Angst vor der Invasion

Landtagswahl Am kommenden Sonntag wird in Bayern abgestimmt. Dass die Christlich Soziale Union (CSU) gewinnt, ist sicher. Auch Bernd S. zweifelt nicht am Sieg. Besuch eines Politabends

"Stell Dir vor, 15 Millionen Türken wandern in unser Land ein", sagt der Mann, der eine bayerische Lederhose trägt und ein weißes Hemd, über das sich die Hosenträger spannen, auf denen Hirsche röhren. "15 Millionen", sagt er noch einmal und schüttelt betroffen den Kopf. Die Zahl macht ihm Angst. Gehört hat er sie von seinem Parteikollegen Michael Glos, dem CSU-Landesgruppenchef im Deutschen Bundestag. Der warnte in einer Plenardebatte die rot-grüne Regierung davor, einen Beitritt der Türkei zu unterstützen, denn dann wanderten sehr schnell "15 Millionen Türken nach Deutschland ein". In der Christlich Sozialen Union will das niemand. Auch nicht der Mann mit Lederhose, der jetzt vor dem Eingang zum Siegsdorfer Festsaal steht. Siegsdorf ist ein 8.000-Seelen-Ort in Südost-Oberbayern, und eigentlich ist es abends um kurz vor acht hier still und menschenleer, aber nicht heute, denn hoher Besuch ist angekündigt: der Baden-Würtembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) wird eine Rede im Festsaal halten. Ein Großereignis.

Einige hundert Menschen strömen nun zum Eingang, viele tragen Tracht. Die Frauen haben ihre Dirndl an, aufgeplusterte Röcke, tiefe Dekolleteés, Puffärmel. Nun hakt der Lederhosenmann seine Frau ein, er nennt sie Froni. Sie nennt ihn beim Spitznamen, den er nicht in der Zeitung lesen will und besteht auf einem Pseudonym: Bernd S. Er will nicht, dass was falsch rüberkommt, sagt er. Bernd ist 56 Jahre alt, Landwirt, CSU-Mitglied, gebürtig aus diesem Ort. Weiße Haare bilden einen Kranz um seine Glatze, im Gesicht zeichnet sich das Blau der Rasur ab. Bernd ist fast 1,80 groß und stämmig, aus dem Brustkorb dröhnt ein weicher bayerischer Bass. Im Festsaal nehmen sie Platz neben einigen Bekannten. "Griaß eich God", sagen sie einander. Vorne auf dem Podium sitzt die örtliche Polit-Prominenz, der Bürgermeister, Landräte, CSU-Landtagsabgeordnete. Weißblaue Rautenmuster dekorieren Wände und Tische, Fahnen mit Bayernlöwen sind aufgehängt. Dann spricht der Ortskreisvorsitzende ein Grußwort. Die Leute klatschen. Bernd klatscht auch, er ist begeistert von seiner Partei, der er schon im Alter von 16 Jahren beigetreten ist. Sein Vater bewog ihn dazu, der nach dem Kriege aus dem "Sudetenland" vertrieben worden war. Die CSU gab diesen Menschen wieder eine Heimat, sagt Bernd. Froni nickt, wenn ihr Mann spricht. Ihre grauen Haare hat sie zu einem Dutt hochgesteckt, Falten zeichnen sich um ihre braunen Augen und den ernsten Mund ab. Die Siegsdorfer sind stolz auf ihre Gemeinde, in der es nur einzelne Arbeitslose und kein Elend gibt. Über 400.000 Touristen übernachten jedes Jahr hier und im Fremdenverkehrsamt weiß man, dass jeder Besucher 6,2 Tage in Siegsdorf verweilt. Alles ist proper und fein. Die Landschaft, die Berge, die Seen, alles ist so schön, dass es einem weh täte, hier weg zu müssen, sagt Bernd. Schmerzen würde ihn auch, wenn zu viele Ausländer hierher kämen und ihre Tradition nicht achteten. Aber davor ist ihre Christenpartei, sind sich Menschen wie Bernd sicher.

In Südost-Bayern liegt die Arbeitslosigkeit seit Jahren unter sechs Prozent, trotz vieler Pleiten existiert noch eine große mittelständische Industrie. In München wird Hightech gemacht. General Electric baut seit kurzem ein europäisches Forschungszentrum bei Garching in der Nähe der Landeshauptstadt, weil dort bereits ein Forschungsreaktor steht, den der Freistaat mit 230 Millionen Euro finanzierte. Den Rüstungsbauer MBB holte schon der einstige bayerische Ministerpräsident Franz Josef-Strauß ins Land. Mit Milliardenbeträgen subventioniert man die Wirtschaft, stützt sie durch unternehmerfreundliche Politik, heißt es. Und all das hat eben auch Auswirkungen auf diesen gottesfürchtigen Winkel im Chiemgau, wo Dörfer wie Siegsdorf gedeihen und blühen, glaubt man hier.

