Hölderlin

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Die Zeitschrift Text. Kritische Beiträge, ein Spezialorgan zu Fragen der Textkritik, der Editionspraxis und der literaturwissenschaftlichen Grundlagenforschung, erscheint seit 1995, herausgegeben von Roland Reuß, dem erfindungsreichen (Mit-)Editor der kritischen Kleist- und Kafka-Ausgaben im Verlag Stroemfeld/Roter Stern. Auch D. E. Sattler, Herausgeber der die Editionspraxis revolutionierenden Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, war von Anfang an unter den Mitarbeitern der Zeitschrift, mit einem mehrteiligen, auf Hölderlin anspielenden Poem als auch mit Dossiers zur eigenen Ausgabe. Aus ihnen wird deutlich, welche Widerstände und Kränkungen seitens der etablierten Hölderlin-Forschung der Autodidakt erfuhr, als er es um 1975 wagte, die Qualität der Stuttgarter Ausgabe Friedrich Beißners anzuzweifeln.

Sattler, ein eher schwieriger Einzelgänger, galt seither als linker Umstürzler, der dem wissbegierigen Leser die komplizierten Handschriften des Dichters in Faksimiles zugänglich machte und so tendenziell jedem den "gescheiterten Revolutionär" Hölderlin erschloss, ohne in den überlieferten Wortlaut, die Orthographie und Interpunktion einzugreifen. In der jüngsten Ausgabe von Text wird zum ersten Mal - und das ist eine Überraschung - erkennbar, dass die bisher zumindest öffentlich so geschlossen auftretenden, radikal kritischen Editoren in wesentlichen Fragen höchst unterschiedlicher Ansicht sind. Nachdem sie sich durchgeboxt und reichlich Anerkennung für ihre Arbeiten gefunden haben, scheint auch die sie einende Gegnerschaft zur offiziellen Germanistik weggefallen zu sein. Und plötzlich steht Sattler, der Pionier der neuen Editionspraxis, in der Kritik seiner Mitstreiter.

Ganze 55 Seiten umfasst das (natürlich bearbeitete) Gespräch, das Wolfram Groddeck, Gunter Martens, Roland Reuß und Peter Staengle über die 2001 erschienenen Bände 7 und 8 der Frankfurter Hölderlin-Ausgabe führen, eine Art "Gesprächsrezension", die es dieser "Viererbande" offenbar leichter macht, Widerspruch zu artikulieren, als eine von vornherein schriftlich angelegte Besprechung. Zwar lobt man auch weiterhin das "Institutionskritische" von Sattlers Edition, die ihr Material in vier Schritten präsentiere: aufsteigend von der Handschriften-Reproduktion, über die Transkription und die chronologisch-syntaktische Darstellung der gesamten Textüberlieferung, bis hin zur Textkonstitution.

Genau hier, bei der Konstitution eines "Endtextes" setzt die Kritik an. Während Sattler in den früheren Bänden, dem bruchstückhaften Material angemessen, vor allem textgenetische Schritte gezeigt habe, kumuliere er nun, aus verschiedenen Handschriften und Stufen, "fertige Texte", fast so, wie der einst von ihm heftig befehdete Beißner es in seiner Stuttgarter Ausgabe getan habe. Insofern bedeuteten die Bände 7 und 8, die Hölderlins Gesänge präsentieren, einen Bruch innerhalb der Sattlerschen Ausgabe. Der Begriff des "vollendeten Werkes" werde nicht mehr in Frage gestellt, das Werk vielmehr als "in Wahrheit abgeschlossen und sogar singbar" bezeichnet.

Der Tonfall der unisono argumentierenden vier Kritiker wird im Gesprächsverlauf schärfer. Da ist die Rede von "herausgeberischen Übergriffen", von "brutaler Textmontage", "unbegründeten Entscheidungen" und "reiner Spekulation" - Urteile, wie man sie früher einmal über Editionen älteren Typs gefällt hatte. Darüber hinaus heißt es von Sattlers Ausgabe, sie sei "in einem sehr emphatischen Sinn antiwissenschaftlich". Man solle nicht fragen, so Groddeck, "sondern sich erst einmal gläubig darauf einlassen. Die vom Herausgeber konstituierten Texte werden zu heiligen Texten erklärt, und dies nicht im Sinne eines säikularisierten, sondern eines neuen Heiligen." Und Gunter Martens ergänzt, Sattler unterstelle Hölderlin, er habe "eine Geheimsprache geschrieben, die nicht ohne weiteres zu entziffern ist, und wenn, dann durch Kundige", in zukünftiger Zeit. Das ganze Unternehmen sei der unangemessene "Versuch einer Kanonisierung von Hölderlins Werk."

Im gleichen Heft von Text finden sich Vorschläge zu einer möglichen Edition von Robert Musils Mann ohne Eigenschaften; ein Briefwechsel zwischen Paul Celan und - überraschend - Hans Habe aus dem Jahr 1962, worin es um den "sich liberal gebenden Antisemitismus" geht; ferner Gedanken zur neuen Edition von Nietzsches handschriftlichem Nachlass und zu Klopstocks Genieästhetiik.

Text. Kritische Beiträge; Nr. 8, 2003. (Ezanvillestraße 38, 69118 Heidelberg.) 160 S., 38 EUR

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