Ping Pong ohne Grenzen

Integration Jede Woche kommen geflüchtete Kinder mit Jugendlichen aus Hamburg zusammen, um Tischtennis zu spielen. Wie klappt das? Eine Schülerin erzählt

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Ping Pong ohne Grenzen

„Parvana!“ Es folgt ein heftiger Wortwechsel auf Afghanisch und Arabisch. Er handelt von falschen Aufschlägen. Dann fliegt die weiße Zelluloidkugel zischend auf die andere Seite des Netzes. Mohammed donnert mit dem Schläger gegen den Tischtennisball. Wieder schreien sich die beiden Kinder gegenseitig an. Diesmal auf brüchigem Deutsch. „Sie kann Spiel nicht!“, ruft der kleine Syrer genervt. Im Hintergrund murmelt der Sechsjährige, der sich selbst Messi nennt, auf Arabisch vor sich hin.

Parvana ist vor mehr als einem Jahr mit ihrer Mutter Laleh und ihrem drei Monate altem Bruder aus Afghanistan nach Deutschland geflohen. Dem Asylantrag der Familie wurde von den deutschen Behörden entsprochen. Seitdem lebt Parvana mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter in einer Hamburger Wohnunterkunft für anerkannte Flüchtlinge.

„Wir sagen nicht gerne Flüchtlingslager. Als wären diese Menschen nur Gegenstände, die wie Päckchen gelagert werden. Der Begriff erinnert mich an ein Konzentrationslager“, erklärt Jörn. Er und Michael sind beide Journalisten und organisieren einmal wöchentlich zwei Stunden Tischtennisspielen für Flüchtlingskinder beim TuS Ottensen 93.

Sieben Jungs und Mädchen spielen in der riesigen Sporthalle: Parvana (8) und Ranim (6), dann die Jungen Messi und Idrissou, beide im selben Alter. Außerdem noch der 18-jährige Akil, der 13 Jahre alte Mohammed und Parvanas Mutter Laleh, die ihr kleines Baby mit dabei hat. Die Flüchtlinge stehen etwas unsicher auf den gelben Linoleumboden, starren auf eine dicke, dunkelblaue Bodenmatte und auf von der Decke herab hängende Seile zum Klettern. Parvana probiert, einen Basketballkorb durch hüpfen zu erreichen und ruft: „Heute können wir werfen?! Das Basketball!“

Die Stimmung ist angespannt, keiner hatte jemals einen Tischtennisschläger in der Hand. Aber sie sind alle aus dem gleichen Grund hier: Sie wollen Tischtennis spielen. Die Sprachen, die Kulturen und auch die Geschlechter stellen eine Hürde da. Mohammed beginnt als erster damit , seinen Namen auf einen Klebestreifen zu schreiben, um sich ihn auf das T-Shirt zu kleben. Dabei wird er von Parvana beobachtet. Sie möchte nach dem Stift greifen, aber Ranim schüttelt den Kopf, als wollte sie sagen: Man nimmt einem Jungen nicht etwas weg, sondern muss warten, bis er fertig ist. Dabei murmelt sie etwas Unverständliches, und Parvana schaut sie fragend an: „Was du willst?“ Ranim winkt ab.

Pink - ein Mädchen mit einem auffälligen Trainingsanzug, wie der von Cindy aus Marzahn, rennt auf mich zu. Parvana hat dichte dunkle Augenbrauen, schwarzes Haar, und sie trägt einen lilafarbenen Haarreifen. Das kleine dünne Mädchen trägt alte abgenutzte Turnschuhe. Ein kleines Muttermal ziert ihren rechten Wangenknochen. Schon letztes Mal war sie beim Tischtennisspielen dabei und kennt die Trainer. „Hallo! Passt Hose! Ja, das Sporthose!“, ruft sie energisch und zieht am samtigem Stoff ihrer etwas zu großen Jogginghose. Ihr Deutsch ist besser als das der älteren Kinder, nur fügt sie jedem Wort ein langgezogenes „H“ hinzu. Dauernd zuppelt sie an ihrem geflochtenen Zopf herum, fragt sehr viel und ist auffällig aufgedreht: „Heute spielen was?“, „Wer gegen wer?“ Sie gestikuliert einen Aufschlag beim Tennis.

Der fast erwachsene Akil ist am enthusiastischsten, Ronney, der Kurde aus Syrien, hat Talent beim Spielen. Er ist ruhiger und kann sich konzentrieren. Wie alle Kinder der kleinen Gemeinschaft hat auch er keine Sportsachen, sondern ist gekleidet wie junge Leute: schlichte kurze Jeanshose und verblichenes, abgenutztes T-Shirt.

Parvana und Ranim äffen Mohammed immer wieder nach, indem sie brüllend, breitbeinig, mit hochgezogenen Schultern und geballten Fäusten herumlaufen. Parvana erklärt, warum sie sich über ihn lustig machen: „Immer muss er sein so Angeber. Dann sein dumm und nervig sehr!“ Für Ranim läuft das Fass über. Die ganze Zeit lacht er sie aus, haut sie und übertrumpft sie bei allem, was sie machen. Beim Fahrradfahren überholt er sie, beim Spielen wirft er den Ball immer auf ihr Feld und brüllt sie an. Ranim beginnt laut zu schreien.

