Es war an einem Tag im August vergangenen Jahres, als der Supermann der Regierung Schröder wieder einmal den Mund ziemlich voll nahm. Gegenüber der Welt am Sonntag versprach Wolfgang Clement: "Jeder und jede, die jetzt einen Ausbildungsplatz sucht, wird ein Angebot bekommen, ob auf einen Ausbildungs- oder einen Praktikumsplatz oder auf eine berufsvorbereitende Maßnahme." Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände staunten nicht schlecht, als sie die Ankündigung vernahmen. Dabei war die Skepsis groß, wirklich allen 35.000 Jugendlichen, die seinerzeit auf Stellensuche waren, einen Berufseinstieg zu ermöglichen. Die Lage hat sich seither nicht gebessert. Bundesweit kreisen derzeit mehr als 230.000 junge Menschen in den Warteschleifen der Arbeitsämter und hoffen auf einen Ausbildungsplatz, mehr als 30.000 davon haben gerade erst ihren Schulabschluss hinter sich. Helfen konnte ihnen die rot-grüne Regierung bisher nicht. Das Jump-Programm der Bundesregierung - 1999 initiiert - erweist sich als Fehlschlag. Nur 27.000 Jugendliche nahmen daran teil, zwei Drittel davon brachen ohne Abschluss vorzeitig ab. Clement selbst ging mit dem Lehrstellentruck (s. Freitag 35/03) medienwirksam in den Kampf um Ausbildungsplätze, blieb jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Dennoch versprach er, dass es mit ihm keine Ausbildungsplatzabgabe geben werde - seitdem steht Clement bei der Wirtschaft im Wort.
Unter dem Eindruck der herben Niederlage in Hamburg sieht sich die SPD-Führung nun allerdings mehr denn je gezwungen, ihrer Basis zu beweisen, dass sie auch "linke" Politik durchsetzen kann. Zwar will der Parteichef in spe nicht vom Reformkurs lassen, aber doch wenigstens versöhnliche Signale an die Gewerkschaften senden. Wann, wenn nicht jetzt, müsste endlich die traditionelle Wählerschaft zurückgeholt werden, rumort es in der Bundestagsfraktion.
Nur ist die Bundespartei in Sachen Ausbildungsplatzabgabe gespalten. Die Landesverbände wehren sich gegen die neue Abgabe aus Angst, den Mittelstand gegen sich aufzubringen. Widerstand gegen das Gesetz kündigte bereits die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) an. Warnend schaltete sich Bremens Regierungschef Henning Scherf (SPD) ein. Es dürfe nichts getan werden, was diejenigen, die Ausbildung leisteten, vor den Kopf stoße. "Wir wollen keine Showkämpfe mit denen machen." Unbeabsichtigt beschrieb Scherf die Situation sehr treffend.
Längst ist bekannt, dass weder der Kanzler noch ein Großteil seiner Regierung ernsthaft die "Strafabgabe" wollen - doch die Show muss nun beginnen, und Müntefering soll mit der Verwirklichung des Projekts seine Meisterprüfung als neuer Hoffnungsträger ablegen. "Schröder darf seinen Parteichef nicht bei diesem Gesetz scheitern lassen", heißt es im Willy-Brandt-Haus. Der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel, Vertreter des linken Flügels, ist überzeugt, dass die Abgabe bald in Paragraphen gegossen wird. Immerhin habe die Bundestagsfraktion in einem Eckpunktepapier das Vorhaben beschlossen. Und das Gesetz wird so formuliert, dass die Regierung nicht die Zustimmung der CDU/CSU-dominierten Länderkammer benötigt. "Daran wird fieberhaft gearbeitet", sagt Barthel gegenüber dem Freitag.
Seit Wochen kursieren Verschwörungstheorien über die Verhinderung des Gesetzes. Clements Lager versuche mit juristischen Bedenken die Befürworter von ihrem Weg abzubringen, es dränge auf eine Vorlage, die die Zustimmung des Bundesrats benötige. Immerhin, so ein Mitarbeiter des Wirtschaftsministeriums, haben die Mittelstandsverbände bereits angedroht, mit allen rechtlichen Mitteln gegen die Abgabe vorzugehen. "Das Ganze könnte zu einem neuen Desaster führen, wie bei Dosenpfand und Toll-Collect."
Alles nur Panikmache, wiegeln die Anhänger des ersten wirklich linken rot-grünen Projekts seit Jahren ab. Die Umlage sei sinnvoll und helfe den Jugendlichen und der Wirtschaft. Tatsächlich streiten sogar die Experten über die Steuerungseffekte der Ausbildungsplatzabgabe. "Die aktuellen Statistiken zeigen, dass die Ausbildungskrise Folge der schwachen Wirtschaftsentwicklung ist. Unternehmen, denen es besser geht, bilden auch mehr aus, Betriebe, denen es schlechter geht, bilden weniger aus. Man sieht das im Übrigen auch an der unterschiedlichen Angebotsdichte: im Osten gibt es die wenigsten Azubi-Stellen je Bewerber, im Süden die meisten", sagt der Arbeitsmarktforscher vom Wissenschaftszentrum Berlin Ralf Mytzek. Andere präsentieren Zahlen, die von einem Erfolgsmodell "Umlage" erzählen.
Während Partei und Experten streiten, bereitet Müntefering den "großen Bluff" vor, wie einige Parteigänger sagen. Das Gesetz soll so viele Ausnahme- und Sonderregelungen enthalten und womöglich den Ländern großen Spielraum bei der Anwendung lassen, dass die Unternehmen ruhig bleiben - und Clement sein Gesicht wahren kann. So wie der Kanzler den Bald-Parteichef nicht brüskieren könne, dürfe er auch nicht dem Superminister die "Beine weghauen", heißt es, sonst wird sein einstiger Supermann von den Wirtschaftsvertretern nicht mehr ernst genommen. Ohnehin sei Clement seit Schröders Überraschungsrücktritt vom Parteivorsitz schwer angeschlagen. Er wusste von nichts. Dies zeige den Arbeitgebern die Schwäche dieses Mannes, der einst als "Macher" galt. So laviert die Partei hin und her und riskiert wieder einmal, ein schlechtes Gesetz zu fabrizieren, dass letztlich mehr Schaden als Hilfe für die jungen Ausbildungssuchenden und die eigene Partei verursachen könnte.
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