Verführte Geister

Nationalsozialismus Helmut Lethen lässt in seinem Buch vier unheimliche „Geister“ einer unheimlichen Zeit sprechen

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Verführte Geister

Bild: Cover

„Im Schatten der Diktatur konnte nur, wenn das Gewissen entschied, von wahrer Dezision die Rede sein“

Helmut Lethen lässt die Geister sprechen. Naturgemäß sind es die Geister der Vergangenheit, die gleichwohl Vergessenes wie Bekanntes zitieren, Erinnerungen fälschen, Positionen markieren, sich rechtfertigen, ohne Haltung zu zeigen. Wie konnte es passieren, daß diese Geister, angesehene, ja prominente Mitglieder des gebildeten Bürgertums der Weimarer Republik, sich mit dem Regime der Nationalsozialisten einließen ?

Es unterhalten sich in diversen Gesprächsrunden vier gestandene Männer, allesamt von Hermann Göring 1933 ernannte „Staatsräte“: der über Deutschlands Grenzen hinaus bekannte Schauspieler Gustaf Gründgens, der Stardirigent Wilhelm Furtwängler, der große Chirurg der Charite, Prof. Ferdinand Sauerbruch sowie der Staatsrechtler Carl Schmitt. Bevor man jedoch diesen von Lethen kunstvoll inszenierten „Geistergesprächen“ lauscht, lohnt der kurze Blick zurück.

Geprägt waren sie alle von dem Urtrauma des 20. Jahrhunderts, dem ersten Weltkrieg. Mit Blumen in der Hand waren singende junge Männer 1914 in einen vermeintlich kurzen Blitzkrieg gen Fankreich gezogen, der nach scheinbar endlosen vier Jahren in den Leichenbergen und Schlammgruben Flanderns nicht nur die toten Körper der jungen Menschen begrub sondern im gesamten Europa alle Utopien endgültig ausgelöscht hatte. Eine desillusionierte und aller Gewißheiten beraubte, buchstäblich gottverlassene Gesellschaft stand haltlos mit leeren Händen und leeren Herzen am Abgrund.

Während sogenannte politische Eliten und opportunistische Gaukler zwischen Revolution und Restauration ihre Gefolgsleute um sich scharten, bekannten sich die intellektuellen Kräfte angesichts der Geburtswehen der jungen Weimarer Republik zur radikalen Abkehr von den Mythen der Vergangenheit. Nun galt es der Realität ins Auge zu blicken, das vermeintlich Unerträgliche zu durchleben und zu beschreiben. Die sogenannte „Neue Sachlichkeit“ wird nicht nur der Terminus für einen kurzen Abschnitt der Literaturgeschichte, sondern wird zum Synonym für eine neue Einstellung der Kulturgeschichte Deutschlands. Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß Moderne und Modernisierung nicht an den idealen Maßstäben einer heilen Welt in der Vergangenheit gemessen werden, sondern aus Überzeugung akzeptiert und befördert werden; das Projekt einer modernen, zivilen Gesellschaft wird selbst zum Ideal und der Weg dorthin ist weit. Erforderlich ist nichts geringeres als „der neue Mensch“. Das überbrachte alte Versprechen der „wärmenden und schützenden Gemeinschaft“ in welcher sich jedermann jederzeit heimisch und geborgen fühlen konnte, war von der „Kameradschaft“ in den Leichengruben des Krieges nicht eingelöst worden. Das Lied „Ich hatt einen Kameraden“ kannte jeder nur noch als traurigen Gassenhauer…

Die moderne, beschleunigte und flexible Gesellschaft erforderte ein radikal neues Denken: Distanz statt Nähe, Kälte statt Wärme und das Individuum brauchte plötzlich eine schützende Maske statt entlarvender Aufrichtigkeit. Der Wunsch nach Nähe, Wärme und distanzloser Gemeinschaft war der Lächerlichkeit anheimgefallen.

