Konfuzianismus und Moderne

Beitrag zur Ethik Debatte Ausgehend von einem Essay von Prof Wang Zhicheng, (Übersetzung ins Englische: JR's China Blog) habe ich ein Abstact geschrieben und einen eigenen Kommentar dazu verfasst

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das deutsche Abstract der Übersetzung von JR’s China Blog

Die Analyse, die Prof. Wang Zhicheng in "Confucianism and Modernity" erstellt, umfasst Wurzeln und gesellschaftliche Wechselwirkung des Konfuzianismus aus historischer Perspektive. Und sie enthält Strategievorschläge für eine mögliche Revitalisierung, um dem Verlust an Bedeutung entgegenzuwirken, von dem der dieser, besonders seit der "Bewegung des vierten Mai" (1919) betroffen war, für die der Konfuzianismus ein Angriffsziel war.

Über den Bedeutungsverlust als solches sind sich alle in dem Essay vorgestellten unterschiedlichen Gelehrten einig. Über die Bedeutung und über mögliche Konsequenzen, die das aktuell hat sind die zitierten Vertreter unterschiedlicher Schulen und Strömungen ganz verschiedener Meinung und ihre abweichenden Positionen werden in diesem Essay vorgestellt. Das Spektrum reicht dabei dabei von dem Standpunkt, den Befund entweder nur zu einzuordnen und den Konfuzianismus zu schützen, die allgemein veränderten Bedingungen als das, was sie sind zu akzeptieren, um daraus entsprechende Vorstellungen über eine neue, zeitgemäße Rolle des Konfuzianismus abzuleiten, bis zu der Forderung und gegenteiligen Konsequenz, diesen durch ein auf die chinesische Identität basiertes Verständnis im Rahmen der globalisierten gesellschaftlichen Bedingungen, speziell auch mit Blick auf die Konkurrenz und Dominanz der westlichen Systeme, zu verändern, um durch seine Neuausrichtung und Reorganisation ein positives Angebot und einen Beitrag an die Menschen der ganzen Welt beizutragen.

Zu den eher duldenden Vertretern, die aus den globalen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen auch eine veränderte Bedeutung für den zukünftigen Konfuzianismus ableiten wollen und die das traditionelle Rollenverständnis hinter sich lassen sollte, zählt Prof Yu Yingshi, der sagt, dass es keine Verbindung mehr zwischen dem "inneren Weisen" und dem "äußeren König" gibt. Mit diese fehlenden Verbindung ist, seiner Meinung nach, der ideologische Kern der Konfuzianischen Mythologie in ihrer traditionellen Überlieferung und Praxis nicht mehr gegeben. Er schließt daraus, dass der Konfuzianismus nicht länger Einfluss auf das institutionelle System, also Politik und Gesellschaft ausüben sollte, wie es seiner historischen Rolle entspräche und dass die einzige für ihn angemessene Art und Weise, Werte zu schaffen die sei, dass er zu einem Teil des täglichen, aber ausschließlich privaten Lebens der Menschen werde.

Eine ähnliche Position vertritt Tu Weiming, der die Frage nach der Bedeutung des Konfuzianismus in den letzten zehn Jahren vor dem Hintergrund der westlichen Zivilisation analysiert hat. Er geht aber über eine rein private zukünftige Rolle hinaus und versucht den Konfuzianismus vor einem Hintergrund neu zu definieren, die den globalisierten Hintergrund, Ökologie, Feminismus und religiöse Pluralität mit einbezieht. Er fordert, dass sich der Konfuzianismus als eine Religion unter weltweit vielen begreifen lernen und so in einen Dialog mit den anderen Religionen eintreten muss. Er gehört zu einer Bewegung, die sich "Contemporary New Confucianism" nennt. Diese begreift den Konfuzianismus als eine lokale chinesische Ressource von Weisheit, die aber eine sinnvolle gemeinsame Ressource beitrage und zur globalen kulturellen Vielfalt hinzufügen könnte. Allerdings sollte er sich dabei, auch nach dieser Vorstellung von der Beteiligung an der Politik enthalten, die ihn früher eben ausgemacht hat.

