Der Partner, der man selbst ist

Zeitschriftenschau Schriftsteller lieben Tagebücher als Medium der intimen Selbstaussage und als Schule der Wahrnehmung. Heiner Müller dagegen lief in Interviews zur großen Form auf

Um die Kunst des Tagebuchs geht es im Januar/Februar-Heft der Zeitschrift Literaturen. Das Tagebuch hat ein Doppelgesicht, es ist intime Selbstaussage und oft zugleich (im Fall von Autoren-Journalen) an die Öffentlichkeit gerichtet. Über die Verletzungen der Diskretion, die sich daraus ergeben können, sowie über die Erfolge der Gattung überhaupt diskutierten 1972 Elias Canetti, Max Frisch, Uwe Johnson und Lars Gustafsson unter der Leitung von Walter Höllerer im Literarischen Colloquium in Berlin, wovon Literaturen eine stark gekürzte Fassung veröffentlicht.

Jemand schreibe ein Tagebuch, wenn seine Beziehungen zur Umwelt eingeschränkt sind, also aus therapeutischen Gründen, meint Uwe Johnson. Man versuche so, mit dem Leben fertig zu werden und Dinge zu benennen, die man einem anderen gar nicht sagen kann. Gegenüber diesem „echten“ Tagebuch, so Max Frisch, enthalte sein „literarisches“, von vornherein zur Publikation vorgesehenes Journal Entwürfe, Skizzen, die er aus Zeitgründen nicht ausführen könne, darunter natürlich auch und gerade Erfundenes. Es sei eine literarische Form wie etwa ein Briefroman.

Hingegen behauptet Canetti, man entwickle im geheimen Tagebuch allmählich „eine Beziehung zu einem Partner, der man selbst ist.“ Er nennt dieses Selbst den „grausamen Partner.“ Mit ihm führe man einen ebenso wirklichen wie erbarmungslosen Dialog.

Ein Zufall des Buchmarkts will es, dass fast gleichzeitig die ersten beiden Bände der Tagebücher von Sándor Márai und der letzte Band der Tagebücher von Virginia Woolf erscheinen. Beide Journale protokollieren die Weltkriegsjahre, die der ungarische Autor in einem Dorf nicht weit von Budapest und die englische Erzählerin in einem Dorf nicht weit von London erlebten. Sigrid Löffler schildert Márai als skeptischen „verspäteten Bürger“, als unerbittlichen „Anachronisten“, der von etwa 1943 an seine Romane nur noch für die Schublade schrieb und sich bis zu seinem Tod 1989 vor allem auf das Tagebuch konzentrierte.

Frauke Meyer-Gosau beschreibt Virginia Woolf, die sich im März 1941 das Leben nahm, als eine eher pragmatische Tagebuchschreiberin: Das Journal sei für die professionell arbeitende Schriftstellerin primär „eine Stoffsammlung zur persönlichen Weiterverwendung“ gewesen.

Bereits in zwei früheren Ausgaben der Grazer manuskripte aus dem Jahr 2007 hat Peter Handke isolierte, in chronologischer Folge datierte Sätze unter dem Titel Unwillkürliche Selbstgespräche veröffentlicht, die sich zu einer Art Selbstporträt fügen sollten. Im jüngsten Heft seiner Lieblingszeitschrift versammelt er nun Sätze im Aufwachen, notiert zwischen dem 16. Mai und dem 14. Oktober 2008.

Wie immer geht es ihm um Genauigkeit der Wahrnehmung, um eine Schulung der Aufmerksamkeit, die sich hier freilich nicht, wie sonst in Handkes Texten, auf vergehende Momente, Bilder oder ganze Szenen richtet, sondern auf karge, unverbundene Sätze, so vor sich hingemurmelt oder „im Aufwachen“ aufgeschnappt, Sätze wie: „So schön im Garten. Komm.“ Oder: „Wie lange den Pilz braten? Drei Zeilen lang.“ Oder: „Du bist mein Untergang, aber es gibt Schlimmeres.“

Als Handke 2007 der Thomas Mann-Preis der Bayerischen Akademie verliehen wurde, hielt Hubert Burda die nun in den manuskripten abgedruckte Laudatio, eine Freundesrede. Burda kennt Handkes umfangreiches Werk genau, doch er geht nicht wie ein Germanist oder Literaturkritiker vor, sondern eher wie ein klassischer Mäzen und Liebhaber auch schwer zugänglicher Bücher, indem er vor allem deren poetisch gewichtige Eingangssätze abwägt und dabei beschreibt, was sie für ihn bedeutet haben und noch bedeuten, von der aufrüttelnden Publikumsbeschimpfung bis zu Mein Jahr in der Niemandsbucht, worin der Erzähler am Ende, wie Odysseus, nach Hause zurückkehre.

Dieses Verständnis ist umso erstaunlicher, als Burda ja hauptsächlich ein Vertreter der Geldwelt ist, Erbe und Herr eines Medienkonzerns, der im großen Stil mit Nachrichten handelt und das lügenhafte Unterhaltungsgewerbe am Laufen hält. Doch Burda ist auch zum Innehalten fähig, zur Langsamkeit, zur mystischen Erfahrung. Ein Roman wie Langsame Heimkehr habe auch sein Leben verändert. Die Lehre Peter Handkes bestehe darin, „dass der geglückte Tag nicht der ist, den man als eine Fülle von schönen und ereignisreichen Momenten erlebt, sondern nur der, der sich ereignet, indem man ihn beschreibt.“

Der noch immer hoch berühmte Dramatiker Heiner Müller, gestorben 1995, wäre am 9. Januar 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass fand in der Akademie der Künste in Berlin eine Gedenkfeier statt, wobei prominente Laien-Rezitatoren, darunter auch Politiker und Unternehmer, Passagen aus Müller-Interviews vortrugen. Kaum einer hat die Kunst des Interviews so wie er beherrscht. Im Gespräch entwickelte er seine Ideen, im Dialog entfaltete sich seine Lust am koketten Widerspruch und an der schrillen Pointe.

Zu seinem 80. Geburtstag sind im Suhrkamp Verlag drei dicke Bände erschienen, die alle Gespräche mit Müller von 1965 bis 1995 enthalten. Das Januarheft von Theater heuteveröffentlicht daraus Zitaten-Schnipsel, letzte Worte sozusagen, die oft aphoristischen Charakter annehmen: „Du musst einverstanden sein auch mit der Gewalt, mit der Grausamkeit, damit du sie beschreiben kannst.“ Die Kunst sei eben alles andere als human. Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, ein ganzes Gespräch, etwa mit dem Vorzugspartner Alexander Kluge, über Müllers Lieblingsthemen wie Politik, Geschichte und Krieg abzudrucken.

Literaturen: Heft 1/2, Januar/Februar 2009 (Knesebeckstraße 59-61, 10719 Berlin), 9,50 E
manuskripte: Nr. 182, Dezember 2008 (Sackstraße 17, A-8010 Graz), 10 E
Theater heute: Heft 1, Januar 2009 (Knesebeckstraße 59-61, 10719 Berlin), 9,80 E


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