Aufbruch zum Umbruch?

Machtvakuum in Äthiopien Über Äthiopiens Chance zum politischen Wandel

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Hat sein Amt niedergelegt: der äthiopische Premierminister Hailemariam Desalegn
Hat sein Amt niedergelegt: der äthiopische Premierminister Hailemariam Desalegn

Foto: Thierry Ccharlier/AFP/Getty Images

Bereits seit Jahren befindet sich Äthiopien in unruhigen Zeiten. Spannungen zwischen Angehörigen der Oromo-Ethnie und der machtvollen Tigray-Elite sind bereits seit Langem an der Tagesordnung. Denn betrachtet man die Geschichte des einzigen afrikanischen Landes, das nicht von den Europäern kolonialisiert wurde, so blickt man auf jahrelange Unterdrückung dieser größten äthiopischen Ethnie zurück. Sie gehen auf die Straße, um gegen ungleiche politische Beteiligungschancen und gegen Marginalisierung zu protestieren. Es lässt sich nicht genau sagen, warum ausgerechnet seit 2016 Menschen demonstrieren. Denn aus spieltheoretischer Perspektive gesehen sind solche Rebellionen gegen Regime immer zufällig. Da kein potentieller Demonstrant weiß, ob andere auch auf die Straße gehen, muss ein kritischer Wert erreicht werden, an dem kollektiver Protest realisiert wird. Solange dies nicht geschieht, ist es für das Individuum einfach nicht rational, sich an dem Protest zu beteiligen, da die Kosten den Nutzen übersteigen. Nicht zufällig ist allerdings die Reaktion der äthiopischen Regierung: erst vor sechs Tagen hat der äthiopische Premierminister Hailemariam Desalegn sein Amt niedergelegt. Laut staatlichem Radiosender Fana habe er sein Bestes gegeben, die derzeitige Krise zu bewältigen. Doch wie lässt sich seine Botschaft einordnen?

Auf der einen Seite wurde Desalegn von vielen Beobachtern nur als Marionette der politischen Eliten Äthiopiens betrachtet, was bedeutet, dass sein Rücktritt wenig spürbare Veränderung mit sich bringen wird. Die zahlreichen Demonstranten in Oromia und auch in Amhara hoffen auf Transformation. Währenddessen wählen die politischen Eliten den harten Kurs gegen sie: sechs Monate Ausnahmezustand. Zwar ist dieses Vorgehen nicht neu, denn schon 2016 hatte die Regierung für zehn Monate einen Ausnahmezustand ausgerufen, doch zeigt es, wie entschlossen das Regime ist, gegen jegliche Opposition vorzugehen, selbst in turbulenten Zeiten.

In Deutschland wird über Äthiopiens Situation wenig im Vordergrund berichtet. Stattdessen fokussieren wir uns auf Konfliktherde im Nahen Osten. Jedoch sollte Äthiopien uns nicht egal sein, wenn wir nicht einen weiteren Konflikt mit Todesopfern herausfordern wollen. Durch seine strategische Lage mit einer langen Grenze zu Somalia ist das Land bereits seit einiger Zeit der wichtigste Partner des Westens im „War on Terror“. Äthiopiens Einsatz gegen Al-Shabaab aus Somalia und andere islamistische militante Gruppen ist essentiell für Stabilität am Horn von Afrika. Das Land ist keine personalisierte Einmann-Diktatur, was bedeutet, dass der Rücktritt Desalegns nicht ein totales Machtvakuum hinterlässt. Trotzdem müssen sich die politischen Eliten jetzt neu organisieren, da autoritäre Regime immer mit dem Problem der Machtverteilung innerhalb der Eliten zu kämpfen haben. Dies wird von Milan Svolik in seinem Buch "The Politics of Authoritarian Rule" anschaulich beschrieben. Es bleibt zu hoffen, dass die politische Opposition diese Umbruchsstimmung trotz Ausnahmezustand für sich nutzt, um geeint mehr Rechte einzufordern. Auch wenn es dieser Tage nicht ungefährlicher geworden ist, sich zu engagieren, müssen die Äthiopier – und auch der Westen – die jetzige Lage nutzen, um Äthiopien vor einem Kollaps zu bewahren.

Verweise

Staatlicher Sender Fana zum Rücktritt Desalegns (englisch)

Staatlicher Sender Fana über Ausnahmezustand (englisch)

Svolik, M. (2012). The Politics of Authoritarian Rule (Cambridge Studies in Comparative Politics). Cambridge: Cambridge University Press.

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