Andere Positionen sind z.B. die "Confucian Panda theory" von Prof Zhang Xianglong. Er sieht den Konfuzianismus als schützenswertes Kulturgut gefährdet und vertritt die Idee von Schutzzonen für die konfuzianische Kultur, die auch Reservate miteinschließen, ähnlich, wie es Schutzzonen z.B. für Panda Bären gibt. Deshalb die Bezeichnung. Er glaubt, dass der Konfuzianismus ein wertvolles kulturelles Angebot ist, das aber ohne massiven kulturellen Schutz ganz einfach verschwinden und aussterben würde, wie die Pandas, wenn man sie nicht schützt.

Jiang Qing von der Yangming Jinshe Academy setzt sich für die "Outer King" Doktrin ein. Dieser, "gongyang theory" genannte Ansatz stellt so ziemlich das Gegenteil von dem dar, was Prof Yu Yingshi fordert. Jiang Qing befürwortet nachdrücklich die Schaffung eines neuen "Outer King", eines neuen äußeren Königs also, um den Konfuzianismus auf dieser Grundlage zu politisieren und um ihn so in die Lage zu versetzen den westlichen kulturellen, politischen und religiösen Systemen zu begegnen. Er ist der Ansicht, dass der Konfuzianismus nicht nur eine Schule sei, sondern durch seinen Charakter kulturell einzigartig - ein autarkes zivilisatorisches System und hält den "Contemporary New Confucianism" sogar für eine große Gefahr, durch seine Unfähigkeit, einen neuen äußeren König hervorzubringen. Es geht ihm dabei eher um eine ganz eigene religiöse Identität, die für die Identität der Chinesen überhaupt konstitutiv ist und die er beleben will, um auf die aktuelle umfassende westliche Herausforderung angemessen zu reagieren. Andere Theoretiker sehen das ähnlich und wollen den Konfuzianismus institutionalisieren und politisieren. Neben wissenschaftlichen "Bird’s Perspective Confucian" genannten Theorien, vertreten zum Beispiel durch Prof Fang Litian oder Prof Tang Yijie, die sich auf eine marxistische Analyse beschränken, daraus aber keinerlei Konsequenzen ableiten, wäre noch Peng Guoxiang zu erwähnen, der zwischen Positionen, die dem Konfuzianismus eine weiterhin aktive Bedeutung zusprechen eine Art Synthese versucht. Diese will die den eher humanistischen Ansatz des "New Confucianism" von Tu Weiming, Liu Shuxian und anderen mit den religiösen Traditionen verbinden, die den Konfuzianismus aber auch explizit von den westlichen Abrahamitischen Religionen unterscheiden, mit denen er in einen Dialog eintreten muss.

Soweit mein verkürzter Überblick. Prof Wang Zhicheng zieht an dieser Stelle ein Resümee aus den vorgestellten Ansätzen und Strategien der konfuzianischen Gelehrten und äußert seinen tiefen Respekt vor ihrer Arbeit. Gleichzeitig fragt er nun selbst, ob es für den Konfuzianismus eine Chance für eine "modernen Entwicklung" gibt. Der Maßstab, den er dabei für eine Bewertung seiner Frage anwendet, setzt bei der Idee einer zu erwartenden "neuen Achsenzeit" von Karl Jaspers an.
An dessen "sieben charakteristischen Bewusstseinsmodi" für diese neue Epoche misst er den Konfuzianismus:

(1) globales oder ganzheitliches Bewusstsein
(2) ökologische oder Erde Sensibilisierung
(3) feministisches oder Yin Bewusstsein
(4) Dialog Bewusstsein oder das Bewusstsein für die anderen
(5), interkulturelle Kompetenz
(6) Nicht -Realismus (nicht-Essentialismus, nicht Fundamentalismen)
(7) Lebensbewusstsein

