Revolution?

Sprache und linkes Denken Ein Beitrag zu der Idee, die Linken müssten ihre Sprache verändern um "die kleinen Leute" wieder erreichen zu können.

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Revolution?

Ist es möglich, das politische Bewusstsein der Bevölkerung dadurch verändern, dass man rein konzeptionell die eigene Sprache verändert? Aus aktuellem Anlass, nämlich dem Artikel "Wo bleibt der Stolz?", hier im Freitag, in dem es darum geht, die alten Schichten der Klassenkampf Theorie durch Änderungen in der Sprache der Linken zurück zu gewinnen. Da bereits in dem Teaser des Artikels der Begriff "Klassenkampf" auftaucht, und sich Nils Markwardt in seinem Text auf klassische aber auch aktuelle Theorie von Didier Eribon und Daniele Giglioli bezieht, ist es sicher auch angebracht in dem Zusammenhang auch an den Begriff Revolution zu denken.

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Dazu zunächst ein Gedicht von mir:

Revolution!

Revolution? Das kennen wir schon.
Wenn Verhältnisse purzeln
die entwurzelten Wurzeln
dieser ganz schrille Ton:
„Das habt ihr davon!“

Demokratie? Wir verkaufen das Vieh.
So behalten Genossen
ihre sauberen Flossen
und so geh’n nicht nur die
vor dem Geld in die Knie.

Brüderlichkeit, die uns alle befreit:
Neue Herren gestalten
jetzt Verbraucherverhalten.
Wenn die Masse dann schreit:
„Macht euch alle bereit!“

bleibt es anders beim Alten
denn die Brüder erhalten
von der Macht ihren Lohn.
Und das kannten wir schon

Revolutionäre Sprache?

Dass Sprache und Denken zusammenhängen, ein Ausdruck für politisches und gesellschaftliches Bewusstsein sind - wer wollte das bestreiten? So schreibt z. B. der Linguist Jürgen Trabant:

»Wenn Sprache auf das Denken einwirkt und umgekehrt, dann muß dieses Verhältnis geklärt werden, um zu richtigen Einsichten, zur Wahrheit, zur Wissenschaft, zur Revolution zu gelangen. Die Aufklärung der Sprache ist gleichsam der Weg auf dem die Aufklärung der Köpfe vonstatten geht und damit die Errichtung aufgeklärter Verhältnisse in der politischen Realität.«

Ich denke, das ist schon das Bewusstsein, vor dem solche Artikel entstehen wie der, auf den ich mich beziehe. Und das beschreibt auch den Hintergrund der linken Sozialisation, die Menschen wie sie der 1953 geborene Denker Didier Eribon erfahren haben mögen. Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt zum Thema "Revolution der Sprache?"

»Auch die 68er-Bewegung wollte eine radikale Veränderung der bundesrepublikanischen Verhältnisse erreichen und sympathisierte mit der von Mao und seinen Roten Garden initiierten Kulturrevolution in China. Statt aber gewaltsam gegen einzelne Machthaber und Institutionen vorzugehen attackierten die Aktivisten jene Rituale, in denen ihrer Meinung nach gesellschaftliche Machtverhältnisse gespiegelt und zugleich reproduziert wurden.
[...]
In den meisten dieser Rituale spielte das Sprechen eine zentrale Rolle und wurde zum zentralen Gegenstand der Kritik.«

Zur der Problematik der aktuellen Situation fallen mir aber eher solche sprachlichen Elemente ein, die sich heute ganz selbstverständlich mit dem Begriff Revolution verknüpfen können: Die so genannten Farbrevolutionen beispielsweise. Und wenn ich diesen Begriff, unabhängig von den jeweiligen Umständen, den damit verbundenen Veränderungen, und ausschließlich auf der Ebene der Sprache betrachte, so wie Nils Markwardt es als Lösung für die Probleme der Linken vorschlägt, dann erscheint mir die Möglichkeit, dass diese Revolutionen sich rein sprachlich auf einen Farbwechsel reduzieren lassen nicht weit her geholt. Revolution wird zu einer neuen Modefarbe, die eine alte ablöst. Und wenn man jetzt behaupten will: Auf die Idee kommt niemand, weil sich jeder natürlich an die politischen und gesellschaftlichen Inhalte dieser Revolutionen erinnert, dann behaupte ich, dass das vielleicht für politisch engagierte Menschen gilt, aber nicht für die flüchtige Wahrnehmung und die diese Sprache, die bei den Massen erzeugt und vermutlich auch erzeugen soll. Corporate Identity statt konkreter Inhalte, darauf werden die Menschen dressiert, wie die Pawlowsche Hunde.

Die Wikipedia schreibt:

«Farbrevolutionen sind unbewaffnete, meist friedliche, jedoch nicht immer gewaltfreie Regimewechsel seit den frühen 2000er Jahren, die nach einer identifikationsbildenden Farbe oder nach einer allgemein als positiv bewerteten Pflanze (z. B. Zeder, Rose, Jasmin, Nelke) benannt werden. Begonnen werden die Revolutionen meistens von besser ausgebildeten Studenten und auch zurückkehrenden Studenten aus Ländern, in welchen freie Meinungen publiziert werden dürfen.

