Das Herz denkt eben nicht

Parteitag Trotz des gefühlig inszenierten Konvents ahnen die Sozialdemokraten, dass sie bald nicht mehr regieren werden

Am Tag danach stehen Klaus Uwe Benneter und Franz Müntefering vor den Journalisten im Willy-Brandt-Haus und versuchen, locker zu wirken, beantworten Fragen betont ruhig, geradezu abgeklärt. Der Tag danach, ist der Tag nach ihrer Wahl - Benneter ist der neue Generalsekretär, Müntefering, der neue Parteivorsitzende.

Lächelnd prangen die beiden auf vielen Titelseiten in dieser Woche. Die Redakteure versuchen es wieder einmal mit einer anderen Geschichte - die Story von der sich ewig selbst zerstörenden einstigen Arbeiterpartei wirkt auf Dauer langweilig. Also lautet der Tenor: "Die Sozialdemokraten wollen es noch mal wissen." Und dann folgen die Bewertungen des Konvents. Schröder habe eine "sehr gute Rede" gehalten. Nur stimmt das nicht. Schröder war so selbstgefällig wie immer, so um Gefühle bemüht wie eh und je. Doch bei seiner Abschiedsrede gab es Resonanz, weil es eben ein Abschied war, sein Abschied, und darüber freuten sich die Genossen, wie man sich über einen traurigen Film freut.

Der flüchtige Beobachter nimmt nur die Version vom großen Wechsel wahr, dabei scheint hinter den Kulissen eine ganz andere Stimmung zu herrschen. Aber dazu gleich. Zunächst einmal ein Blick auf Müntefering, der es wieder einmal verstanden hat, seine "Genossen" einzufangen und in Stimmung zu bringen. Mit diesen kraftmeiernden Sätzen, für die sie ihn lieben, und mit dieser Sturheit, für die sie ihn noch mehr lieben: "Opposition gehört zur Demokratie, aber Opposition ist Mist. Lasst das mal die anderen machen! Wir wollen regieren!" Dafür gibt es donnernden Applaus im Internationalen Congress Center des Berliner Estrel Hotels. "Die Reformen gehen weiter", das hören die Genossen lieber von ihrem Franz als von sonst jemandem. Das Herz denkt eben nicht.

In der Partei gibt es keine Zuversicht, auch wenn das der Parteitag für einen kurzen Moment glauben machen wollte. Und Bild die rührende Geschichte der verheulten Kanzlergattin ("Doris bittere Tränen") erzählt. Vielmehr scheinen Schröder und sein neuer General Müntefering sich mit ihrem baldigen politischen Ende abgefunden zu haben und überlegen nun, wie sie die Übergabe der traditionsreichen Partei organisieren können, solange sie noch Kraft haben, das Steuer eines schwer in Seenot geratenen Dampfers zu halten. Jeder weiß: Schröder war nicht willens und nicht fähig, vom Willy-Brandt-Haus aus eine geordnete Übergabe an die nächste Generation vorzubereiten. Dies wäre jedoch jetzt notwendig, befanden die Strategen im Kanzleramt, wie in der Parteizentrale, denn die Regierung liegt in ihren letzten Zügen. Gerhard Schröder, sagt man, arbeite nur noch, um in die Geschichtsbücher als Reformkanzler einzugehen. Sollte es Rot-Grün nicht bis ans Ende der Legislaturperiode schaffen, werde das vor allem bei den Genossen ein Chaos verursachen. Viele Egomanen kämpfen schon um ihre künftigen Positionen und Pfründe. Sigmar Gabriel lässt grüßen - aber es geht nicht nur um Personalien, sondern um den Kurs. Vorzugsweise zwei Varianten bewegen in diesen Tagen die Gemüter der Steuermänner. Entweder wird nach der Zeit Schröders und Münteferings die Parteilinke stärker und ändert die Ausrichtung - weg von der "Agenda 2010" und der "Politik nach Kassenlage" - oder es gelingt ein geordneter Übergang nach dem Verlust der Regierungsmacht und das Schröder´sche Erbe führt beispielsweise ein Sigmar Gabriel weiter.

"Nach mir die Sintflut", ist eher die Parole des Kanzlers. Müntefering hingegen will die Partei nicht in eine völlig ungewisse Zukunft entlassen. Nicht zuletzt deshalb überließ ihm der Kanzler den Chefposten in der SPD-Zentrale. Zur Erinnerung: Als Schröder sich während des Niedersachsen-Wahlkampfes mit seinem ehemaligen Schützling Gabriel wegen der Forderung nach einer Vermögenssteuer überwarf, war es Müntefering, der Kontakt zu Schröders Amtsnachfolger in Hannover hielt. So ist es bis heute. Der neue Parteichef genießt Vertrauen und kann bei Abstimmungen auf ein großes Reservoir zurückgreifen. Wen er zum Thronfolger kürt, der kann mit starkem Rückhalt rechnen.

Aber über all das wurde auf dem Parteitag nicht gesprochen. Als Müntefering den Satz "Opposition ist Mist" in den Saal wirft, weiß er genau, was er tut. Er will, dass alle glauben, dass er - der Vorsitzende - und die Regierung noch an die Chance auf einen Wahlsieg im Jahre 2006 hoffen. Trotz der Rentenkürzungen, der Praxisgebühr, der Rekordarbeitslosenzahlen. Und der noch ausstehenden schlechten Nachrichten angesichts der Reformpolitik und neuer Finanzlöcher und einer möglichen Mehrwertsteuererhöhung. Wahrlich, das Herz denkt nicht.

Nun stehen sie beide - Müntefering und Benneter - ganz vorn bei dem Frage-Antwort-Geplänkel mit der Presse nach der Präsidiumssitzung am Montag und machen weiter gute Miene zum heimlichen Spiel. Benneter wirkt - wie bei seiner Parteitagsrede - hölzern, ungelenk, unsicher. Ein Kollege sagt: "Der weiß doch gar nicht, was hier wirklich abgeht." Müntefering redet, redet und redet. Er will, dass die Journalisten sich festbeißen an dem Führungswechsel und Clements Streit mit den Grünen wegen der Emissionsrechte und am Verkauf der Hanauer Atomanlage. Derweil entwirft er Leitlinien einer künftigen SPD in spe, baut vor für die Zeit nach ihm, stülpt dem Land die Agenda 2010 über. Einen anderen Weg sieht er nicht, der "Münte", der Parteichef, im Dienste der Pflicht.


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