Theaterblut

Hiroshima und die Kultur: Wie wir die Welt erleben. Die Welt von gestern und die Welt von heute. Wie wir sie sie verarbeiten und wie wir die neue Welt erzeugen. Im Fernsehen, online und kulturell.

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Eingebetteter MedieninhaltDamals

Direkt nach dem Krieg wohnten wir eigentlich schon in einem dieser schönen Eigenheimchen. Die waren modern eingerichtet und alle hatten Kabel, über das wir rund um die Uhr Nachrichten und Unterhaltung empfangen konnten. Die Häuser hatten einen kleinen Garten mit Büschen und einer Wiese. Der Nachteil war aber, dass dieser nicht sehr groß war. Wir hatten auf allen vier Seiten nur etwa zwei bis drei Meter Platz, und wenn die Sonne hoch stand, konnten wir uns draußen ins Licht legen. Doch direkt dahinter war das Grundstück von einer haushohen Mauer umgeben. Eine alte, dicke, graue Bruchsteinmauer, die auf keiner Seite erlaubte, einen Blick auf das Nachbargrundstück zu werfen; welches im Übrigen aber auch ganz genau so aussah. Wenn man sich die Anlage von außerhalb dieser Mauer ansah, dann konnte man erkennen, dass es vier von diesen Häusern gab, deren Dächer alle wie Hütten mit Teerpappe gedeckt waren. Jedes diese Häuser hatte auf einer Seite einen Ausgang und die ganze Anlage, war wiederum mit einer hohen Mauer umgeben.

Heute

Das war nach dem Krieg. Heute sind wir weiter. Wir haben uns befreit von alter Städte grauer Mauern und von grauer Theorie. Sexuell befreit, gesellschaftlich befreit, politisch befreit. Die Häuser haben immer noch Kabel, aber die stellen heute einen DSL Anschluss zur Verfügung, um jederzeit online zu gehen, um uns unabhängig von festen Programmschemata jederzeit mit Informationen, Musik, Filmen, uns sozialen Kontakten aller Art zu versorgen.

Während wir also nun vor unserem schnellen Internet sitzen und die Berichte zum Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima sehen, geschieht es, dass eine Japanerin, eine Hibakusha auftritt, die uns uns anrührt und in ihrer blau-weißen Bluse so zerbrechlich vorkommt, wie wir uns die Japaner ehrlich gesagt bis dahin nie vorgestellt hatten. Wir blicken auf den Kragen, Hals und die Brustpartie der zarten Bluse und nehmen die Verletzlichkeit der Frau wahr. Wir glauben, ihre konkrete Verletzung zu verstehen, bis ins Unerträgliche gesteigert zusätzlich durch die Stigmatisierung die sie nach dem Krieg von all den guten Menschen unterschieden hat, die wie wir das Glück hatten, diesem außergewöhnlichen Ereignis nur in virtueller Form begegnen zu dürfen. Irgendwie macht das nachdenklich.

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Die neue Nachdenklichkeit

Die alte überkommene Ordnung der Macht, gespiegelt in der wunderbaren, neuen Ordnung unserer globalen digitalen Freiheit. Für jeden erreichbar, wahlweise ohne Limits, ohne Tabus, ohne Rücksicht auf persönliche Verluste. Die das Geld virtualisiert, Handel und Ausbeutung globalisiert und immer mehr in die Hände einiger großer weltweit operierender Onlineunternehmen verschiebt. Oh je!! Kann man diesem Herrschaftsinstrument Internet eigentlich noch blauäugiger begegnen? Diesen blinden Enthusiasmus hat es doch schon des Öfteren gegeben in Sachen schöne neue Welt. Nichts davon ist jemals übrig geblieben. Immer hat sich das als eine riesige Seifenblase entpuppt, die dann irgendwann auch geplatzt ist. Klar, jetzt ist Olympia. Aber jetzt ist auch: Doping, Erdoğan, Aleppo, Flüchtlinge, Live Berichterstattung, Hunger, Tod und Teufel, Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung, Brennpunkte von terroristischen Anschlägen. Alles in Echtzeit, frei Haus, ohne Risiko, unzensiert und selbstverständlich ganz ohne Gewähr.