Er führt aus, dass er dieses Konzept, auch im Sinne einer Erneuerung des Konfuzianismus, für wertvoll hält, glaubt aber, dass sich die Vertreter des New Confuianism, Tu Weiming, Liu Shuxian und Andere zu sehr an konservativen katholischen Vertretern dieser Achsenzeittheorie (Ewert Cousins, Leonard Swidler) orientieren und radikalere Entwürfe zum von Don Cupitt and Karen Armstrong nur ungenügend für ihre Adaption auf den Konfuzianismus in Betracht ziehen. In seiner abschließenden Analyse vergleicht Prof Wang den Status Quo und die Möglichkeiten des Konfuzianismus mit der der christlichen Religionen innerhalb der Situation, so wie sie sich seiner Meinung nach durch die historische Entwicklung und die aktuelle Realität der Gesellschaft ergeben. Den entscheidenden Unterschied sieht er in einer wesentlich stärkeren Differenzierung der christlichen Religion, die wie er sagt trotz vieler interner Spannungen und Auseinandersetzungen mit der säkularen Ordnung im Gegensatz zum Konfuzianismus nicht zu einem "umherirrenden Geist" geworden sei. ("roaming ghost") Er bezieht sich dabei auf Raimon Panikkar, einen katholischen Religionsphilosophen, der streng zwischen der christlichen Religion, dem Christentum, das er als Gesellschaftsform für Vergangenheit hält und einer säkularen Gesellschaft, die sich in Übereinstimmung mit christlichen Überzeugungen befindet, die Religion aber im Wesentlichen in den privaten Alltag integriert hat unterscheidet. An diesem Punkt sieht Prof. Wang den Konfuzianismus noch nicht angekommen und verleiht seiner Hoffnung Ausdruck dass der sich durch die Begegnung und die aktive Teilhabe an der Achsenzeit in trotzdem eine ähnliche Richtung entwickeln könnte wie die christliche Religion es praktisch vorexerziert hat.

Soweit meine Zusammenfassung der, wie ich meine, recht umfassenden Analyse zur Bedeutung des Konfuzianismus durch den Essay von Prof Wang Zhicheng. Da ich in Bezug auf die hier angeboteten Details der chinesischen Kultur auch nur ein Laie bin sind die Informationen, die ich über den Essay erhalte für mich auch eher eine Quelle, als dass ich substantiell und inhaltlich dazu etwas ergänzen, geschweige denn korrigieren könnte.

