Da hilft kein Lamentieren: Zeitschriften, auch die besten, werden irgendwann eingestellt, aus den unterschiedlichsten Gründen; in den meisten Fällen haben sie sich überlebt und ihren ursprünglichen Impuls eingebüßt. So auch das im Mai nach der 169. Nummer aufgegebene Kursbuch, dessen heroische Jahre zwischen 1965 und 1970 (oder sagen wir: 1975) lagen, als die Zeitschrift die antiautoritären Studenten und deren dogmatische Nachfolger mit brandneuen Materialien versorgte, mit Dossiers über den Frankfurter Auschwitzprozess, über China, Cuba, Vietnam und weitere Brennpunkte der Dritten Welt, aber auch über Themen wie "Wahn und Politik" und sogar über die deutsche Einheit. Das von Hans Magnus Enzensberger vorzüglich redigierte Kursbuch widmete sich schon in den ersten Jahren dem "Wesen der Mathematik", konkreten Utopien, der Frauenemanzipation und der Medientheorie, der Funktion der Literatur im Spätkapitalismus, und natürlich erschienen auch viele hervorragende literarische Texte, Gedichte wie Prosa.
Bei aller Vielfalt und (relativen) Offenheit war man sich im Umfeld des frühen Kursbuchs einig im Kampf gegen den US-Imperialismus und für eine weltweite Revolution, die nur gewaltsam vorstellbar war. Peinlich im Nachhinein vor allem die uneingeschränkte Begeisterung für den Diktator Mao und die Chinesische Kulturrevolution, zumal wenn man bedenkt, dass die entscheidenden Beiträge zu diesem Thema von dem Sinologen Christian Schickel stammten, der eigentlich wissen musste, was in China wirklich geschah, während wir Leser von den Verbrechen nichts wussten (oder nichts wissen wollten?). Insofern mutet es etwas seltsam an, wenn der sozialdemokratische Politiker und letzte Kursbuch-Herausgeber Michael Naumann nun anlässlich der Einstellung behauptet, es sei der Zeitschrift lediglich um einen "linksliberalen, kapitalismuskritischen Diskurs" gegangen.
Auch die traditionsreiche Zeitschrift Castrum Peregrini ist im April nach dem Erscheinen des 280. Hefts eingestellt worden. 1951 von Wolfgang Frommel unter Mitwirkung von Wilhelm Fraenger in Amsterdam gegründet, suchte das sorgfältig redigierte und schön gestaltete Blatt vor allem die Erinnerung an den 1933 gestorbenen Dichterpriester Stefan George wach zu halten. Just in dem Augenblick, wo sich - nach dem Erfolg von Thomas Karlaufs George-Biographie - erstmals ein breiteres Publikum für ihn zu interessieren beginnt, verschwindet die in seinem Geist geborene Zeitschrift aus der Öffentlichkeit. Haben die orthodoxen Stiftungsoberen den Jüngeren, die sich ein Stück weit von George entfernen und lieber kritisch als im Dauerton der Verehrung über ihn und sein Werk sprechen wollten, den Geldhahn zugedreht? War die häretische Biographie Karlaufs, der ja in den achtziger Jahren selbst Castrum-Redakteur war, ein auslösendes Moment?
Die Castrum-Abonnenten waren eine durch Krieg und Emigration über viele Länder versprengte Gemeinschaft, deren Zentrum der "Menschenfischer" Frommel bildete. Nach dessen Tod im Jahr 1986 nahmen sich die von ihm während der deutschen Besetzung der Niederlande Versteckten, Manuel Goldschmidt und Claus Victor Bock, der Zeitschrift an. Am Ende waren Jüngere an ihre Stelle getreten, die das Überleben mit Georges Gedichten in der Amsterdamer Herengracht 401 nur noch von Erzählungen kannten. Frommel selbst beteuerte stets, seinem Meister ein einziges Mal 1923 in Heidelberg gegenübergetreten zu sein, und dieses Ereignis habe sein Leben verändert. Nach Karlaufs Untersuchungen ist Frommel jedoch George überhaupt nie begegnet und ihr Zusammentreffen nur eine Legende gewesen, die den entstehenden Freundeskreis des Castrum Peregrini direkt auf den Dichter zurückführen sollte.
Gerade seine männerbündische Zeitferne machte das Castrum für manche so attraktiv. Im jüngsten Heft der eher avantgardistisch orientierten manuskripte tituliert der Kritiker Michael Braun George als "Dichterkönig des Geheimen Deutschland", der seine Gebote "im rheinhessischen Idiom verkündete" und den Zugang zum Heiligen kontrollierte. Weil er im Dritten Reich ideologisch instrumentalisiert worden war - manche seiner Verse forderten zum Missbrauch geradezu auf -, fiel sein Werk nach 1945 in Ungnade. Das änderte sich in den letzten drei Jahrzehnten schrittweise. Seit dem Erscheinen von Karlaufs monumentaler Biographie im Herbst 2007 ist ein regelrechter George-Boom zu verzeichnen, an dem auch das Castrum Anteil hat.
Karlauf konzentriert sich ganz auf die Geistesgeschichte des Kreises, auf das Verhältnis des charismatischen Meisters zu seinen vielfach hörigen Jüngern. Für die ästhetischen Konzeptionen und die poetischen Leistungen seiner Helden interessiert er sich nach Michael Brauns Ansicht weniger als für ihre homoerotischen Neigungen und das von Platon übernommene Ideal der Knabenliebe.
manuskripte Nr. 180, Juni 2008 (Sackgasse 17, A-8010 Graz), 10 EUR
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