Dialektik der Freundschaft

Zeitschriftenschau Kolumne

"Lieber Peter Handke, ich weiß nicht, ob Du noch etwas damit anfangen kannst, wenn ich Dir sage, dass Du wieder mal in mein Leben eingegriffen hast." Mit diesem sehr privat, liebevoll, auch charmant formulierten Satz beginnt im Februar 1974 der anrührende Briefwechsel zwischen Nicolas Born und Peter Handke, der nun in der jüngsten Ausgabe des Schreibhefts abgedruckt ist. Er endet fünfeinhalb Jahre später mit Borns Tod am Lungenkrebs. Seine Tochter Katharina, die - um den Nachruhm des Vaters besorgt - kürzlich erst seine gesammelten Gedichte neu und kommentiert im Wallstein-Verlag herausgegeben hat (Freitag 02/2005), ist auch für diesen kleinen Briefroman einer Dichterfreundschaft verantwortlich. Es ist ihr mit Handkes Hilfe gelungen, 44 Briefe zusammenzutragen - eine lückenhafte Korrespondenz. Unklar, wie viele Briefe verlorengegangen sind, zum Beispiel 1976 beim Brand von Borns Bauernhaus im Wendland. Es wird auch nicht deutlich, wo aus persönlicher Rücksicht Auslassungen vorgenommen werden. Sichtbar zaudern die Freunde nicht lange, wenn es darum geht, Kritiker als "Gesindel" oder "Ratten" zu qualifizieren. Doch namentlich ist nur Siegfried Schober vom Spiegel übrig geblieben, von dem es heißt, er sei "eine der wirklich von außen und innen tristen Gestalten, mit denen der Kulturbetrieb ja vollgestopft ist."

Born ist in diesem Freundesbund der um fünf Jahre Ältere und weit weniger Berühmte, zugleich der primär Empfangende und Liebende, ungedeckt und mit scheuen Gesten werbend, während Handke eher den Eindruck macht, er finde sich in seiner Einsamkeit und seinem Ruhm zurecht und brauche außer der Tochter Amina keinen. Born tastete sich vorsichtig heran, zunächst um Handke zur Mitarbeit am Literaturmagazin zu bewegen; doch er wird nie einen Beitrag von ihm bekommen, denn Handke will von diesem undogmatischen Organ einer hoch politisierten Schriftstellergeneration, das Born (mit-)herausgibt, nichts wissen: "Geheuer ist mir das Rowohlt-Literaturmagazin nicht. Alle Konzeptionen und Propagierungen machen mich schon auf den ersten Blick überdrüssig." Manchmal unsicher, doch stolz und voller Bewunderung für Handkes Werk, dabei keineswegs unkritisch, gibt Born sich Blößen, berichtet etwa von einer ihm lästigen Frauenaffaire, indes der 1973 mit dem Büchnerpreis gekürte Handke trotz behaupteter Schwäche stets stark und selbstsicher wirkt und von Frauen erst gar nicht spricht.

Ein-, zweimal gibt es Konflikte, sogar eine jähe Entfremdung zwischen den beiden, als Handke einem Dritten gegenüber äußert, Borns Sachen hätten doch "keinen Glanz", und der so Angegriffene "Gleichgültigkeit" und "Kälte" zu spüren bekommt und doch unbegreiflich demütig reagiert: "Mag sein, dass ich jede Kränkung verdient habe, sofern sie nur von Dir kommt, weil Du eine solche Stärke hast."

Man kann diese Korrespondenz zweier bedeutender Gegenwartsautoren, die zugleich verantwortliche Väter waren, als etwas Besonderes, in solcher sprachlichen Dichte nur hier Gelungenes wahrnehmen, sollte aber nicht übersehen, dass die Briefe ebenso Zeugnisse des gewandelten Männerbildes der siebziger Jahre sind. Unter "linken" Männern zumal begann damals ein sensibler und selbstkritischer Ton hörbar zu werden ("Laß Dich umarmen"); man sprach von neuer Innerlichkeit, neuer Sensibilität in der Lyrik. Nicht nur Handke und Born pflegten einen Freundschaftskult, wechselten romantisch bewegte Briefe, widmeten einander Gedichte.

Was ihren Briefwechsel indes von den vielen anderen unterscheidet, ist die Abwesenheit des Politischen, das diese Periode so sehr geprägt hat. Und zwar fehlt es sowohl, was die großen, in den Alltag eingreifenden Ereignisse angeht - der Höhepunkt des RAF-Terrors fällt in diese Jahre -, als auch in seinem widersprüchlichen Verhältnis zur Kunst. Kein Wort zur damals heftig diskutierten "Dialektik von Poesie und Politik". Vielleicht hat Born davon geschwiegen, weil er wusste, dass Handke von linken Gruppen und Kollektiven überhaupt nichts hielt.

So blieb neben dem Privaten und Familiären vor allem das Poetische als Thema: Schreibprobleme, die gerade entstehenden Bücher wie Die Stunde der wahren Empfindung oder Die erdabgewandte Seite der Geschichte Lob und Aufmunterung; die Krankheiten der Töchter, Vorfreude auf gemeinsame Tage, Reiseberichte - doch nichts vom Sterben, vom Krebs. "Du bist immer irgendwie anwesend bei mir", schreibt Born, "das ist gut und stärkt mich sehr, auch beim Schreiben."

Schreibheft: Nr. 65, Oktober 2005. (Nieberdingstr. 18, 45147 Essen); 10,50 EUR


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