Hans Bender, der im vergangenen Jahr 80 wurde und erst kürzlich den Kulturpreis der Stadt Köln erhielt, gehört aus mindestens zwei Gründen ins Zentrum der westdeutschen Nachkriegsliteratur: als Meister der realistisch-knappen, dichten, scharf beobachteten Kurzgeschichte wie als Herausgeber von Anthologien und Zeitschriften, vor allem der bedeutsamen Akzente (1954 - 1980). Seit den sechziger Jahren spätestens hat der Vermittler den Poeten Bender immer mehr zurückgedrängt, doch sind auch weiterhin literarische Texte entstanden, die vom Rang des Autors zeugen.
Bender selbst wollte lebenslang nichts anderes als ein "Regionalist" sein, also jemand, der - wie Grass, Walser oder Johnson - von seiner ihm vertrauten Heimat erzählt. Der Kraichgau, die badisch-pfälzische Provinz, in der er als Sohn eines Gastwirts 1919 geboren wurde, ein bescheidenes Hügelland, zwischen Odenwald und Schwarzwald gelegen, ist der Mittelpunkt von Benders Welt. Er hat diese wenig beachtete Region in die Literatur eingeführt und sein katholisches Herkunftsdorf vorm Vergessenwerden bewahrt. Sein umfangreiches Prosawerk - Erzählungen, Romane, Aufzeichnungen, Essays - reicht tief in die Jahre der Kindheit, Wirtsstube und Klosterschule zurück, ohne ein anderes Hauptthema, Krieg und Gefangenschaft, aus dem Auge zu lassen.
Als Junge hat Bender für die Nachbarskinder und später als Kriegsgefangener in Russland für seine Kameraden Theaterstücke und Libretti verfasst, von denen nichts erhalten geblieben ist. Doch gelang es ihm, zwei handschriftliche Gedichtsammlungen aus dem Lager zu retten. Seine erste Buchveröffentlichung mit dem beziehungsreichen Titel Fremde soll vorüber sein (1951) war denn auch ein schmaler Gedichtband, der sich auf die Kriegserfahrung bezog. 1957 erschien eine weitere Sammlung, Lyrische Biographie genannt, darunter auch die Gedichte Im Tabakfeld, Oktoberende und Jahrmarkt, die bereits 1955 in den Akzenten standen.
- Hans Bender
Jahrmarkt
Türkischer Honig,
Maroni und Magenbrot.
Torfbraunes Lebkuchenherz,
Zuckerguß zerbröckelt
"Ewig Dein..."
An Ketten fliegt
aluminium-silberner Schwan.
Das letzte Kind im Flügel
am Herbstmond vorbei.
Spiegel und Perlen
und Zelter,
Ölbild: Libelle und Fee
drehen die Walzer.
Zerschossener Rose
Goldstaub.
Schelle und Bremsblock.
Ähnlich verknappt wie Benders Prosatexte ("Ich schreibe kurz"), verdanken sich auch diese Kraichgau-Gedichte dem unbestechlichen Hinsehen; doch ihre Wahrheit, ihre Essenz liegt zwischen den Zeilen. Beachtung hat vor allem Im Tabakfeld gefunden. Hubert Fichte hat das Gedicht geschätzt; es sei fast 30 Jahre später "noch so frisch wie damals". Und für Arnold Stadler beschreibt es zwar ein heimatliches Tabakfeld, aber eines der Erinnerung. Der Apfel fällt, / schmeckt süß und kalt. / Der Abend schwimmt / im Fluß. / Im Tabakfeld / am Föhrenwald / mein Mund nimmt / deinen Kuß. (...)
Auch das hier vorgestellte Jahrmarkt-Gedicht lebt aus der Erinnerung, da Kirchweih und Herbstmesse älterer Art zusammen mit dem Bauerndorf längst untergegangen sind. All die Dinge und Bilder leuchten farbenreich auf und changieren zugleich seltsam unwirklich wie hinter Glas, unter Wasser: Türkischer Honig und Magenbrot, Zelter (= ein abgerichtetes Pferd) und Goldstaub, Schelle und Bremsblock der Schiffschaukel. Wie bei Georg Trakl sind Herbst und Verfall unabweisbar: Das Lebkuchenherz "zerbröckelt", am Schießstand wird die Rose "zerschossen". "Das letzte Kind" schwebt im Kettenkarussell "am Halbmond vorbei". Auch der "aluminium-silberne Schwan" ist ein Todesemblem. Kann man verlassener sein?
Hans Bender wurde 1919 in Mühlhausen im Kraichgau geboren. Er lebt seit über 40 Jahren in Köln. - Das vorgestellte Gedicht erschien zuerst 1955 im Heft 6 der Zeitschrift Akzente. Hingewiesen sei auch auf Benders Geschichten aus dem Kraichgau, Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 1995.
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