Da steht er, der leibhaftig gewordene Geist der Geschichte. Dr. Helmut Kohl, Bundeskanzler a.D., Vater der Deutschen Einheit, aus der guten, alten Zeit von Wirtschaftskraft und Freizeitparadies - Made in Germany. Kohl spricht Ende Juni anlässlich des 40-jährigen Bestehens des CDU-Wirtschaftsrates vor einem vollbesetzten Konferenzsaal im Berliner Hotel Intercontinental und erinnert an vergangene Tage. Er ist das Beste, was der Wirtschaftsrat zu bieten hat.
Eigentlich soll über die Zukunft des Standortes Deutschland diskutiert werden. Der Wirtschaftsrat hat Experten eingeladen, die angeblich Wege aus der Krise kennen. Die wissen, was das Land jetzt braucht. Aber erst erinnert Kohl an die Zeit seiner Regierung und daran, dass die CDU, die Partei der "Sozialen Marktwirtschaft" ist. Die Leute im Saal klatschen.
Fast zur gleichen Stunde veröffentlichen Wirtschaftsinstitute die neuesten Daten. Das Hamburgische Welt Wirtschafs-Archiv erwartet ein weiteres Sinken des Bruttoinlandsproduktes und spricht von Stagnation, aus der bald eine Rezession werden könne. Doch die Eliten der Republik verfangen sich in Phrasen. Bei ihren Auftritten erinnern sie an Regenmacher, die tanzen, um Regenwetter während schlimmer Dürreperioden herbeizuzaubern. Deutschlands Regenmacher versprechen, Wasser auf die Mühlen der Wirtschaft leiten zu können. So wie die Leute auf dem Wirtschaftstag, der als christlich-demokratischer Think Tank gilt. Die Botschaft lautet, wir sind dran an den Themen dieser Tage und arbeiten an Konzepten für einen schnellen Kurswechsel, sobald die Christenpartei wieder regiert.
"Wahrheit, Mut, Aufstieg" ist das Motto des Treffens. Und Kohl verkündet, dass es im Osten doch heute wirklich viele blühende Landschaften gebe. Friedrich Merz, Finanz- und Wirtschaftsexperte der Union, sitzt in der ersten Reihe des Publikums und klatscht dazu mit weiten, ausholenden Bewegungen, so dass jeder sehen kann, dass er den Kanzler toll findet. Kohl findet Merz auch toll und unterstützt ihn innerhalb der Union, denn Kohl mag Merkel nicht. Merkel sitzt nicht im Publikum.
Merz will irgendwann Bundesminister werden und "das Land erneuern". Er zeigt mit Vorliebe, wie intelligent er ist und jeden Winkelzug der Steuer- und Finanzpolitik kennt und versteht. Und dass er weiß, wie man das alles besser machen kann. Für die Arbeitslosen, die Unternehmer, die Banken, den Staat. Merz wird gleich einen Vortrag halten über "Neue Prioritäten in der Steuerpolitik - Strukturreformen und Entlastung". Sein Publikum besteht vornehmlich aus Mitgliedern des Wirtschaftsrates, aus mittelständischen Unternehmern, die gern ungezwungen schimpfen auf die Arbeitslosen und Sozialschmarotzer. Merz darf also Tacheles reden.
Dunkler Reformteint
Aber auch Angela Merkel will zeigen, dass sie sich mit den Themen der Wirtschaftspolitik verdammt gut auskennt. Deshalb hält sie einen Vortrag auf der Jahrestagung der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", die im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR stattfindet. Die CDU-Vorsitzende referiert nur wenige Tage nach dem CDU-Wirtschaftstag, doch ins DDR-Staatsratsgebäude sind weder Merz, noch Kohl geladen.
Die "Initiative" war einst Merkels Idee und als Gegenentwurf zur Schröders "Neuer Mitte" gedacht. Mit der "Neuen Sozialen Marktwirtschaft" wollte die CDU-Chefin Führungskompetenz beweisen und dem Rest der Republik sagen, wo es lang geht. Mit Kürzungen der Sozialleistungen, hartem Vorgehen gegen Arbeitslose, kurz mit neoliberaler Politik.
In diesem Saal handelten vor 13 Jahren die letzte DDR-Regierung und Kohls damaliger Intimus, Wolfgang Schäuble, den Einigungsvertrag aus. Merkel räuspert sich und tritt ans Mikrofon. Die Journalisten richten ihre Kameras auf sie. Ein Video-Beamer projiziert Merkel auf eine Leinwand, damit sie auch für jeden Zuhörer gut einsehbar ist. Auf dem Podest, an dem sie nun steht, ist zu lesen: "Chancen für alle!"
Tage später: In der Landesvertretung von Nordrhein-Westfalen herrschen strenge Sicherheitsvorkehrungen. Journalisten und Gäste der "7. Internationalen Wirtschaftstagung" werden im lichtdurchfluteten Foyer streng kontrolliert. Zugegen sind: Gerhard Schröder, Hans Eichel, Wolfgang Clement und als Gastredner der EU-Kommissar für Stabilitätspolitik, Pedro Solbes. Schröder, Eichel, Clement, das Dreigestirn des Aufbruchs, mit gesundem dunklen Reformteint. Noch vor zwei Tagen waren sie alle in Neuhardenberg - bei Sonnenschein - und beschlossen, die dritte Stufe der Steuerreform um ein Jahr vorzuziehen. Daraufhin titelt Bild-Chefredakteur Kai Diekmann: "Der Kanzler haut die Steuern runter".
