Norden wie Vernunft

Zeitschriftenschau Von Mark Twain bis zu den Nazis in der Pfalz - Michael Buselmeier liest neue literarische Zeitschriften

Von Mark Twain, dem Erfinder des amerikanischen Romans, dem Autor von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, erzählt die Titelgeschichte der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Literaturen. Anlässlich seines 100. Todestags im April unternimmt Michael Köhlmeier eine Reise durch Leben und Werk Mark Twains und zu den zeitgeschichtlichen Ereignissen, die beides geprägt haben.

Samuel Langhorne Clemens, so sein eigentlicher Name, wurde 1835 im Staat Missouri im Süden der Vereinigten Staaten geboren. Er absolvierte eine Druckerlehre, war Steuermann auf dem Mississippi, Silbergräber in Nevada, Lokalreporter in Virginia. 1863 verwendete er zum ersten Mal das Pseudonym „Mark Twain“. 1870 heiratete er günstig und zog nach Hartford in Connecticut, wo er als Schriftsteller reüssierte. 1876 landete er mit Tom Sawyers Abenteuer einen Welterfolg. Mit Reisebüchern entdeckte Mark Twain Hawaii und Heidelberg für Amerika.

Köhlmeier arbeitet auch den geschichtlichen Hintergrund heraus, den vier Jahre währenden Bürgerkrieg, der 650 000 Tote forderte. Davon ist zwar in den Erzählungen von Tom und Huck nie die Rede, doch Tom ist Waise und wächst bei seiner Tante auf. Auch der verwahrloste Huck hat keine Mutter, und sein Vater ist ein Gescheiterter, der außerhalb der Gesellschaft steht, vielleicht ein Kriegsveteran. Was mit diesen Menschen geschehen sein könnte, fragt Köhlmeier und erinnert daran, dass sich alle Kriegsschrecken im Süden abspielten.

Und wie könnte die Geschichte weitergehen? Der Konformist Tom, mutmaßt Köhlmeier, werde sich zweifellos dem Norden anschließen, „weil der Norden für Vernunft steht“; er werde „den elegischen Pessimismus des Südens“ verraten. Und Huck Finn? Wird er ein alkoholsüchtiger underdog wie sein Vater, oder wird er das Angebot der Gemeinschaft annehmen und sich anpassen? Wohl eher nicht: „Er, der immer schon außerhalb der Gesellschaft stand, hat mit allem gebrochen.“

Ebenfalls in Literaturen porträtiert Jörg Magenau den Verleger Klaus Wagenbach, der im Juli 80 Jahre alt wird, aber noch immer jugendlich und streitbar erscheint. Die Prinzipien, auf die er 1964 seinen Verlag gründete – Hedonismus, Anarchie, Geschichtsbewusstsein - , gelten, so sagt er, nach wie vor. 2002 hat Wagenbach den Verlag an Susanne Schüssler, seine dritte Ehefrau, übergeben und fühlt sich nun als „heiterer Rentner“, der mehrere Monate des Jahres lesend in Italien verbringt, dem Land, aus dem so viele seiner Autoren stammen.

Ein echter Macher

Anfangs verlegte er DDR-Autoren wie Bobrowski, Hermlin, Biermann, aber auch Ulrike Meinhofs Bambule und ein Manifest der RAF, wofür er vor Gericht gestellt wurde. Er veröffentlichte Kafkas Jugendbiographie. Erich Frieds Werke brachten ihm hohe Auflagen, vor allem aber die Freibeuterschriften Pasolinis, mit denen 1978, ein Jahr nach dem Deutschen Herbst, die Befreiung aus dem dogmatischen Denken vorangetrieben wurde. Dass Wagenbach nun den Kurt Wolff-Preis erhalten hat, der eigentlich notleidenden Kleinverlegern zukommen sollte, mag angesichts dessen, was er in der Geisteswelt bewegt hat, angemessen sein, obwohl er selbst nie ein rühriger Kleinverleger war, sondern ein listig alle Register ziehender „Macher“.