Dass es in Bayern viele Polit-Skandale gibt, in die regelmäßig die CSU verwickelt ist, stört die Christenmenschen nicht. Korruption bedeutet hier eher verniedlichend "Spetzl-Wirtschaft", und die diene meist ja auch nur den Menschen. Die schmutzigen Geschäfte des großen Landesvaters Strauß mit Diktatoren wie Pinochet und Ceaucescu nimmt man nicht übel. "Fui glab i do e ned", "Vieles glaub ich da ohnehin nicht", dröhnt Bernd im weichen Bass. Glauben muss man eben haben.

Am Rednerpult steht nun Erwin Teufel, seitengescheitelt, mit Hängewangen und Verschwörerlächeln. Die Menschen wissen, worum es den C-Parteien geht, sagt er. Um die Pflege von Werten und Traditionen, die Bewahrung des Glaubens. Froni nickt. Um ihren Hals hängt ein Kettchen mit einem Kruzifix dran. Froni war als junges Mädchen im Kirchenchor, und wenn sie kann, geht sie sonntags immer noch zum Gottesdienst. Bernd besucht die Kirche nicht oft, denn er ist im Schützenverein und im Bauernverband, einen Stammtisch hat er auch. Meist haben die Clubs und Verbände enge Anbindungen an die CSU, üblicherweise über die Mitglieder, die schon mal das Forum ihres Vereins nutzen, um auf kommende Wahlen aufmerksam zu machen oder um Mitarbeit für politische Kampagnen zu bitten, wie 1999, als die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft unterstützt werden sollte. Die Parteispitze in München erzielte einen großen Erfolg, wie üblich. Sie greift durch bis in jede Kleinstadt, in jedes Dorf, bis hierher.

Teufel schmettert im Festsaal weiter seine Rede und zetert gegen Rote und Grüne, die verantwortlich seien für hohe Arbeitslosigkeit und schlechte Wirtschaftsdaten. Bayern und Baden-Würtemberg aber, sagt er, stünden gut da, sehr gut sogar. Klatschen. Dann sagt er auch was über die Türkei und warnt vor einem Beitritt. Millionen Türken kämen dann nach Deutschland und da natürlich insbesondere in die Südländer, weil es hier so gut sei, meint er. Zu seinem Nachbarn sagt Bernd: "Stell dir vor, irgendwann steht eine Moschee in Siegsdorf." Unannehmbar sei so etwas. Aber was wäre, wenn eine jüdische Synagoge hier gebaut werden sollte? "Des is wos onders", "Das ist was anderes", sagt Bernd. Millionen deutscher Flüchtlinge zogen nach dem Krieg ins Bayernland ein, zu ihnen gehörten auch Fronis und Bernds Eltern. Schnell fanden sich die Vertriebenen durch die Christ-Soziale Partei vertreten, in der ihre Kinder Karriere machen sollten. Wie Edmund Stoiber oder Günther Beckstein. Der Vertriebenenflügel in der CSU ist mächtig und reagiert besonders empfindlich auf das Thema Einwanderung und Ausländer, denn sie verstehen sich als die Hüter der Heimat und ihrer Kultur. So wie Bernd und Froni.

Teufel schließt seine Rede, der Saal jubelt. Dann erheben sich die Trachtenjanker und Dirndl und verlassen den Festsaal. Draußen verabschiedet sich Bernd von seiner Frau, die nun nach Hause geht, während es sich im Wirtshaus mit Freunden treffen will. Nachbesprechung. Am Sonntag ist die Wahl und womöglich erreicht seine Partei die Zwei-Drittel-Mehrheit. Dass die Opposition dann noch schwächer ist und die Regierung fast ohne Kontrolle tun und lassen kann, was sie will, stört Bernd nicht. Dass ist doch jetzt auch schon so, und es ist kein Problem, sagt er.

Noch in den letzten Wochen des Wahlkampfes druckten die Grünen Plakate, auf denen Stoiber, stilisiert als Lenin, auf rotem Untergrund zu sehen ist und warnten vor der absoluten Mehrheit der CSU. Aber wirklich Angst machten sie den Wählern damit nicht. Die hatte ihnen schon jemand anderes eingejagt, als er vor den 15 Millionen Türken warnte.

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