Lange hat Gerhard Schröder nach einem Thema gesucht, das der Regierung Auftrieb geben könnte. In zwei Jahren wählen die Nordrheinwestfalen eine neue Landesregierung. Schon 2004 wird der Wahlkampf voll entbrennen, und das bedeutet für Schröder fast völligen Stillstand, prognostizieren seine Berater. Also muss er jetzt punkten. Nirgends scheint ihm das wohl so bewusst wie in der NRW-Landesvertretung. Ein einstiger Vertrauter Schröders sagt: "Stellen Sie sich vor, ein Haus brennt lichterloh, doch der Hausherr steht davor und sagt: Is nich schlimm, ich hab alles im Griff. So verhält sich der Kanzler."
Der tritt ans Mikro, dunkler Anzug, hellblaue, weißgepunktete Krawatte. Sie passt zu dem weißen Strahlenkranz auf blauem Untergrund hinter ihm an der Wand. Sein Gesicht drängt ans Licht, der dunkle Scheitel sitzt, die Inkarnation des Bild-Bams-und-Glotze-Kanzlers. Er schaffte es, mit dem Thema Steuerreform die Opposition unter Druck zu setzen. "Ich sach wirklich zur Opposition, vergesst was uns trennt, lasst uns das ´nen Moment vergessen, wer nicht mitmacht, wird bald politisch abgestraft." Beifall.
Auch die fast tausend Zuhörer im Interconti-Konferenzsaal sind begeistert, als Friedrich Merz in Fahrt kommt. Das Vorziehen der Steuerreform ist bereits angekündigt. "Die Regierung nähert sich unserer Steuerkonzeption vor sechs Jahren an", sagt Merz. "Wir brauchen ein einfaches, niedriges und transparentes Steuersystem." Tage später wird Merz gegen das Vorziehen der Steuerreform sein, weil Merkel dafür ist. Jetzt aber gibt er eine Show. Weil das Land im Stillstand verharre, gehe es immer weiter bergab, doziert er, die Augen sind weit geöffnet, der Zeigefinger ist erhoben. "Wir haben es mittlerweile in diesem Land mit Sozialhilfekarrieren in zweiter und dritter Generation zu tun." Die Stimmung der Gäste steigt. "Für die Sozialhilfeempfänger muss gelten, es gibt keine Leistung ohne Gegenleistung." Der Saal tobt.
Nach seiner Rede sitzt Merz auf dem Podium zwischen dem bayerischen CSU-Finanzminister Kurt Faltlhauser und dem Chef des Bundes der Deutschen Industrie, Michael Rogowski. Schwarze Sessel, Rogowski hat das faltengezeichnete Gesicht eines alten Mannes, doch seine modisch, kurzgeschnittene Frisur und die tiefe Solariumbräune machen ihn jünger.
Neben der Dreiergruppe sitzen der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Hermann Remsperger, der Finanzvorstand des Henkel-Konzerns, Jochen Krautter, und der Staatssekräter im Finanzministerium, Volker Halsch, der es schwer hat in dieser Runde. Als Merz spricht, nicken sie alle, bis auf Halsch. "Die deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle, weil wir an einem Reformstau in der Wirtschafts- und Finanzpolitik leiden", sagt Remsperger. Das Staatsdefizit wachse, weil die Regierung stets von zu hohen Wachstumsraten bei ihren Haushalten ausginge und damit höhere Neuverschuldungen rechtfertige, sagt der Volkswirt.
Arbeitshandschuhe
Die Deutsche Bank verspekulierte sich in den vergangenen zwei Jahren an den Aktienmärkten - vor allem, weil die Banker von ständig steigenden Kursen träumten. Aber das erwähnt Remsperger nicht. Er verlangt vielmehr niedrige Unternehmenssteuern, dabei zahlt die Deutsche Bank kaum noch Steuern in diesem Land.
Rogowski freut sich über die Steuerreform. Er dreht sich in seinem schwarzen Sessel zum Publikum und sagt: "Zur Gegenfinanzierung empfehle ich die Rasenmähermethode: Alle Subventionen müssen um 20 Prozent gekürzt werden." Klatschen. "Seien wir doch ehrlich, kein Mensch braucht die Eigenheimzulage." Heftiger Applaus. Viele der Zuhörer sind Vermieter und Eigenheimbesitzer. Dann ist Krautter dran: "Ich finde es traurig, wie Herr Merz angegriffen wurde für seine Kritik an den Gewerkschaften und ihm niemand zur Seite stand ... Diese Bundesregierung ist doch nicht handlungsfähig!"
Wie reformstark und handlungsfähig die rot-grüne Führungstruppe in Berlin ist, will Wolfgang Clement bei der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" beweisen. Angekündigt wird er mit dem Satz: "Der Macher aus NRW". Der Superminister für Wirtschaft und Arbeit, der Umkrempler des Landes, der Mann, der gegen Gott und die Gewerkschaften antritt, weil er fordert, dass ein Feiertag abgeschafft wird, um mehr zu arbeiten, produktiver zu werden. "Auch diese Veranstaltung sollte an einem Sonntag stattfinden, damit in Ihren Betrieben nicht ein Arbeitstag flöten geht", sagt er. "Sie mögen mich ja für einen Phantasten halten, aber ich halte Vollbeschäftigung für möglich", verkündet er auf einer SPD-Tagung nur eine Woche später. Die Arbeitslosenzahl liegt in diesem Augenblick bei 4,25 Millionen.
Als im Staatsratsgebäude die "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" mit einem Schlusswort von Hans Tietmeyer, dem ehemaligen Bundesbankchef, endet, schreitet das Unternehmer-Mittelstands-Publikum die breiten Treppen des Hauses hinab. In der Eingangshalle drücken ihnen Hostessen weiße Tüten in die Hände. Darauf liest man: "An die Arbeit!" In der Tüte liegen ein paar Arbeitshandschuhe. Die Regenmacher haben sie eigentlich nicht nötig.
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