Geheimsprache

Zeitschriftenschau Kolumne

Die Zeitschrift text + kritik widmet ihr 168. Heft dem Dichterpropheten Stefan George. Es macht bekannt mit neuen Forschungsansätzen, lässt mit Marcel Beyer und Norbert Hummelt zwei der begabtesten jüngeren Schriftsteller zu Wort kommen - Thomas Kling, der George vielleicht am nächsten stand, ist ja gestorben - und gibt auch einen knappen Überblick über die Sekundärliteratur, soweit sie den George-Kreis betrifft.

Über des Meisters "performative Ästhetik" berichtet Wolfgang Braungart, Professor in Bielefeld und hochtrainierter George-Spezialist. "Performanz" scheint unter Germanisten ein Modebegriff zu sein, den man gebrauchen muss, um mitreden zu können. Er bedeutet, falls ich ihn recht verstehe, soviel wie Inszenierung, Rollenbewusstsein, Sprechhandlung. Georges Verse, so Braungart, wollen künstlich erscheinen und bis ins Detail "gemacht", sind daher voller Archaismen und geschraubter Wendungen, auch rituell überinstrumentiert. Zugleich spricht Braungart diesen Versen große Ernsthaftigkeit zu und einen spröden moralischen Anspruch. In einer Welt, die "des schöpfers hand entwischt" sei, komme dem poetischen Wort eine neue Würde zu. In Georges Diktion: "Wo zeigt der Mann sich der vertritt? das Wort / Das einzig gilt fürs spätere gericht?" Diese "Wort" (groß geschrieben) zieht strikt die Grenze zur profanen Sprache; es will das Poetische "als das Andere". Eben darin liegt eine Provokation, die Georges Werk bis heute eigen ist.

Verstörend, auch politisch verdächtig, ist noch immer Stefan George selbst, ist jedoch in besonderem Maß sein langes und bedeutendes Gedicht Der Krieg aus dem Jahr 1917; und der brave Interpret Klaus Siblewski windet sich denn auch heftig angesichts einiger inkorrekter, ja rassistischer Passagen. Er meint, die Beschäftigung mit diesem gefährlichen Text rechtfertigen zu müssen und sucht nach unverdächtigen Nothelfern wie dem politisch integren Klaus Mann, der Georges Dichtung liebte; verlangt gar vom Dichter etwas, worüber der nun wirklich nicht verfügte, nämlich Ironie.

Tatsächlich ist das Gedicht nicht frei von düsterer Militanz und kommt zwölf Strophen lang in herrischem Ton daher, in kompromisslosen Blankversen, spricht jedoch unmissverständlich gegen den Krieg: "Zu jubeln ziemt nicht: kein triumf wird sein. / Nur viele untergänge ohne würde ...". Verstört war offenbar auch Marcel Beyer, derweil er sich mit dem George-Kreis und der Geschichte der Brüder Stauffenberg befasste. Schwer erträglich erschien ihm beim Lesen von Gedichten und geschönten Erinnerungsbüchern deren "Helden- und Schicksalsvokabular", das ihm "wie ein bloßer Abwehrzauber" vorkam. Gleichwohl scheint auch ihn die Beziehung des alternden Dichters zu den drei jugendlichen Stauffenbergs und darüber hinaus das Phänomen der "Jüngerzüchtung" und des Geheimbunds fasziniert zu haben. George war 1923, als die Grafen ihm vorgestellt wurden, 55 Jahre alt und schrieb keine Gedichte mehr, war also bis zu seinem Tod 1933 nurmehr Dichter als Figur.

Sein Schweigen nach Hitlers Machtübernahme wird wohl immer rätselhaft bleiben. Die Jünger des "grossen profeten" waren 1933 gespalten, fädelten Intrigen ein. Ein Teil wollte sich bei ihm die Erlaubnis einholen, in die Nazipartei einzutreten, andere suchten bei ihm Verständnis dafür, dass sie Deutschland verlassen. Er selbst machte Andeutungen nach der einen wie der anderen Seite, aber er konnte oder wollte keine klare Stellung beziehen, wirkte wie von Lähmung befallen. Diese "abwartende" Haltung ließ auch sein Werk seltsam "deutungsoffen" erscheinen.

Die Brüder Stauffenberg haben wohl nie an ihrem Meister gezweifelt, der immerhin Deutschland verließ und dem sie dann in Minusio die Totenwache hielten. Claus, der Hitler-Attentäter, hat mitunter im privaten, im dienstlichen und im verschwörerischen Rahmen Georges zwischen 1901 und 1904 entstandenes Gedicht Der Widerchrist vorgetragen, das laut Marcel Beyer "so uneindeutig wie nötig" wirkte - etwa als "Bekenntnis der eigenen Absichten, ohne den Hörer zu einem Mitwisser zu machen". So wurden Verse Georges doch noch zu einer Geheimsprache in der Wirklichkeit.

text+kritik: Nr. 168, 2005 (Tuckermannweg 10, 37085 Göttingen), 124 S., 16 EUR


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