Wir sind uns einig dass wir mal wieder raus müssen. Sonst fällt einem ja wirklich noch die Decke auf den Kopf. Also: Was gibt's im Kulturprogramm? Da heute der Tag ist, an dem die Amerikaner, das Grauen über Hiroshima gebracht haben, beschließen wir, den Abend nicht irgendwie zu verbringen, sondern uns diesen Dingen nicht zu entziehen, und dieseim Gegenteil zu vertiefen – im Sinne unserer bewusstseinserweiterten Kulturauffassung – durch den Besuch einer entsprechenden Veranstaltung, die wir im Internet gefunden haben,.

Theaterblut

Wir sind in der Aula einer größeren Bildungseinrichtung, wo das Theaterstück "Barfuß durch Hiroshima" gezeigt werden soll. Das basiert auf einem Comic des japanischen Zeichners Keiji Nakazawa, der als sechsjähriger Junge den Abwurf der Atombombe überlebte. Ich erinnere mich an ein Interview das ich mit ihm gesehen habe, und wie er darin schildert, dass eine Ziegelmauer, hinter der er sich befand auf ihn kippte und ihn vollständig unter sich begrub. Was ihm aber das Leben gerettet hat. Ich erinnere mich auch an eine andere Geschichte, die ich in dem Zusammenhang gehört habe, nämlich die eines anderen kleinen Jungen, dem die ganze Haut verbrannt war. Angeblich war nur noch das rohe Fleisch sichtbar. Es gab keine Medikamente, kein Wasser, kein Verbandszeug. Die Menschen schilderten, dass der Junge nur darum gebettelt habe, dass sie ihn töten sollen und nicht aufgehört habe, diese Bitte zu wiederholen.

Die Aufführung in dieser Aula findet ebenerdig statt, in einem dafür reservierten Bereich, der direkt am Ausgang liegt. Nach außen gibt es Glastüren mit großen Scheiben, wie man sie häufig ein so einer Aula oder dem Atrium eines größeren Gebäudes findet. Als die Gruppe ihre Aufführung gerade begonnen hat, komme zwei jüngere Männer herein. Die beiden sind ganz in schwarz gekleidet und, schwarze Jeans und schwarze, modische Lederjacken, wie sie in den 80er Jahren modern waren. Sie tragen einen Sarg und und wollen damit zu einem Beerdigungsinstitut, das angeblich auch in diesem Gebäude untergebracht sein soll. Aber in einem ganz anderen Trakt, den sie wie sie sagen von außen aber nicht erreichen können, weil die Türen abgeschlossen sind. Diese zwei jungen Männer stören natürlich die Veranstaltung und einer der Verantwortlichen, sagt auch sofort laut, dass das so nicht geht, und dass er ihnen die Tür aufschließen wolle. Jetzt sieht man, dass die Lederjacken auf der Rückseite mit Blut bespritzt sind und an der Stelle wirkt das schon so, als ob diese Männer zur Aufführung gehören. Sie verbreiten durch ihren Auftritt Unruhe und lösen auch Unbehagen bei den Menschen aus, was aber in der Form wohl beabsichtigt ist. Mit gefällt das nicht und ich rufe laut, dass ich die Vorstellung und das Theaterblut an der Stelle einfach nur makaber und geschmacklos finde, angesichts der Grausamkeit der Ereignisse, um die es hier geht. Aber die Vorstellung geht weiter. Die zwei Männer verspritzen sogar was von dem Blut in verwässerter Form, das aber nicht so provozierend rot leuchtet, wie die Tropfen auf ihren Jacken.

