müsste sie sich selbst ändern. Alles andere ist Kosmetik; schaut her, wie schön der Kapitalismus sein kann.
Ch. Matschie geht für seine Überzeugung eine Koalition mit der CDU ein; August Bebel bekam für seine Überzeugung Festungshaft. Soweit zu den Traditionen.
Auch unter Schumacher als BK oder BP hätte es in der Entwicklung der BRD keine gravierenden Unterschiede gegeben.
Seien Sie versichert, das was sich gegenwärtig zwischen SPD und DieLinke abspielt nutzt nur den wirklich Herrschenden.
Houghh, ich habe gesprochen
luggi
Und gut gesprochen!
@ luggi: Danke für Ihre weiterführenden Anmerkungen.
Ich muss vorwegnehmen, dass ich mich in der Parteiengeschichte der SPD und der Figur Schumacher nur allgemein und nicht speziell auskenne. Schumacher hat mich immer aufgrund seiner persönlichen Integrität beeindruckt (alleine damit grenzt er sich von vielen Politikern gleich welcher Couleur ab).
Sätze wie "Auch unter Schumacher als BK oder BP hätte es in der Entwicklung der BRD keine gravierenden Unterschiede gegeben" sind für einen Historiker tabu ("was wäre gewesen, wenn" = Spekulation), deshalb möchte ich dazu nichts sagen.
Dass Schumacher "im Auftrag der Westallierten" handelte... finde ich eine unfaire Abkanzelung. Niemand sitzt für seine Überzeugungen lange Jahre im KZ, um sich anschliessend zum Büttel einer gewissermassen zufällig anwesenden Gruppierung (den Amerikanern) zu machen.
Ihr Hinweis auf den heftigen Widerstand Schumachers gegen eine Wiedervereinigung zwischen SPD und KPD ist vollkommen richtig (damals entgegen den Empfehlungen des "Buchenwalder Manifests", an dem u.a. der prominente Sozialdemokrat Hermann Brill mitgewirkt hatte).
Aber: Schumacher war in gewissem Sinn "deutsch-national" und wollte sich sowohl gegen einen übermäßigen Einfluss Amerikas, wie auch gegen eine Einflussnahme des stalinistischen Russlands wehren. Für beides habe ich Verständnis. Dass die Berliner SPD, die der damals noch existierenden SPD der Sowjetzone näher stand als der SPD in den Westzonen (wozu auch Schumachers "Büro Schumacher" in Hannover zählte), für einen Zusammenschluss mit der KPD warb, war naheliegend.
Ich würde die Trennung SPD - KPD damals aber nicht in Beziehung setzen mit der heutigen Trennung zw. SPD und der LINKEN. Dafür sind die Bezüge doch zu unterschiedlich.
Lieber schlesinger,
unter Historikern ist die Frage "was wäre wenn" ein unbedingtes Muss!, sonst hätten wir eine Geschichtsbeschreibung und keine Geschichtsaufarbeitung. Geschichte soll Lehren ziehen und vermitteln. Sonst wäre sie staubtrocken wie mein Geschichtsunterricht von der 7. bis zur 8. Klasse (wann war jenes Ereignis 1425, oder 1648?).
Ich möchte mich nicht im kleinklein verlaufen. Geschichte ist die Resultante der in einem Zeitraum agierenden sozialen Kräfte. Nicht mehr und nicht weniger. Entscheidend ist die Resultante. In der BRD haben sich nach 1945 die alten monopolistischen Kräfte durchgesetzt und in der DDR die stalinistische Fraktion. Gilt für die ganze Teilung Europas (außer in der Dialektik von Allgemeinem, Einzelnem und Besonderem für Jugoslawien); und der Welt. Aber Josip Broz Tito war dem autokratischen Machtgehabe eines Josef Dschugaschwili näher als er dachte.
Zum Schluss: K. Schumacher hatte ganz einfach eine Kommunismus-Paranoia. Die Auswirkungen tragen wir heute noch leidvoll.
die SPD hat schon immer die kleinen leute UND DIE GROSSEN IDEEN VERRATEN das war so ist so und wird immer so sein genau sowie der betriebsrat
ICH KENNE KEIN SYSTEM DAS NICHT KORUMBIERT
eykiway
@luggi Sicherlich gibt es Historikerschulen, von denen ich nichts weiß. In (West-)Deutschland hält man sich üblicherweise an den alten Ranke:
"Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er [der Historiker] will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen."
Dass man dabei interpretiert, ist unausweichlich. Interpretieren ist aber völlig verschieden von einer Projektion im Sinne von "was wäre gewesen, wenn". Für diese Frage gibt es keine Quellen, und ohne Quellen sollte der Historiker nicht arbeiten.
Ihre Erwartung an die Historie ist aber insofern nicht völlig ausgeschlossen, als man sich politologischer Mittel bdienen kann. Dabei wird mehr auf Strukturen geachtet, aus denen man Schlüsse ziehen kann. Um sauber zu arbeiten, sollte der so vorgehende Historiker aber dazu sagen, dass er ein politisches Essay abliefert und keine historische Abhandlung.
Dass die Geschichtsschreibung der DDR oder anderer sozialistischer Läger mutmaßlich anders ausgerichtet war, ist naheliegend. Denn irgendwo müssen die großen Ideen / Weltanschauungen zu ihrer Chance gelangen, das Gewesene um- und neuinterpretieren zu können. (Übrigens war auch Goethe dem damals neuen Ansinnen Rankes skeptisch eingestellt. Womöglich wollte da jemand den alten Griechen und Römern den Glanz nehmen ...) Was Sie ansprechen, ist aber insofern
@eykiway: Spannende Frage, wer seine Ideale in größerem Stil verraten hat: die Sozis hier oder die Sozis in der DDR oder die Kommunisten in der ehem. Sowjetunion (die Frage ist nicht wirklich ernst gemeint).
Lieber Schlesinger,
1. ist unser Disput Beleg für den Grund Ihrer Fragestellung.
2. sehe ich in dem von Ihnen zitierten und mir unbekannten alten Ranke und zu dem von mir geschriebenen Satz, dass aus der Geschichte Lehren gezogen werden sollen, keinen Gegensatz.
3. ist die bisherige Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen (ist nicht von mir) und damit unterschiedlicher perspektivischer Betrachtung unterzogen
4. wird z.B. im Juli jedes Jahr das hätte/wenn und aber der Geschichte zelebriert, es handelt sich um das Attentat von Stauffenberg. Fast völlig ausgeblendet wird der antifaschistische Kampf der Arbeiterklasse. Warum? Wäre es zum einheitlichen Handeln dieser Kräfte gekommen, der Geschichtsverlauf hätte sich anders vollzogen. Lehren für heute? Aber sicherlich.
5. entwickeln sich perspektivische Betrachtungen von unterdrückten Klassen während ihrer Existenz als unterdrückte Klasse mit dem Ziel der Rechtfertigung der Lage oder der Befreiung aus dieser Lage. Ohne den letzten Teil gilt das auch für die herrschende Klasse.
Zitat: Über geschichtliche Ereignisse beklagt man sich nicht, man bemüht sich im Gegenteil, ihre Ursachen zu verstehen und damit auch ihre Folgen, die noch lange nicht erschöpft sind. F. Engels 1855
mit linken Grüßen
luggi
@ luggi
zu 1. kann nicht nein sagen
zu 2. stimme zu
zu 3. man kann einiges aus dem DIAMAT lernen, aber dieser ideologische satz ist eine beinahe gewalttätige Verkürzung des ganzen Lebens, das schon immer aus viel mehr als Materialismus bestand, und mag man noch tausenmal wiederkäuen "Das Sein bestimmt das Bewußtsein". Man nehme einen beliebig tief Religiösen, einen echten Künstler, einen Hochleistungssportler. Deren Lebenswelt wird primär von anderen Dingen als ihren materiellen Rahmenbedingungen definiert.Man kann als Außenstehender natürlich immer mühelos seine Interpretation über deren eigene Wahrnehmung stülpen. Das ist ja das Bequeme an Ideologien ;-)
zu 4. Ihre kritik hat ihre Berechtigung. Aber das hat sich in den letzten einigen Jahren schon deutlich gebessert.
zu 5. der Klassengedanke wird aus guten Gründen heute eigentlich von keinem namhaften Soziologen mehr verwendet. Ich meine ebenfalls, er hat sich überlebt. Man versuche mal, die "Arbeiterklasse" zu definieren. Da werden Sie enormen Problemen begegnen. Nur ein kleiner Hinweis: Ich kenne eigentlich niemanden, der nicht irgendwo ein Aktienpaket hat. Damit ist er / sie schon Kapitalist.
Dem Zitat von Engels wiederum kann ich zustimmen.
Danke für die anregende Debatte!
Mit Grüßen irgendwo aus der nicht definierbaren Mitte ;-)
Ihr Schlesinger
100 Prozent Zustimmung - Kurt Schumachers wahlkampftaktischer wie auch rigoroser Antikommunismus diskreditierte auf Jahre hinaus, die Möglichkeit einer parlamentarischen Alternative links von der SPD!
...nach "hinaus" folgt natürlich kein Komma!
"...der Klassengedanke wird aus guten Gründen heute eigentlich von keinem namhaften Soziologen mehr verwendet..."
Der Klassenbegriff, so wie er in der Soziologie auch weiterhin gebraucht wird, wie ihn auch Pierre Bourdieu in erweiterter Form mittels des Begriffs des "sozialen Feldes" letzendlich verwendete, ist wohl zu unterscheiden von der Begrifflichkeit der "Arbeiterklasse" wie er im weltanschaulichen Marxismus Gebrauch findet, wo der jeweiliegen Klasse dann auch noch eine wie auch immer geartete Subjektivität wie "Bewußtsein" angedichtet wird.
Der Begriff der Klasse ist in der modernen Soziologie keineswegs zu Akten gelegt und beschreibt eben Gruppen mit beobachtbaren quantitativen wie qualitativen Eigenschaften, über deren Funktion oder Wirken läßt sich natürlich trefflich streiten!
Allerdings unterstreiche ich die Feststellung, dass Häme gegenüber der SPD seitens der Partei, der ich selber angehöre (Ex-WASG'ler)
,keineswegs angebracht ist, da die "Linke" ja im Grunde nun selber klassische Positionen der Sozialdemokratie einnimmt und da stellt sich sogleich die Frage, welche spezifische Funktion die Sozialdemokratie im Kapitalismus überhaupt ausfüllt. Wenn man bedenkt, dass das Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" dem Ideengebäude, einschließlich der Sozialisierungvorhaben und der Fortentwicklung der betrieblichen Mitbestimmung, dem Ordoliberalismus angehört, so könnte man wie Olof Palme und Willy Brandt Anfang der 70er bemerkten, sich fragen: Ist die Sozialdemokratie lediglich die Krankenschwester am Bett des Patienten Kapitalismus? Oder hat sie wirklich eine eigene Konzeption oder sogar gesellschaftlichen Entwurf bzw. Gegenentwurf zu bieten?
P.S.: Unter dem Diktat des Blairismus ist sie jedenfalls oft genug einfach nur Steigbügelhalter korrupter Eliten gewesen - das läßt sich nicht mehr von der Hand weisen!
Lieber G. Navetta, vielen Dank für Ihre weiterführenden Anmerkungen! Stimme Ihrer Trennung zw. dem ideologischen Begriff "Arbeiterklasse" und dem soziologischen Klassenbegriff voll zu.
Allerdings sehe ich den "alten" soziologischen Klassenbegriff doch etwas anders. Er hat m.E. zwar noch seine Bedeutung als soziologische Historie, aber die Entwicklung der Beschreibung von gesellschaftlichen Gruppierungen hat sich seit dem 19. Jahrhundert bis heute zunehmend entwickelt von horizontalen Schichtungsmodellen, die anfänglich (fast) ausschließlich auf ökonomischen Kriterien beruhten, über Mischformen horizontaler / vertikaler Schichtungsmodelle, in denen erstmals nicht-ökonomische Kriterien wie Bildung hinzutraten, bis schließlich zu den Flickenteppichen, die die modernen "Milieus" beschreiben, bei uns etwa vertreten durch die "Erlebnisgesellschaft" von Schulz, bei dem die gröbsten Hauptkomponenten Alter Bildung darstellen, die dann weiter unterteilt werden, und die Personen in einer komplexen Matrix verorten.
Damit ist nicht gesagt, dass man mit dem alten horizontalen Klassenmodell nichts anfangen kann, es genügt aber bei weitem nicht mehr, um komplexe moderne Gesellschaften abzubilden.
D'accord!!! Siehe Bourdieu! Obwohl er seinen "Feinen Unterschieden" später im "Elend der Welt" wieder die groberen Unterschiede hinzufügte...ein erschütternde Analyse übrigens... ...seufz... ...es gäbe soviel zutun...ich muß verrückt gewesen sein, als ich das Fach der Politischen Ökonomie aufgrund der berechtigten Hasstiraden Pierre Bourdieus gegen die neoliberale Invasion auswählte, zusammen mit seiner Aufforderung dann besser als die "Chicago-Boys" zu sein... ...aber vielleicht im Verbund mit anderen, Philosophen, Historikern, Soziologen, den Psychologen kann man vielleicht etwas erreichen. Fragt sich nur, wieviel progressive "Think Tanks" wir dann bräuchten... ...mir scheint unzählige?!
@GN, ich fürchte ich weiß wovon Sie sprechen... aber niemand hat so breite Schultern, die Welt zu schultern, obwohl ich früher zu dieser Auffassung tendierte, wie ungefähr 1000 andere Kommilitonen ;-) Eine echte leistung dürfte schon darin bestehen, angesichts der relativen eigenen Einflusslosigkeit nicht das Lager zu wechseln (wozu es unzählige Beispiele gibt), aber auch nicht in Gram, Schwarzseherei und Verdruß zu versinken (wozu es unzählige Beispiele gibt ;-), sondern wie Hoimar von Dithfurt angesichts der potentiellen Katastrophe ab und zu mal ein Apfelbäumchen zu pflanzen :-)
Würde ich mir auch öfters für Freitags-Beiträge aus der Community wünschen...
Freue mich jedenfalls jetzt schon, weitere Beiträge / Kommentare von Ihnen zu lesen! Beste Grüße, S