Die insofern als schwierig erfahrene „Moderne“ erforderte auch die Kunst des Aushaltens. Die Arbeiten einesErnst JüngerundErnst Blochenthüllen die Gemeinsamkeit eines allumfassenden Angstmotivs, denn sie alle reagierten auf die Erschütterungen von Krieg und vernichtender Inflation, die wir heute mit „Gewißheitsschwund“ zu umschreiben pflegen.Stefan Zweigbeschreibt diese Epoche nachdrücklich in seinem Roman „Die Welt von gestern„. Das Sein bestimmte in diesen Jahren definitiv nicht nur das kollektive Bewußtsein der Massen, sondern auch die Entwicklung neuer Bewältigungsstrategien, die mit der Moderne über diese hinausgelangen wollten.

Mit dem Stichwort „totale Politik“, wurden derart motivierte antidemokratische Reaktionsbildungen treffend beschrieben. Was die radikalisierten rechten und linken Fraktionen in diesem politisch und parteipolitisch unübersichtlichen Verwirrspiel zusammenschmiedete, war das Verlangen, in die trügerische Sicherheit der großen Entwürfe zurückzukehren. Immer lauter wurden Forderungen nach Vollendung und Beschleunigung; die als „schwierig“ erfahrene Moderne erforderte einen Neubeginn auf der Basis des offenen Diskurs, die Kunst der geduldigen Debatte während die sehr realen Enttäuschungen nach einer vernichtenden Inflation und einer ungeliebten, weil ungewissen Moderne in den Aufrufen zu Aufruhr und finalen Lösungen mündeten. Weimar begünstigte die letztgenannte Haltung.

Indem die Protagonisten die Moral der Vorkriegswelt bedenkenlos ablegten und mit den jederzeit anpassungsfähigen „kalten“ Personen ihre politischen Strategien und zivilen Codes formten, bereiteten sie die Bühne für einen modernen, erschütterungsresistenten Akteur, der sich ebenso auf der Straße wie auf dem Schlachtfeld oder im politischen Salon zu Hause fühlen konnte. Helmut Lethen hat diese Entwicklung in seinen bemerkenswerten „Verhaltenslehren der Kälte“ aufgezeigt.

Nun bildet er aus vier exponierten Protagonisten dieser Epoche eine Gesprächsrunde. Sie entsprechen dem skizzierten Typus des „neuen Menschen“, wie ihn die politischen Gründerväter einer neuen Moderne nutzen und benutzen konnten. Geadelt durch die Berufung zum „Staatsrat“, der naturgemäß keiner der vier Prominenten aus Wissenschaft und Kunst widerstehen konnte, beschafften sie der neuen Regierung unter dem nationalsozialistischen Reichskanzler Adolf Hitler von Beginn an eine Legitimation, die auch über die Grenzen Deutschlands hinaus mit Erstaunen wahrgenommen wurde. Hermann Göring, der Ministerpräsident von Preußen, gründete im September 1933 den Staatsrat – mit insgesamt nicht weniger als 68 neuen Mitgliedern. Göring ernannte auch den Stabschef der SA Ernst Röhm, den Reichsführer SS Heinrich Himmler, die Gauleiter der NSDAP in Preußen und seine Staatssekretäre zu neuen Mitgliedern dieses Staatsrats.

Die Stimmung bei der Staatsgründung bewirkt die Auflösung des Einzelnen im Kollektiv. 68 Staatsräte werden Glieder eines magischen Rituals, in dem die Polizeifahnen Preußens (schwarzer Adler auf grünem Grund) mit den „Blutfahnen“ der Bewegung „vermählt“ werden, um dann im gemeinsamen Singen des Horst-Wessel-Liedes Teil der Gefolgschaft zu werden. Man stelle sich den baumlangen Furtwängler unter den Gauleitern beim Preisgesang auf die braunen Bataillone vor.“ ( Helmut Lethen )