We Gotta Get out of This Place

Meine Begleiterin zieht mich am Ärmel. Ich schaue sie an und sie ergreift meinen Arm, um mich vom Stuhl und aus der Reihe weg zu ziehen in der wir sitzen. Offenbar ist sie der Meinung, dass sich die ganze Aufregung nicht lohnt, und dass wir die Zeit ergiebiger, netter miteinander verbringen sollten. Wir gehen an einem Raum vorbei, an dem eine Theatermaske mit einem lachenden und einem weinenden Gesicht und ein Schild mit der Aufschrift "Hier" angebracht sind. Eine Requisite? Ich sage: "Da gehen wir rein!" und wir verschwinden in dem Raum. Es ist, wie ich gedacht habe und weil die Schauspieler gerade auf der Bühne sind ist der Raum leer. Wir gehen auch sofort zur Sache, aber irgendwie klappt es nicht richtig. Leider fühle ich mich unsicher und so entwickeln sich die Dinge nicht so angemessen, um wirklich Spaß zu machen, obwohl wir uns beide intensiv bemühen. Ihr scheint es trotzdem zu gefallen, was sie auch verbal entsprechend zum Ausdruck bringt. Aber just in dem Moment geht die Tür auf und eine Frau, die zum Theater gehört kommt herein. Sie bringt mehrere große Tücher aus Tüll zurück; Kulissen die sie gewechselt hat. Sie ist zudem in Begleitung einiger Kinder was die ganze Sache noch viel unangenehmer macht. Zum Glück ist es dunkel, so dass wir nicht gesehen werden, und weil das ganze Material, dass die Frau trägt sehr sperrig war, haben wir gerade noch Zeit, uns unter einem großen Bett zu verstecken, das in der Requisite steht. Die Frau hat aber doch was mitbekommen und auch der Kinder wegen legt sie die Tücher so über das Bett, dass die Sicht auf uns auf allen Seiten verdeckt ist. Von unten sieht man, dass sie mit lauter Sternen bedruckt sind. Ich bin sehr erleichtert. Aber eines der Kinder scheint auch etwas bemerkt zu haben und lupft im Rausgehen nochmal kurz eines der Tücher, um unter das Bett zu linsen. Dann schließt sich die Tür...

Die Zivilisation hat uns wieder

Nachdem wir alles erledigt haben, was zu erledigen war gehen wir in die Publikumsgarderobe des Gebäudes. Dort wartet ein großer, alter Bernhardiner auf die Frau, den sie vor dem Besuch der Veranstaltung wohl dort abgegeben hatte. Direkt nebenan gibt es eine Cafeteria und der Bernhardiner, der sie zuvor freudig begrüßt hatte legt sich bequem auf den Boden um gleich alle Viere von sich zu strecken. Sie hebt noch eine seiner Pfoten hoch, aber das scheint ihn gar nicht zu interessieren. Er liegt einfach faul und irgendwie auch schon betagt auf dem Boden. Aber genau in dem Moment kommt mein eigener Hund herein, den ich bereits völlig vergessen hatte. Das genaue Gegenteil dieses Bernhardiners, auch schon grau, aber viel kleiner und ganz struppig. Er freut sich natürlich, wie alle Hunde sich freuen, wenn man sie eine Zeit lang allein gelassen hat, und als ich rufe: "Fredi! Ja wo ist denn der Wetterhund!" reagiert er ganz heftig auf seinen Namen, den er natürlich kennt und versteht. Eigentlich hatte ich das Tier gut dressiert, durch eine spezielle Methode, an die ich mich aber in dem Moment nicht mehr erinnern kann. Der Freude tut das keinen Abbruch und wir verlassen das Theater um mit unseren treuen Begleitern den Weg ins traute Heim anzutreten. Eigentlich hätte der Abend ja anders verlaufen sollen. Aber wie das so ist: Man scheint seinem Schicksal ja nicht so ohne weiteres entkommen zu können. Ab morgen dann doch lieber wieder virtuell – bis auf Weiteres...

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

schna´sel

Flüchte nichtin ein Land,in dem der GeizhalsSchätze hortet

schna´sel

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