Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der Internationale Tierschutzfonds (IWAF) und andere Verbände kämpfen weiter gegen den Ausbau der Flugzeugwerft von Airbus Deutschland in Hamburg-Finkenwerder. Durch das Großprojekt wird ein Biotop zerstört, das nicht nur als europäisches Naturerbe gilt, sondern auch als eines der letzten Süßwasserwatts der Welt. Doch die Freie und Hansestadt Hamburg hat sich bisher als Eigentümerin des Terrains allen Protesten kategorisch verschlossen.
Es riecht nach Elbe, herb und modrig. Der Wind drückt kühl in den Nacken, die Dieselmotoren brummen, Seemöwen fliegen über dem Wasser, das von der Schiffsschraube aufgewirbelt wird. Sie spähen nach Plankton, das an der Oberfläche auftaucht. Sven Baumung steht am Heck der Fähre, die von Hamburg-Blankenese nach Finkenwerder übersetzt. Der Ornithologe arbeitet für den Naturschutzbund Deutschland (NABU) und ist hier oft unterwegs. "Da schauen sie, wie elegant ihre Flügel sind", sagt er und zeigt mit dem Finger auf eine Möwe, die mit weitem Schwung über dem schäumenden Wasser schwebt.
"Es bringt ja ohnehin nichts, noch großartig drüber zu sprechen", sagt Baumung, "denn die machen doch, was sie wollen." Er schüttelt den Kopf mit den dunklen, von grauen Strähnen durchzogenen Haaren. "Die!" - Baumung deutet mit dem Zeigefinger in Richtung Nordost elbabwärts auf die Fabrikhallen und die Baustelle von Airbus Deutschland, der 85prozentigen Tochter von EADS. Er deutet auf Anlagen, deren Ausbau erbittert umstritten ist, weil für die Vergrößerung der Flugzeugwerft 170 Hektar des Mühlenberger Lochs zugeschüttet wurden, eines der letzten Süßwasserwatts der Welt und ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel. Das 675 Hektar große Biotop gilt als europäisches Naturerbe. Dort aber soll bald am Airbus A 380 mitgebaut werden, dem "Flaggschiff des 21. Jahrhunderts", wie es auf der Homepage des europäischen Flugzeug- und Rüstungsbauers EADS heißt.
Der Senator ballt energisch die Faust
Die Hansestadt setzt das Bauvorhaben resolut durch - Tausende neuer Arbeitsplätze werden in der Hansestadt entstehen, versprechen parteiübergreifend die Politiker. 2.000 Menschen sollen bald in den neuen Airbus-Fabriken einen Job bekommen. Weitere 2.000 Arbeitsplätze in den Zuliefererbetrieben verspricht CDU-Wirtschaftssenator Gunnar Uldall. Airbus ist vor allem ein Prestigeobjekt und kündet von der großen weiten Welt. Und wenn man bei Uldall ist, um darüber zu sprechen, dann kommen Sätze wie: "Wir werden mit Seattle und Toulouse zu den wichtigsten Standorten im Flugzeugbau gehören. Weltweit." Uldall ballt energisch die Faust. Der gedrungene Körper des kaum 1,70 Meter großen Mannes will sich recken. "Wenn dieses Projekt scheitert, dann wäre dies ein Imageschaden für unsere Stadt, der nicht wieder gut zu machen ist." Und dann gerät der Senator ins Schwärmen und sein glattes Gesicht scheint zu strahlen, weil die "Endmontage des Airbus" so viele Möglichkeiten biete. "Neue Betriebe schießen aus dem Boden, ein Hotel wird gebaut für die Mannschaften, die Flugzeuge in Finkenwerder abholen und an Käufer im Mittleren Osten ausliefern."
Dabei ist der juristische Streit um die Flugzeugwerft noch gar nicht entschieden. Das Verfahren zwischen den Klägern der Umweltverbände und der Hansestadt vor dem Hamburger Verwaltungsgericht läuft noch. Am 27. August könnte es einen Beschluss geben, zumindest erwartet dies der Anwalt der Naturschützer Peter Mohr. Nur ganz gleich, was entschieden wird, in Finkenwerder arbeiten die Bagger weiter. "Jede der Parteien, kann sich in die nächste Instanz klagen", sagt Mohr.
"Airbus Deutschland"
Das Unternehmen erbringt als Tochtergesellschaft ein Viertel des Gewinns der European Aeronautic Defense and Space Company (EADS), der im Vorjahr bei 1,7 Milliarden Euro lag. Laut Geschäftsbericht 2001 erzielte EADS zuletzt einen Jahresumsatz von 30,8 Milliarden Euro und verzeichnete Auftragseingänge in Höhe von 60,2 Milliarden. Der derzeitige Gesamtauftragsbestand wird mit 183,3 Milliarden Euro angegeben.
