Schillers Enkel

Zeitschriftenschau Kolumne

In den sechziger Jahren, als die Zeitschrift Theater heute, damals von Henning Rischbieter redigiert, noch jung und streitlustig war, habe ich jedes Heft begierig erwartet. Es war eine Aufbruchsphase, in der besonders das Medium Theater den Eindruck erweckte, das Podium zu bilden, auf dem wichtige gesellschaftspolitische Fragen, die Vergangenheit wie die Zukunft des Landes betreffend, verhandelt würden. Die Zeitschrift sah ihre Aufgabe darin, diesen Diskussionsprozess mit Materialien und Analysen zu begleiten, zu bündeln und - wo nötig - voranzutreiben.

Inzwischen hat die Schaubühne so viel von ihrer einstigen Bedeutung eingebüßt, dass kaum einer noch auf den Gedanken kommt, dort würden aktuelle Themen mit Ernst und Entschiedenheit vorgestellt. Eher gewinnt man den Eindruck, als sei die hochsubventionierte Institution einer Riege narzisstischer (Jung-)Regisseure in die Hände gefallen, die sich wie destruktive Kinder über alte wie neue Stücke hermachen, sie zerfleddern, zerhacken, mit Popmusik, Videos und Fremdtexten durchschießen.

Seltsamerweise wird dieser Trivialisierungsvorgang im Fachblatt Theater heute kaum einmal kritisch hinterfragt, schon gar nicht kontrovers diskutiert. Ja es sieht so aus, als machten die Redakteure gemeinsame Sache mit den Stückezertrümmerern, die einer medialen Unterhaltungsästhetik frönen mit all den tristen Begleiterscheinungen wie Geschichtsvergessenheit, Beliebigkeit der Mittel, Albernheit und und und ... Was das Blatt jedoch weiterhin lesenswert macht, ist der Überblick über laufende Inszenierungen, das in jedem Heft abgedruckte neue Stück und vor allem die unregelmäßig erscheinenden theaterhistorischen Aufsätze Günther Rühles.

Im jüngsten Doppelheft berichtet der Philosoph Rüdiger Safranski, der zuletzt eine Nietzsche-Biografie vorgelegt hat, über Schillers schwierige Jahre in Mannheim. 2005 jährt sich der Todestag des Dichters zum 200. Mal. Schon jetzt ist eine Fülle von Publikationen angekündet, darunter auch eine Biografie von Safranski, aus welcher Theater heute vorausgreifend ein Kapitel abdruckt. Safranski weiß Schillers geistiges Leben glanzvoll und vor allem auf einem intellektuell avancierten Niveau zu beschreiben, wobei sich manchmal auch Durchblicke auf die materiell so viel reichere, ideell indes eher armselige Gegenwart eröffnen.

Wir schreiben das Jahr 1783. Die Szene ist Mannheim, wo der Intendant, Freiherr von Dalberg, anderthalb Jahre zuvor die genialischen Räuber uraufführen ließ. Nun ist Schiller wieder eingetroffen und wird vom 1. September an für ein Jahr als Theaterdichter angestellt mit der Verpflichtung, drei Stücke, Fiesco, Kabale und Liebe sowie Don Carlos bühnenfertig zu liefern, gegen ein Jahresgehalt von 300 Gulden. Zu seinen Aufgaben zählt auch, andere Stücke zu begutachten und bei der Spielplangestaltung als eine Art Dramaturg mitzuwirken. Schiller ist guten Mutes, er träumt davon, die kulturell bedeutsame Stadt Mannheim auch zu einer Hauptstadt des deutschen Theaters zu machen.

Doch er erkrankt an Malaria. Bald kommt es zu massiven Konflikten mit der "reizbaren Menschenklasse" der Schauspieler, die zum Ärger des Dichters nachlässig mit den Texten umgehen und hemmungslos improvisieren. Der Fiesko wird nach nur zwei Aufführungen abgesetzt. Immerhin wird Kabale und Liebe im April 1784 ein Erfolg. Doch Schillers Plan einer "Mannheimer Dramaturgie", die Lessings "Hamburgische Dramaturgie" fortschreiben könnte, trifft bei Dalberg, der Schiller zynisch rät, zur Medizin zurückzukehren, auf taube Ohren. Er will den Stürmer und Dränger, der die Schaubühne als politisch-moralische Anstalt begreift, loswerden und hat mit dem Schauspieler Iffland bereits einen Autor parat, der auf Anhieb Erfolgsstücke schreiben kann. Ende August 1784 läuft Schillers Vertrag aus. Hoch verschuldet und von Gläubigern bedrängt, übersiedelt der Gedemütigte im April 1985 nach Leipzig.

Auch Sinn und Form druckt ein Kapitel aus Safranskis Schillerbuch (wobei man durchaus die Frage nach der Berechtigung solcher Vorabdrucke in Zeitschriften stellen kann), und zwar geht es diesmal um den Beginn der Freundschaft zwischen Schiller und Goethe 1794, speziell um die von Schiller scharfsichtig beschriebene "Deformation der modernen Zivilisation", der er die "sanfte Gewalt des Schönen" entgegensetzt.

Eröffnet wird das Heft mit einer biografischen Betrachtung von Joachim Fest über Golo Mann, der bekanntlich unter den Belastungen einer "elenden Kindheit" mit dem übermächtigen Vater als Mittelpunkt litt, den er vor allen in "Schweigen, Strenge, Nervosität oder Zorn" erlebte. Noch als nahezu Siebzigjähriger wurde er - so Fest - allzu häufig nur als "Sohn seines Vaters" wahrgenommen. Dass er trotz solcher Kränkung ein eigenes Profil gewann und nach dem Tod des Vaters bedeutende historische und politische Werke verfasste, die der Literatur vielleicht näher als der Wissenschaft sind, ist eine besondere Leistung.

Neben der "malheurhaften Beziehung zum Vater" haben Golo Mann die Erfahrungen der Emigration gezeichnet und seine Abneigung gegen das "Ideologiewesen" schärfer hervortreten lassen. Dass es in den sechziger Jahren zu einer Renaissance des Marxismus kommen konnte, dessen Heilsrezepte mit Millionen Opfern belastet waren, kam dem Einzelgänger - so Fest - wie "eine Gespenstererweckung" vor. Besonders suspekt waren ihm Horkheimer und Adorno, die ihm, als eine Art Rache, "üble Streiche" gespielt haben sollen. Jedenfalls intervenierten sie Anfang der sechziger Jahre beim hessischen Kultusminister erfolgreich gegen eine Berufung Golo Manns auf den Lehrstuhl für Politische Wissenschaft an der Frankfurter Universität: Mann sei homosexuell und folglich eine Gefahr für die akademische Jugend. Etliche Jahre später hat man ihm "heimlichen Antisemitismus" vorgeworfen. Das erklärt, warum der so Verleumdete seine beiden Widersacher in einem Fernseh-Interview aus Anlass seines 80. Geburtstags schroff als "Lumpen" bezeichnet hat.

Theater heute: Heft 8/9, 2004 (Reinhardtstraße 29, 10117 Berlin), 13,80 EUR

Sinn und Form: Heft 4, 2004 (Tucholskystraße 2, 10117 Berlin), 9,- EUR


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