Ruhe und Frieden

Literatur Zeitschriftenschau

Seit Januar 1996, als in der Süddeutschen Zeitung Peter Handkes Essay oder Reiseerzählung Gerechtigkeit für Serbien erschien, hat es der Dichter mit der Kritik verdorben, die ihn nahezu einhellig für nicht mehr recht bei Trost hält (was natürlich auch etwas über die Beflissenheit und den Konformismus dieser Kritik aussagt). Die Medienkampagne gegen sich konnte Handke nicht davon abhalten, in weiteren Reisetexten für Serbien und die Serben Partei zu ergreifen, mit einer Beharrungskraft, die schon deswegen beeindruckt, weil der Dichter ja fast allein und ungeschützt dasteht gegenüber der korrekten öffentlichen Meinung und der Politik des Westens. "Warum sagst du das alles?" fragt er denn auch am Ende des "Sommerlichen Nachtrags zu einer winterlichen Reise" und antwortet sich selbst: "Weil es kaum einer sagt und doch jeder sagen kann."

Handke spricht stets als Mensch und Dichter, nie als wie immer getarnter Politiker. Er kennt und liebt die serbische Landschaft und die Leute dort seit langem und vergleicht sie gelegentlich mit den Indianern im Western, die von Felsklippen herab die Ami-Karawanen überfallen und niedermetzeln. Kämpfen die Indianer, fragt er, auch wenn sie dabei gewiss Schuld auf sich laden, "nicht doch um ihre Freiheit"? Beobachter sind übrigens der Ansicht, es habe die Verteidigung Serbiens Handke sogar um den Literatur-Nobelpreis gebracht, den er aufgrund seines detailgenauen und breitgefächerten Werks weit mehr verdient habe als seine schmallippige Landsfrau Elfriede Jelinek.

Nun ist, unter dem bis zuletzt rätselhaften Titel Die Tablas von Daimiel, im Sommerheft der Zeitschrift Literaturen eine neue Reiseerzählung von Peter Handke erschienen, die sich auf 20 unbebilderten Seiten mit Serbien, Bosnien, dem Kosovo und vor allem mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal beschäftigt und kontrovers diskutiert zu werden verdient. Der Bericht verdankt sein Entstehen dem Umstand, dass der jugoslawische Ex-Präsident Slobodan Milos?evic´ den Dichter als einen von mehr als 1.600 Entlastungszeugen benannt hat. Handke, der sich weniger als "Expertenzeuge" der Verteidigung denn als "Umweltzeuge" sieht, erläutert, weshalb er dem Internationalen Tribunal - in seinen Augen ein "illegitimes" Gericht - nicht Rede und Antwort stehen wollte und stattdessen für sich selbst diesen Essay schrieb.

Der Erzähler reist also nach Den Haag, besucht Sitzungen des Tribunals und erneuert seine Kritik an der einseitig und ungerecht operierenden Kriegsberichterstattung in Presse und Fernsehen: "Zu sehr bin ich über die Jahre daran gewöhnt, wie jeder meiner Sätze zu Jugoslawien, der, statt von ›Massakern und Massengräbern‹, von ›Ruhe und Frieden‹ handelt, als ein regelrechtes Delikt bewertet wird." Ohne zu zögern, besucht er Milos?evic´ im Gefängnis von Scheveningen, sieht in ihm einen Vorverurteilten, ein Opfer der Medien und eines von der NATO besoldeten Gerichts. Er ist überzeugt, dass das Welt-Tribunal, das da tagt, "nichts taugt - dass es, so viel es auch formal Recht sprechen mag, von Anfang, Grund und Ursprung falsch ist und falsch bleibt." Siegerjustiz eben.

Indes hält Handke Milos?evic´ für unschuldig und sagt das auch deutlich. Nur geht es eben in diesem etwas langatmigen Text, der eher tastend und kreisend als auftrumpfend wirkt, nicht um die Gewalt, die den Opfern der Serben angetan wurde; das ist Handkes Einseitigkeit. Mit jeder beschriebenen Elendsszene, bei jeder Begegnung mit serbischen Flüchtlingen versucht er zu zeigen: Versteh doch, die Serben waren nicht die einzigen Täter in Bosnien, ja die Moslems haben mit Übergriffen auf Serbendörfer angefangen. In dem über drei Stunden währenden Gespräch kam übrigens, das ist erstaunlich, fast nur Milos?evic´ zu Wort, mit weitausholenden Argumenten und Hintergrundsbezügen, "als spräche er zu mir und zugleich zu seinen a priori unwissenden und verständnislosen Richtern". Jedenfalls gelang es dem Dichter, der sich wie ein Trainingspartner fühlte, in keinem Augenblick, den Gefangenen auf Nebensächliches abzulenken. Als er ihn am Ende eine "tragische Person" nannte, sah ihn Milos?evic´ befremdet an, "als halte er sich für davon nicht gemeint".

Literaturen, Heft 7/8 2005. Reinhardtstr. 29, 10117 Berlin, 9,90 EUR


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