Denn während vor Gericht die Anwälte streiten, schafft die Hamburgische Regierung Fakten. Sind die Pläne erst einmal verwirklicht, wird es kein Richter wagen, einen Rückbau anzuordnen. Zu groß wären die Verluste des Stadtstaates, der mehr als 665 Millionen Euro in die neuen Grundstücke investiert, die an Airbus verpachtet werden. Mit anderen Worten: Die Wirtschaftsbehörde denkt mitnichten an Rückzug, im Gegenteil, sie hat vor wenigen Monaten einen neuen "Kriegsschauplatz" in Sachen Airbus-Anlagen eröffnet - die Start- und Landebahn des Werkes soll nach dem Willen des Unternehmens um 589 Meter in Richtung Südwesten verlängert werden. Begründung: Die Frachtversion des A 380 kann auf der vorhandenen 2.321 Meter langen Bahn nicht starten und landen. Mit der Verlängerung wären allerdings zahlreiche Häuser des angrenzenden Dorfes Neuenfelde zum Abriss verurteilt. Die Bewohner führen nun einen verbissenen Kampf zur Verteidigung ihrer Heimat, dem "Alten Land", wie die Apfelbauern die Region nennen.
Eine schwarze Mamba liegt im Weg
Die Bushaltestelle Rosengarten ist das eine Ende der Airbus-Rollbahn - und die erste Verteidigungslinie der Neuenfelder Bürger. Hier erstrecken sich grün-gelbe Apfelbaumplantagen bis an den Horizont. Rote Backsteinhäuser drängen sich um den Turm der St. Pankratiuskirche, die man von dem geteerten Marschkamper Deich aus sehen kann. Dieser Damm liegt vor der Flugzeugbahn wie eine satte schwarze Mamba. Darauf Gabriele Quast, Mitglied im Schutzbündnis für die Elbregion und Ehefrau eines "Obstbauern in der elften Generation". Wenn die Startbahn wie geplant verlängert würde, dann müsste die schwarze Mamba durchschnitten werden und damit das Obstanbaugebiet. Die roten Backsteinhäuser würden platt gemacht und viele Landwirte ihren Hof aufgeben. Ganz gleich, ob in erster oder elfter Generation.
"Aufgeben? Niemals!", sagt Quast. Sie blickt auf die nur wenige Meter entfernte Bahn, von der aus täglich große Beluga-Frachter starten und landen, die Flugzeugteile transportieren. "Seit einigen Wochen erst stehen diese Warnschilder auf dem Deich", erzählt sie. Auf jeder der dreieckigen Tafeln prangt ein Flugzeug, darunter steht: "Bei Flugverkehr kein Durchgang." Quast lacht, als hätte sie die Inschrift, gerade zum ersten Mal gelesen. "Einmal stand ich mit einem Journalisten hier und als so ein Airbus einschwebte, da warf sich der Mann zu Boden, weil die Maschinen so tief über den Deich kommen."
Eine schmale Straße führt in den Dorfkern zur Kirche. Gabriele Quast lenkt ihren Minivan und zeigt ab und zu mit dem Finger auf eines der roten einstöckigen Häuser, die langsam vorbeiziehen und leer stehen. Seit Monaten. Weil - so munkeln die Leute im Dorf - die Hansestadt Grundstück um Grundstück aufkaufe. Mehr als 20 sollen schon den Besitzer gewechselt haben. "Die Stadt kauft das ganze Dorf, damit keine Kläger da sind, wenn die Rollbahn kommt", glaubt Quast und biegt auf den Vorhof der Kirche ein. Vor dem Portal an einem der großen Ahornbäume hängt ein weißes Plakat. Darauf steht in großen schwarzen Lettern: "Unsere Angst hat einen Namen: Airbus 380!" - Viele sind zwischenzeitlich aus Neuenfelde weggezogen, weil sie den Kampf mit dem Konzerngiganten, dem die Airbus-Tochter besonders wichtig scheint, nicht wagen. Doch offenkundig will das Unternehmen selbst risikoreiche Rechtsstreitigkeiten auf jeden Fall vermeiden. "Wir haben mit dem Ausbau des Werkes ja nichts zu tun", sagt ein Airbus-Sprecher am Telefon, der von den Ängsten der Neuenfelder nichts wissen will. Schließlich bereitet die Hansestadt das Terrain, auf dem der Flugzeugbauer bald gedeihen kann.
Ob die Stadtregierung tatsächlich ihr Dorf Neuenfelde Zug um Zug einsackt? Gabriele Quast ist sicher, dass Hamburg - wie im Umweltschutzgebiet Mühlenberger Loch - schnell vollendete Tatsachen schaffen will. Leuten, die aus den veräußerten Häusern ausziehen, werde aufgetragen, die Gardinen hängen zu lassen, erzählen sich die Neuenfelder.
Vor Monaten schenkte ein Bauer ein Zwölf-Hektar-Grundstück, das an die Rollbahn grenzt, zwei Vereinen und 23 Personen. Jeder Eigentümer darf nun bei einem neuen Planfeststellungsverfahren verlangen, dass alle Maßnahmen überprüft werden. Zudem wären Enteignungen bei einem privat-nützigen Projekt wie der Airbus-Anlage verfassungsrechtlich nur schwer durchzusetzen. Der Ausbau wäre damit gescheitert, der A 380 würde in Hamburg dann wohl nicht teilgefertigt, eine Millioneninvestition der Hansestadt könnte im wahrsten Sinne des Wortes in den Sand gesetzt sein - das "Flaggschiff des 21. Jahrhunderts" bliebe in Toulouse.
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