Der Autor führt uns Gestalten vor, welche die „Verhaltenslehren der Kälte“ im neuen NS-Regime beherzigen und demonstrieren wollen: wer politisch fit und erfolgreich sein will, muß einen Feind haben. Allerdings wird bei Gründgens zerfasernden Vorträgen auf seinem Gut Zeesen die Kältelehre auf seine Schauspiellehre reduziert und wenn Werner Krauss im Zuchthaus die „kalte persona“ als Experimentalfigur eines neuen Menschen erfindet, wird schnell deutlich, dass die Verhaltenslehre der Kälte nichts als eine untaugliche Anleitung für größenwahnsinnige Machtmenschen ist. In der Gesprächsrunde, in welcher Carl Schmitt 1937 in Carinhall seinen Kollegen das Phänomen des Feindes erklären will, geht es schließlich um den Begriff der „Volksgemeinschaft“, der auch heute wieder eine gewisse Aktualität gewinnt. Sie nahm die erste Priorität im Wertsystem des NS-Regimes ein und scheint heute wieder bei denen, die reale oder imaginierte Fremde abwehren oder ausschließen wollen, sehr aktuell zu sein. In diesem Gespräch wird deutlich gemacht, durch welche internen Exklusionsmaßnahmen die Suggestion einer Identität des Volkes erzeugt werden soll.

Denn seine Freundschaftssysteme sind alle feindlich grundiert. Die Vertrauenszone der Freunde ist von Misstrauen zersetzt. Zu Recht bemerkte einer seiner jüdischen Freunde in der Weimarer Republik: Selbst deine Freunde sind doch nur deine liebsten Feinde. Freundschaft ist der weiße Rabe in seiner rabenschwarzen Feindlandschaft. Im Herzen der Volksgemeinschaft waren die Regeln der Distanz, die Freundschaften als einen Umgang mit dem Fremden regulieren, nicht vorgesehen. Im Kern der Volksgemeinschaft herrscht der Furor der Überwachung, dass kein Funken Fremdheit in sie eindringt. Selbst das Phantom der „Rasse“.“ ( Helmut Lethen )

In den spannenden Gesprächen dieser vier unheimlichen „Geister“ einer unheimlichen Zeit werden viele Stimmen, Zitate, Stimmungen und Gesten zu einer bedrückenden manchmal aber auch geradezu grotesken Collage montiert. Mit Erschrecken nimmt der Leser zur Kenntnis, wie hier die auch gelegentlich brillanten Beiträge der Gesprächspartner sich abwechseln mit dem offenen Ausdruck unglaublich ahnungsloer Weltfremdheit und Lebensblindheit; und etliche Theorien, die in den vom Autor choreografierten Gesprächen behandelt werden, sind auch heute virulent.

„Der Trick meiner Fiktion liegt darin, dass ich die vier Exzentriker mit einem Körperbau versehe. Auf diese Weise präsentiere ich sie in ihrer Sterblichkeit. Sie haben ihre Zeit und ihren Resonanzraum gehabt. Und dieser Resonanzraum muss endlich ein Ende haben, nämlich ein Grab. Ich will ihre Gedanken nicht künstlich beatmen. …..und wenn Schmitt zustimmend den Satz zitiert: „Das Leben speist sich aus dem Born des Bösen, die Moral aber führt in den Tod“, so wird klar, dass die Mutigen auf Seiten der Moral gestanden haben.“

Helmut Lethen legt aber ausgerechnet Carl Schmitt die meisten seiner eigenen Zitate in den Mund, der noch 1951 lautstark verkündete:

„Für drei Dinge danke ich Gott: Erstens, dass ich ein Mensch bin und kein Tier. Zweitens, dass ich ein Mann bin und keine Frau. Drittens, dass ich ein preußischer Staatsrat bin und kein Nobelpreisträger.“ (der Nobelpreisträger konnte ja niemand anderes sein, als der nach seiner KZ-Folter in Berlin gestorbene Carl von Ossietzky, der posthum den Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 erhielt).

Helmut Lethen – Die Staatsräte – 352 Seiten – Rowohlt Berlin – ISBN 978-3-87134-797-9

www.schriftsaetzer.wordpress.com

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