Das Berufsleben über war der Dichter Wilhelm Lehmann als Studienrat für neuere Sprachen in Eckernförde in Schleswig-Holstein tätig und verließ den Ort bis zu seinem Tod 1968 eher selten. Für seine Romane und Erzählungen erhielt er 1923 den Kleist-Preis. Seine bleibende Bedeutung liegt jedoch in seinen Gedichten, mit denen er selbst Adorno und sogar Johannes R. Becher die Wunder des Pflanzen- und Tierreichs erschloss. Zusammen mit seinem Freund Oskar Loerke zählt Lehmann zu den Häuptern einer „naturmagischen Dichtung“.
Im Märzheft des Merkur nimmt Ulrich Schacht den Abschluss der achtbändigen Gesamtausgabe Wilhelm Lehmanns (bei Klett-Cotta) zum Anlass, ihm Bertolt Brecht als Antipoden gegenüberzustellen. Hier der heimatverbundene Lyriker aus der Provinz, dort der weltläufige Theatermacher. Hier Politik- und Ideologieferne in Verbindung mit Naturnähe, dort ein „dogmatischer Marxismus stalinistischer Prägung.“

Zwar schwieg Lehmann „zu den Verbrechen der Nationalsozialisten, aber er verherrlichte sie eben auch nicht wie Brecht die kommunistischen“, so Schacht, der in der DDR im Gefängnis saß, dessen militanter Antikommunismus insofern verständlich, wenn auch nicht immer hilfreich ist. Dass Brecht bei diesem Vergleich mit Lehmann, der übrigens seit 1933 Parteimitglied war, auch als Dichter nicht gut wegkommt, stand von vornherein fest. Doch auch die bewahrende Kraft von Lehmanns Gedichten bleibt nahezu unsichtbar, da Schacht nur sein ideologisches Steckenpferd der „Entlarvung“ linker Ideologien im Auge hat.

Den neuen Jahrgang der Akzente eröffnen Notizen von Walter Kappacher, in Salzburg lebender Büchner-Preisträger des Jahres 2009: stille Beobachtungen eines Konservativen, der die überlieferte Kultur Mitteleuropas in Gefahr sieht und gegen den um sich greifenden Schund zu verteidigen sucht. Er möchte, auf verlorenem Posten, das „Schönheitsempfinden“ bewahren, die „Trivialisierung aller Lebensbereiche“ verhindern, möchte aufbegehren „gegen die Zerstörung der künftigen Welt.“ Mit den Worten des vergessenen Poeten Rainer M. Gerhardt, der sich 1954 das Leben nahm, glaubt Kappacher zu wissen, dass die einzig mögliche Situation des Dichters „das Exil auch innerhalb seines Sprachgebiets ist.“ Und bitter resümiert er: „Die Idee der Nichtskönner, den Kunstbegriff zu erweitern, war erfolgreich: Seit damals ist alles möglich, und das Publikum klatscht Beifall und kauft.“

Über die Pfalz in der NS-Zeit hat die Literaturzeitschrift Chaussee ein spannendes Heft vorgelegt, wobei das Geschehen mehr aus der Perspektive der Täter und Nutznießer denn aus der der Opfer geschildert wird. Sigfrid Gauch schreibt einmal mehr über seinen rasseforschenden Vater, Werner Laubscher über seine Zeit als 17jähriger bei der Waffen-SS, Mireille Horsinga-Renno über ihren Onkel, den Euthanasiearzt von Hartheim, Georg Renno.

Literaturen: März/April 2010 (Knesebeckstr. 59-61, 10719 Berlin), 9,80 €.
Merkur: Heft 3, 2010 (Mommsenstr. 27, 10629 Berlin), 12,-€.

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Akzente: Heft 1, 2010 (Postfach 86 04 20, 81631 München), 7,90 €.

Chaussee: Nr. 24, 2009 (Bezirksverband Pfalz, 67653 Kaiserslautern), 5,- €.


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