2003: Rosenrevolution in Georgien
2004: Orange Revolution in der Ukraine
2005: Zedernrevolution im Libanon
2005: Tulpenrevolution in Kirgisien
2007: Safranrevolution in Myanmar
2010–2011: Jasminrevolution in Tunesien«

Alles schön bunt hier...

In meinen Augen ist das also nicht einfach nur eine Marotte, oder nur eine Veränderung des Sprachgebrauchs, die an sich keine Aussage über die Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung enthält. Ich glaube nämlich, dass sich genau in den Assoziationen auch die Veränderung verbirgt, in denen der Hase dieses Artikels im Pfeffer liegt:

Sprache mag nach wie vor ein Ausdruck individuellen Bewusstseins sein, auch politisch. Aber Sprache ist eben auch efinitiv und nach wie vor das Mittel der Wahl, um im Sinne ganz profaner Macht Einfluss auf die Bevölkerung zu nehmen, also Meinungsmacht auszuüben. Die heftige Reaktion auf, und der geradezu kämpferische Umgang mit bestimmten, politisch besetzten Begriffen spricht für sich. Sprache, vor allem Sprache im öffentlichen Raum ist viel mehr und häufig gleichzeitig sehr viel weniger, als nur der inhaltliche Ausdruck politischen Denkens. Sie erzeugt auch nicht mehr automatisch Bewusstsein, sondern wird in der Regel mit Absichten verknüpft. Und die müssen mit den Inhalten für die die Sprache steht überhaupt nichts mehr zu tun haben. Wie in den Werbebotschaften der Industrie. "Rot" bedeutet zwar immer noch links, aber dieses Rot bedeutet primär, in dem Zusammenhang, in dem es heute verwendet wird, nicht mehr als jede andere Farbe auch: es ist ein Label, das für die Interessen eines Vereins steht, der seine Inhalte verkaufen will.

In meinen Augen ist das der seit den revolutionären Tagen der 68er veränderte Hintergrund auch für die Sprache der Politik, der es heute als Unternehmen im Sinne der von allen akzeptierten Spielregeln des freien Marktes primär um die "Farbwechsel" geht, den sie erreichen will. Was genau so auch die Wahrnehmung der Bürger bestimmt, die Nils Markwardt mit seiner Farbrevolution erreichen will. Und was im Grunde genommen auch inhaltlich für das steht, was durch Politik real überhaupt noch erreicht, oder besser: nicht mehr erreicht werden kann. Etwas, das sich auf die farblich neuen Kleider des Kaisers reduzieren lässt. Einen für viele Menschen nicht mehr wahrnehmbaren inhaltlichen Unterschied zwischen Rot/Grün und Schwarz/Grün, dem jetzt als neue Modefarbe Rot/Rot/Grün hinzugefügt werden soll .

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Das Problem einer ganzen Generation

Aber bas Problem, das ich mit dem Ansatz dieses Artikels habe, ist meiner Ansicht nach symptomatisch. Und es steht in meinen Augen für einige der grundsätzlich ungelösten Probleme der Generation, auf die sich der Autor theoretisch bezieht, um die politische Unbedenklichkeit seiner Thesen gegen rechtspopulistische Parteien und deren Sprache abzugrenzen.

Ich behaupte: Eine kalkulierte und konstruierte Änderung die sich ausschließlich auf Sprache bezieht, erkennt zwar die Zusammenhänge von Denken und Sprache, aber sie ordnet das Denken und auch das politische Handeln der Sprache unter. Nicht bewusstseinsverändernd in einem künstlerischen Sinn also möglicherweise befreiend. Sie will die Sprache als Mittel zu einem ganz profanen Zweck, der Rückeroberung ihres politischen Jerusalems benutzen; und darin unterscheidet sich dieser Ansatz nicht von der Sprache der Werbung oder der PR, die den Menschen eine Ware verkaufen will.

Symptomatisch ist in meinen Augen die Haltung, die den Empfänger der eigenen Botschaft und nicht das eigene Denken in das Zentrum der Veränderung stellt. Und genau das ist für mich der Punkt, auf den ich schon in meinen Kommentaren zu dem Artikel hinweise. Es handelt sich um nichts weniger, als die Weigerung, grundsätzliche Prämissen bei sich selber zu hinterfragen; nicht um sie generell in Frage zu stellen, aber um sie wieder realistischer einschätzen zu können. Prämissen, die eine sehr illusionäre Eigenwahrnehmung erzeugt haben, die ihren Charakter aber auf dem langen Marsch durch die Institutionen schon längst verändert haben; und die, wie es aussieht, bei Bedarf auch anscheinend problemlos zum Teil der Herrschaftssysteme werden, gegen die sie immer noch vorgeben anzutreten.

Das macht die Hoffnung auf gesellschaftliche Veränderung durch die Politik so radikal sinnlos dieser Tage - in meinen Augen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

schna´sel

Flüchte nichtin ein Land,in dem der GeizhalsSchätze hortet

schna´sel

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