Ein Abgrund an Moral

Michel Friedman Die Presse erzählt die Geschichte vom Fall eines gefallenen Juden

Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall eines Mannes. Er hatte eine schwere Jugend und musste sich nach oben boxen und erreichte fast alles, was man in seinem Beruf erreichen konnte. Und dann, eines Tages, kamen diese Nachrichten mit den Drogen und die Medien lauerten ihm überall auf, belagerten sein Haus, verlangten Erklärungen und Eingeständnisse. Schließlich verlor der Mann seinen Job und die Karriere schien zerstört. Aber Christoph Daum kam wieder. Die Sünde war vergeben, und die Medien erzählten nun die Geschichte vom Comeback des Mannes Daum, der sich schon immer nach oben kämpfen musste. Zwar konnte Daum aufgrund seines eingestandenen Kokainkonsums nicht mehr Trainer der Fussballnationalmannschaft werden, doch für immer ausgeschlossen ist das nicht. Er gehört eben zu den besten Trainern der Branche.

Den Fall des Polit-Talkmasters Michel Friedman stellen die Medien ein bisschen anders dar, einen Tick schlimmer, denn es gehe ja vor allem auch um eines: die moralische Autorität Friedmans, um seinen erhobenen Zeigefinger, seine Präsenz im Zentralrat der Juden, die ja auch mit Moral zu tun hat. Und nun spiegeln sich die anderen "moralischen Instanzen" des Landes im grellen Scheinwerferlicht der Kameras inmitten eines vorgeblichen Skandals, der besser nicht platziert werden konnte, kurz vor der alljährlichen Sommerflaute der Medien und nur Tage nach dem Tod von Jürgen W. Möllemann. Jetzt liegt der journalistische Aufhänger auf den Redaktionstischen für viele Geschichten, die vorher nicht gedruckt wurden. Im Spiegel heißt die Titelgeschichte "Importware Sex". Die Ermittlungen zeigten, wie brutal die Mädchenhändler seien, an die Friedman angeblich geraten sein soll. Brutal sind die Frauenhändler natürlich immer, nur zur Titelgeschichte taugte die Story erst, als damit Friedmans Name in Verbindung gebracht werden konnte - wenn auch bisher nur gerüchteweise.

Doch im Wettlauf um die moralgestählte Geschichte lag der stern mit dem selbstgerechten Politikchef Hans-Ulrich Jörges vorn. Nur eine Woche, nachdem er Möllemann auf den Titel gehoben hatte, stand nun ein Porträtfoto von Friedman auf der ersten Seite. Recherchiert war so gut wie nichts in dem Bericht über den "Fall Friedman", dafür berichteten die Autoren aber genug Klatsch und Tratsch um ein angebliches Video, auf dem Friedman mit Prostituierten zu sehen sein soll. Kein Journalist könnte so etwas je über irgendeinen Promi im stern schreiben, ohne genügend Zeugen oder gerichtsfeste Beweise zu besitzen - dachte man. Doch Jörges, sonst der moralinsaure Wächter des seriösen Journalismus, kann nun alles drucken - auch wenn Belege nur als Gerüchte existieren. Und während Friedman medial exekutiert wird, erzählen die Journalisten, wie der Moderator Friedman von seinem hohen Ross über Flugaffären, Bonusmeilen und Spendenskandale gewettert hat, gerade so, als ob sie während all dieser Gesetzesbrüche und Verfehlungen selbst nicht beim Verurteilen dabei gewesen wären.

Aber der Fall des jüdischen Kollegen sei eben anders. Friedman sei eben besonders moralisch gewesen, besonders wahrheitsliebend, besonders exponiert. Wahrscheinlich liegt es jedoch nur daran, dass der Mann nur in einer Sache anders ist: seiner Religion. Alle wollen sie gefeit sein dagegen, antisemitische Untertöne in ihre Bewertung einfließen zu lassen und doch lassen sie es Friedman deutlich spüren, dass er als Deutscher jüdischen Glaubens besser hätte anders sein sollen. Ruhiger, bescheidener, leiser. Der Tagesspiegelredakteur Harald Martenstein würde sich dies wünschen. "Schade, dass er mit den anderen manchmal zu hart war, mit Frank Steffel zum Beispiel. Jeder ist manchmal unfair, klar. Aber jetzt schlägt es auf ihn zurück. Es ist schade, aber nicht ungerecht", schreibt Martenstein über Friedman. Doch weshalb soll es falsch gewesen sein, den Berliner CDU-Spitzenkandidaten Steffel hart anzugehen? Hatte er nicht Behinderte als "Bongos" und Schwarze als "Bimbos" bezeichnet? Martenstein versucht fair zu sein, und erinnert an die Affären von Franz-Josef Strauß, dem Ex-CSU-Verteidigungsminister, der den Bundestag belogen und den Rechtsstaat mit dem Angriff auf die freie Presse untergraben hatte. Und er erinnert an den verurteilten FDP-Steuerhinterzieher Otto Graf Lambsdorff. Irgendwann, schreibt Martenstein, kommen sie alle wieder. Nur "sie sind dann demütiger, kleiner, leiser, sie spielen eine Liga tiefer, aber sie sind wieder da." Doch kandidierte Strauß 1980 nicht um das Amt des Bundeskanzlers? Strauß war nach seinen Skandalen nicht im gerinsten leiser - im Gegenteil. Lambsdorff ließ nie so etwas wie Demut aufkommen. Eigentlich gelten die von Martenstein aufgestellten Regeln von Demut und "Liga tiefer spielen" nach der Rückkehr nur für Friedman, der nun abgekocht worden ist von der Staatsanwaltschaft, der Politik, der Presse. Für den Juden gelten wohl andere Regeln und der Autor merkt es nicht einmal.

Den Unterschied in der Bewertung des Falles Friedman sehen die Medien nicht, weil sie blind sind, um den Menschen Friedman zu sehen. Im grellen Kameralicht sehen sie den Juden, der eben auch Politiker, Journalist und Promi ist. Angeblich schlage die Härte auf ihn zurück: vorurteilslos, gerecht, blind für den Umstand, dass Friedman besonders angefeindet wird, weil er ein Deutscher jüdischen Glaubens ist.

Christoph Daum soll bald einen Trainervertrag in der Türkei bekommen. Dann steht einer Rückkehr in die Bundesliga bald nichts mehr im Wege. Irgendwann soll er auch wieder Nationalcoach werden können. Und er muss nicht einmal besonders leise sein oder in einer tieferen Liga spielen. Friedman sollte zurückkehren, ohne Demut und sich nichts von den Jörges und den Martensteins vergeben lassen und an die Geschichte eines Soziologieprofessors denken: Der vergnügte sich gerne mal auf Studentenpartys. Er kiffte, trank maßlos und bandelte oft mit seinen Studentinnen an. Dabei moralisierte er in seinen Vorlesungen regelmäßig und verurteilte den Verlust der Werte in der modernen Gesellschaft. Enttäuscht vom Verhalten des Professors wandte sich ein Student an ihn und kritisierte die Doppelmoral des Mannes. "Wie können Sie einerseits soviel über Anstand und Moral dozieren und selbst so unmoralisch handeln?", schimpfte der Student. Der Professor völlig überrascht über den Wutausbruch entgegnete: "Haben Sie schon mal ein Schild in die Richtung laufen sehen, in die es weist?"

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