Dann klettert sie beleidigt hinter eine Turnmatte, gemeinsam mit Messi und dem schweigsamen Idrissou, der Rehaugen hat und dessen Gesicht mit reichlich Sonnenflecken geschmückt ist. Idrissou spricht so gut wie gar nicht, er steht mit dem Schläger in der Hand da, in seiner braunen Dreiviertelhose und dem grünen Kurzarm-Shirt. Und er beobachtet. Ähnlich wie Laleh versteht er viel Deutsch, aber er ist zurückhaltend. „Araber“, sagt sie empört, als der Syrer Mohammed nach einem schlechten Schlag laut aufschreit, „immer sein laut. Aua!“ Sie hält sich die Ohren zu. „Nix gut. Brüllen, aber verstehen nix! Und immer machen“. Laleh macht so, als würde sie auf den Boden spucken. Sie ist von kleiner Statur, etwa 35 Jahre alt und ihre Tochter übersetzt für sie. Sie ist Muslima, trägt ein schlichtes, schwarzes Kopftuch und eine rote Langarmbluse. Als einzige aus der Gruppe weiß sie, wie man Tischtennis spielt, kennt die Regeln und ist vor allem eines: geduldig!

Beim „Runde-"spielen fliegt der Ball immer wieder weg, sie geht bedächtig durch die Halle, um ihn zu holen. Immer wenn Parvana zu ihr kommt, um auf Afghanisch und mit dem Finger zeigend über ein anderes Kind zu meckern, hört sie aufmerksam zu. Wenn ihr kleiner Munir sich anspannt, ins Hohlkreuz drückt und die winzigen Hände ballt, bringt sie ihn zum Schlafen. Ist er gestresst oder über-reizt, schiebt sie ihn eine Runde im Kinderwagen. „Mama musste passen auf, auf Baby und mich. Sehr schwer, aber alles gut!“, erklärt Parvana die Flucht mit Mutter Laleh.

Einer der Tischtennistrainer nimmt Laleh den Kleinen kurz ab. Sie nickt dankend und nutzt die Zeit zum Spielen. Munir beobachtet seine Mutter und schaut sich mit seinen großen dunklen Augen um.

„So, jetzt spielen wir Runde“. Kennt jemand das Spiel?“ Bei „Runde“ zählt nur der sportliche Wettkampf. Parvana antwortet Tischtennis-Lehrer Michael mit einem Jubelschrei. Nach einem ziemlichen Gewusel steht jeder am richtigen Platz. Messi hat Aufschlag. Ranim beißt sich beim Schlagen konzentriert auf die Unterlippe, Laleh schafft es nicht, Akils Schlag zu kontern und scheidet aus. Als auch Parvana einen Fehler macht, wird es spannend. Mit hoher Stimme sagt sie: „Ach, bitte, biiitte! Ich kann Spiel doch nicht“. Mit großen Augen versucht sie, sich wieder ins Spiel zu mogeln. Mohammed lacht sie aus. Für einen Moment vergisst er, angeben zu müssen und albert mit der kleinen Afghanin herum.

„Hab ich gewonnen!“, brüllt Mohammed zu Messi. Einige kleine Schweißtropfen rollen seine Stirn hinunter. Schwer atmend donnern seine Schritte auf dem Hallenboden, während er auf die andere Seite der Platte sprintet. Doch der Ball trifft den Schlägerrand, und er scheidet aus. Finale zwischen Mohammed und Idrissou.

„Die Kinder lieben diesen Rundlauf. Das weckt die Geister und alles andere ist vergessen – zumindest für diesen Moment,“ erzählt Jörn. „Wir gewöhnen sie erst einmal langsam ans Spiel. Zuerst müssen sie mit dem Schläger umgehen können und etwas Vertrauen zum Ball haben.“ Seit einigen Jahren spielt er Tischtennis beim TuS Ottensen. Zusammen mit Michael wollen sie den Kindern und ihren Familien etwas Sport und Spaß bieten.

In einer Pause merkt Ranim, dass sie ihr Getränk vergessen hat. „Du Dumme,“ schimpft Mohammed, dann gibt er ihr seine Wasserflasche. Sie grinst ihn an. Spielen ohne Grenzen.

Dieser Text ist im Rahmen eines Zeitungsprojektes im Deutschunterricht entstanden. Zwischenzeitlich ist aus dem Tischtenniskurs für Flüchtlingskinder ein gemeinsames Projekt zwischen dem FC St. Pauli, ATV und TuS Ottensen hervorgegangen. Zweimal wöchtenlich gibt es ein offenes Training, das ehrenamtlich von Spielern der drei Vereine geleitet wird. Unterstützt wird die Initiative auch vom Hamburger Sportbund sowie dem Deutschen Tischtennisverband.

Soraya Draeger ist Schülerin der Klosterschule in Hamburg und besucht die 10. Klasse.

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