Mein Kommentar zu diesem Essay

Was das, meiner Ansicht nach, eigentlich zugrunde liegende Problem betrifft, so glaube ich, dass weder die vorgestellten Ansätze, noch die abschließende Analyse von Prof Wang Zhicheng ursächlich zu den eigentlichen Kernproblemen durchdringen, die verantwortlich für den Bedeutungsverlust des Konfuzianismus sind. Weshalb auch das abschließende perspektivische Fazit im Zusammenhang mit der neuen Achsenzeit in meinen Augen in der Luft hängen bleibt. Die wirkliche Basis für diesen Verlust an Bedeutung ist meines Erachtens universell und nicht nur auf den Konfuzianismus beschränkt. Es handelt sich um eine grundsätzliche Krise, in der sich alle Religionen auf dieser Welt zur Zeit befinden, speziell die so genannten Weltreligionen. Und mit ihnen auch die jeweilige Gesellschaft, unabhängig von der ganz speziellen religiösen Indentität oder Eigenart die sich in ihr ausgebildet hat. Es geht dabei um die Abtrennung der Grundlagen, aus denen heraus der Glaube der Gesellschaft die Kraft zur Verfügung stellen konnte, um die säkulare Organisation der Welt in Politik, Kultur und Wirtschaft durch eine effektive, d.h. mehr oder weniger bindende, real verpflichtende Ethik und die private Moral der Menschen zu bestimmen oder zumindest entscheidend zu beeinflussen. In dem Zusammenhang schätzt Prof Wang Zhicheng m.E. auch die Rolle, die der Religion in unserem christlichen geprägten Kulturkreis geblieben ist völlig falsch ein. Sie wird von ihm idealisiert und in ihren Möglichkeiten falsch- bzw. überbewertet. Die weltlich gewordene Heiligkeit, von der er schreibt, ist völlig profanisiert und trivial geworden. Sie hat auch praktisch keine politische und wenig gesellschaftliche Relevanz, in Bezug auf die ethischen Maßstäbe und/oder moralischen Kriterien, auf deren Basis wichtige politische und gesellschaftiche Prozesse entschieden werden oder sich das Verhalten ganzer Gruppen von Entscheidungsträgern ausrichtet. Auch wenn es einzelne herausragende Figuren gibt, die versuchen, das zu durchbrechen wie z.B. den aktuellen Papst. Das, was die Religion einmal ausgemacht hat, ist per definitionem durch die Trennung von Staat und Kirche nicht mehr wirklich aktiv. Und da, wo es sich aktiv gibt ist es entweder zu einer Lobbyveranstaltung oder zu einer Farce verkommen. Das Gleiche gilt auch für die anderen Abrahamitischen Religionen, das Judentum und den Islam. Für den Islam mit beinahe entgegengesetztem Charakter. Der politische Islam ist weit weg von der inneren Weisheit des Glaubens und der Kompetenz eines "äußeren Königs" ("Outer King"), der so etwas wie eine humanistische Ethik mit einschließen würde. Und der Islam der "einfachen Menschen" unterscheidet sich kaum von der Praxis unserer Feiertagschristen. Die Abendländischen Religionen haben, genau wie der Konfuzianismus ihre praktische Bedeutung für die Gesellschaft fast ganz verloren. Und das gilt auch für die persönliche Suche der Menschen nach einem Sinn, der sie auch in die Gesellschaft einbindet, der ihnen Halt geben könnte und ihrer isolierten Existenz eventuell Erlösung versprechen könnte. Das ist die eigentliche Wurzel der konfuzianischen Krise, ebenso wie der Krise unserer säkularen Gesellschaft: Eine Bewusstseinskrise, die die Menschheit nach der Aufklärung überall auf der Welt erschüttert und nicht nur in unserem Kulturraum. Weil die Menschen nicht mehr wirklich an eine übergeordnete metaphysische Instanz glauben können, der sie, mit Blick auf diese Instanz und ihr eigenes "Seelenheil" auch ihr weltliches Handeln unterordnen wollen. Oder wenn sie daran glauben können, dann eben in in völlig reaktionären Formen, wie "Kreationismus", "Wahabismus", "Salafismus", den Vorstellungen des radikalen Islams. Das, worum es bei einer Wiederbelebung des Konfuzianismus gehen müsste, kann man nicht so einfach aus dem Hut zaubern, etwa durch "Panda Bären Reservate" die man für ihn bereitstellt, oder die Privatisierung der konfuzianistischen Ethik. Und diese Situation teilt der Konfuzianismus prinzipiell mit allen großen Religionen, soweit sie auf sich Augenhöhe unserer Zivilisation befinden. Werteverlust, Nihilismus und die Beliebigkeit der westlichen Welt, mittelalterliche Brutalität der islamistischen Reaktion und die Bedeutungslosigkeit des Konfuzianismus, all das hat ein und dieselbe Wurzel.

Übersetzung ins Englische: JR’s China Blog (https://justrecently.wordpress.com/2009/05/30/confucianism-and-modernity-1/)
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

schna´sel

Flüchte nichtin ein Land,in dem der GeizhalsSchätze hortet

schna´sel

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden