Hat Eulenspiegel gespielt?

Replik Die PARTEI ist keine Spaßpartei und ihre Inhalte sind auch nicht beliebig

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Einer der Entwürfe für ein sogenanntes Großplakat
Einer der Entwürfe für ein sogenanntes Großplakat

Bild: Die PARTEI

Als 1980 in Zürich ein heftiger Konflikt um ein alternatives Jugendzentrum entbrannte, gab es von Staatsseite zwei Strategien die Jugendbewegung zu zerschlagen, einerseits gab es den Versuch, die Jugendlichen in Straßenkämpfe mit der Polizei zu verwickeln und andererseits den Versuch, sie durch Einbindung in den bürgerlichen Diskurs durch dialogisieren zu delegitimieren. Gegen das erste Vorgehen wurde mit unkonventionellen Demonstrationsmethoden, wie "Nackt gegen Gewalt", reagiert. Zu dem zweiten Vorgehen wurde eine völlig neue Strategie entworfen, dass "Müllern". "Müllern heißt: den Gegener in dessen eigener Rolle bloßstellen, die Vorurteile und Wünsche auszusprechen, die sich dieser nicht zu sagen traut. Müllern heißt: sich maskieren, um seinen Gegner zu entlarven. Oder auch: sich als Spießbürger auszugeben" [1]

Timo Stukenberg echauffriert sich in seinem Artikel "Die wollen nur Spielen" [2] über die Partei die PARTEI und ihrem angeblich so beliebigen Wahlkampf. Dabei richtet sich Stukenbergs Kritik nicht allein dagegen, dass sich die PARTEI angeblich über Wahlinhalte anderer Parteien lustig macht, "sondern über alle, die sich politisch engagieren" [3] Dies wird dann auch anhand des Beispiels der "iDemo" demonstriert, wo die PARTEI in Berlin eine Demonstration durchführte, wo ihre Teilnehmer anstelle von Spruchschildern an Stangen montierte Tablet-PCs trugen, auf der Parolen erschienen, die vorweg jeder Internetnutzer bei der PARTEI eingeben konnte. Dadurch, so Stukenberg, würde die PARTEI die politische Partizipation an sich verspotten.

Auf den ersten Blick erscheint Stukenbergs Argumentation einsichtig und zutreffend, doch wenn man über den äußeren Schein des Sachverhalts hinausgeht und das innere Wesen dieser "iDemo"-Demonstration und auch das sonstige Verhalten der PARTEI an sich betrachtet, ist der Verwurf falsch. Tatsächlich führt die PARTEI vor Augen, was allen Schulunterricht, neueren Studiengangsausrichtungen der politischen Wissenschaften, Glossen politischer Journalisten und Sonntagsreden von Staatsmännern (und -frauen) entgegenläuft: Eine echte politische Partizipation ist für weite Teile der Gesellschaft nicht mehr gegeben. Was hierzulande unter dem Titel "politische Partizipation" stattfindet (und stattfinden kann) ist eine Groteske.

Zwar sind die bürgerlichen (und jedermanns) Grundrechte weiterhin in Kraft und jeder Verfassungsrichter wird bestätigen, dass sie nicht in ihrem Wesen angetastet seien, doch tatsächlich fristen diese Grundrechte nur noch ein Schattendasein ihrer selbst. Entweder sind sie in ihrer Form her durch staatliche Gewalt so beschränkt, dass sie für breite Schichten der Bevölkerung nicht mehr wirksam ausgeübt werden können oder sie werden durch die vorherrschenden gesellschaftlichen Kräfte durch Beliebigmachung de facto unwirksam.

Schon alleine das aktuelle Geschehen um die Bundestagswahlen 2013 macht diese These deutlich. Da sind die Medien voll davon, dass es keinen Wahlkampf gab, da stellen Journalisten anheim, dass eine echte Wahl zwischen politischen Alternativen nicht mehr gegeben sei - und auch in der Bevölkerung äußert sich die Resignation, dass eine echte Wahl nicht möglich sei. Alles was als Wahlkampf präsentiert wurde, ist eine medial herbeigeführte künstliche Aufmachung von theaterspielenden Berufspolitikern. Selbst die Thesen der Wahlprogramme einzelner Parteien kann - falls man diese schlecht geschriebenen Wälzer überhaupt lesen möchte - von einem mündigen Bürger nicht mehr ernst genommen werden, wenn schon im Vorfeld Berufspolitiker äußern, diese würden dann sowieso den Koalitionsverhandlungen geopfert werden und die Wähler wüssten es ja schon.

Herbert Marcuse schreibt in seinem Essay "Repressive Toleranz" von 1964: "In der gegenwärtigen Periode wird das demokratische Argument zunehmend dadurch hinfällig, daß der demokratische Prozeß selbst hinfällig wird. Die befreiende Kraft der Demokratie lag in der Chance, die sie abweichenden Ansichten auf der individuellen wie gesellschaftlichen Ebene gewährte, in ihrer Offenheit gegenüber qualitativ anderen Formen der Regierung, Kultur und Arbeit - des menschlichen Daseins im allgemeinen. Die DUldung der freien Diskussion und das gleiche Recht gegensätzlicher Positionen sollte die verschiedenen Formen abweichender Ansichten bestimmen und klären, ihre Richtung, ihren Inhalt, ihre Aussichten. Aber mit der Konzentration ökonomischer und politischer Macht und der Integration gegensätzlicher Standpunkte einer Gesellschaft, welche die Technik als Herrschaftsinstrument benutzt, wird effektive Abweichung dort gehemmt, wo sie unbehindert aufkommen konnte: in der Meinungsbildung, im Bereich von Information und Kommunikation, in der Rede und der Versammlung."

Dieses heutzutage hochaktuelle Essay von Marcuse führt weiterhin an, die Semantik der Wörte sei dermaßen stabilisiert, dass ein argumentativer Widerspruch in einer rationalen Diskussion von vornherein ausgeschlossen ist und in sein Gegenteil verkehrt würde: "Sich selbst bestätigend, stößt der Diskussionsgegenstand den Widerspruch ab, da die Antithese im Sinne der These neubestimmt wird." Als Beispiel nennt Marcuse die Diskussion über Krieg und Frieden, die zum Inhalt hat, wenn man für den Frieden sei, müsse man Krieg (oder Kriegsvorbereitung) fordern, denn nur dadurch könne der Frieden hergestellt werden und andersherum ist derjenige, der den Krieg fordert, derjenige, der den Frieden herstellt. Man konnte dies aktuell ja gerade in der deutschen Medien-"Diskussion" um einen Militärschlag der USA gegen Syrien beobachten.

Doch dann muss man Marcuses Argumentation tatsächlich noch weiterführen und feststellen, dass neben den diskursiv-semantischen Ausschluss des Widerspruchs heutzutage auch der sozio-ökonomische Ausschluss aus dem gesellschaftlichen Diskurs stattfindet. Welche realen Möglichkeiten haben heutzutage Arbeitslose, Leiharbeiter, prekär Beschäftigte und soziale Randgruppen ihre Interessen einzubringen? Ja, sie können die LINKE wählen und tatsächlich verspricht die LINKE, solange sie noch unter politischer Quarantäne steht, eine Linderung der größten Nöte dieser gesellschaftlichen Schichten, freilich ohne eine gesellschaftliche Perspektive für die Betroffenen anzubieten. Eine reale Änderung führt aber die Wahl der LINKEN nicht herbei - zu mächtig sind die Eliten und zu sehr können sie sich dabei der Unterstützung der gesellschaftlichen Mitte sicher sein, als dass die Linksfraktion im Bundestag mehr als eine Mahnerin sein könnte.

Auch "von unten her" sich organisieren wird zunehmend undurchführbarer. Während sich die Partei "Pro Deutschland" für ihre unzähligen, provokativen und hetzerischen Kleinstversammlungen der Unterstützung durch Hundertschaften der Polizei sicher sein konnte, wurde einige Monate zuvor von derselben Polizei eine Großdemonstration in Frankfurt gegen die Bankenmacht unter der fadenscheinigen Begründung des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufgelöst.

Und mit der zunehmenden Organisierung des Internets und seiner totalen Überwachung kann nunmehr sichergestellt werden, dass die Gesellschaft und sogar jeder Einzelne bereits heute schon vollständig gelenkt und analysiert werden kann (und wird). Wobei zusätzlich die Fülle des Internets inzwischen jede Information beliebig gemacht hat und nun alles gilt. Wenn die Meinung des Unverständigen das gleiche Stimmgewicht [4] hat, wie die Meinung des Verständigen, dann ist der Verständige auf jedem Gebiet in der hoffnungslosen Unterzahl und bedeutungslos. Wie richtig ist es da, der liquid democracy einer Piratenpartei eine iDemo gegenüber zu stellen.

Man muss die PARTEI nicht mögen, man muss sie noch weniger wählen. Aber sie ist keine Spaßpartei, echte Satire ist immer ernst! Mit ihrer zentralen Aussage "Inhalte überwinden!" gibt sie nur das zum Ausdruck, was alle anderen Parteien und parlamentarischen Fraktionen klammheimlich bereits praktizieren. [5] Die "Beliebigkeit" der PARTEI ist dann eben auch nicht Beliebigkeit, wie Stukenberg nahelegt, sondern systemimmanente Kritik am Parlamentarismus und seinem unübersehbaren Verfallsmoment überhaupt. Da, wo nichts mehr zählt, kein Unterschied mehr möglich ist, da sind Argumente bereits überflüssig geworden.

[1] Handbuch der Kommunikationsguerilla, VLA
[2] Freitag Online, 19.9.2013, http://www.freitag.de/autoren/timostukenberg/die-wollen-nur-spielen
[3] s.o.
[4] Sic! denn es gilt in der postmodernen Gesellschaft die Quantität und nicht die Qualität des Arguments.
[5] Als Beispiel sei nur genannt, in einem wilden Durchlauf die Jungenbeschneidung zu legalisieren, um mehrere Monate später (nach einem jahrelangen parlamentarisch-bürokratischen Prozess) jegliche Mädchenbeschneidung unter ein extrem verschärftes Strafrecht zu stellen. Hie wurden die Argumente dagegen als unzulässig abgeleht, hie wurden dieselben Argumente als unanfechtbar dargestellt. Wer hierin die Irrationalität und Beliebigkeit von Standpunkten nicht erkennen kann, hat schon lange mit eigenständigen Denken aufgehört.

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