Irgendwann kommen sie alle wieder. Sie können nicht anders, denn sie empfinden ihren Bedeutungsverlust als narzistische Kränkung, als einen Schmerz, den sie nicht betäuben können. Also geben sie Interviews, besuchen Talkshows oder wollen selber eine haben, sie schreiben Kolumnen und suchen Publikum, dass ihnen zuhört. Andere produzieren Bücher, so wie Henry Kissinger, Ex-US-Außenminister, SPD-Kanzler Helmut Schmidt oder Oskar Lafontaine, SPD-Chef und Finanzminister oder Gregor Gysi, PDS-Gallionsfigur und ehemaliger Berliner Wirtschaftssenator. Leider ist der Posten einige Nummern kleiner als die vorher genannten. Doch Gysi verfügt über treue Fans, die wohl gerne wissen wollen, wie es Gregor ergangen ist. Und der erzählt gerne, wie die große, weite Welt eines Senators ist und was für ein Kaliber man sein muss, um dieses Amt bekleiden zu können.
Weil es aber so schwierig ist, ein gutes Buch zu schreiben, lässt es Gysi gleich bleiben und macht das, was er am besten kann: er schwadroniert drauf los und schaut dann wo er landen wird, Hauptsache die Sätze sind gedruckt. Qualitativen Anspruch erhebt der Vorzeigelinke ohnehin nicht, ließ er auf diversen Pressekonferenzen die Rezensenten wissen. Er habe nicht für "Kenner" (wer oder was das auch immer sein mag) geschrieben, sondern für Menschen, denen er etwas über Politik vermitteln will und über seine Irrtümer in derselben.
Gysis Buch heißt: Gregor Gysi. Was nun? Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. Freileich erfährt der Leser mehr über den Zustand des Politikers als über den der Republik. Dies liegt daran, dass Gysi sehr von sich selbst fasziniert ist und kaum auch nur einen einzigen interessanten Gedanken zu formulieren weiss. Das achte Kapitel leitet Gysi ein mit dem Satz: "Mit Blick auf die Entwicklung der Medien wird häufig von einer vierten Gewalt in der Gesellschaft gesprochen. Tatsächlich hat im 20. Jahrhundert die Bedeutung der Medien für das politische und übrige gesellschaftliche Leben enorm zugenommen." Wow, willkommen zum Schulaufsatzwettbewerb in der achten Klasse, Herr Senator. Nur eine Seite weiter, führt Gysi seine Analyse gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse kritisch weiter und erkennt: "Der Bedeutungszuwachs der Medien hing auch mit der Erfindung von Rundfunk, Fernsehen und Internet zusammen." Aha, jetzt wird uns einiges klar. Möglicherweise hat Gysi dieses Buch gar nicht selbst geschrieben, ja, vielleicht noch nicht einmal gelesen, sondern nur seinen Namen geliehen, um den Verkauf anzukurbeln. In einer Mediengesellschaft ist alles möglich, zwinker, zwinker.
Bevor der Buchautor aber in den letzten Kapiteln seine tiefschürfenden Gedanken ausbreitet, beschreibt er sich unablässig selbst und zeichnet das Bild eines fleißigen, demokratisch-sozialistischen, ehrlichen, anständigen und mitfühlenden, heldenhaften, besorgten, pflichtbewussten, die Emanzipation befürwortenden aber auch weltgewandten und intellektuell talentieren Mannes, der eigentlich für höhere Aufgaben bestimmt wäre, würde ihn der Zeitgeist der Geschichte nicht in Ketten legen, die selbst ein Titan der Moral und Ethik wie Gysi nicht zu sprengen vermag. Schwer zu glauben? Nur Polemik? Also gut, was schreibt Gysi zum Thema Fleiß? Seine Personenschützer wären von seinem Arbeitspensum überrascht gewesen und das, obwohl sie viele andere Politiker kannten, die auch viel leisteten. "Mein Arbeitspensum schien ihnen aber irgendwie herauszuragen. Das nahm ich natürlich mit Befriedigung zur Kenntnis."
Thema Sozialismus: Was hat uns der sozialistische Hoffnungsträger über die Zukunft des Begriffs zu sagen, den die SPD gerade aus ihrem Wortschatz streichen will? Leider nur nebensächliche Definitionen. Der PDS-Mann scheidet politisch korrekt zwischen dogmatischen und demokratischen Linken. "Es ist kein Zufall, dass dogmatische Linke häufig humorlos sind. Es spiegelt sich in ihrem Gesicht, in ihrer Sprache und in ihrer Körperhaltung wider." Er selbst ist natürlich das leibhaftige Beispiel für einen linken Humoristen, der auch über sein eigenes zielloses Geplauder lachen kann.
Thema Heldenmut: Mitten in einer Demonstration steigt Gysi auf einen Wasserwerfer, ohne Megaphon. "Nachdem ich zu den Versammelten gesprochen und ihre Zustimmung zu meinem Vorschlag erhalten hatte, wurde der Kessel aufgelöst."
Thema Pflichtbewusstsein: "Nicht selten tagte das Abgeordnetenhaus bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Einmal verwarnt, blieb ich regelmäßig bis zur letzten Minute im Plenarsaal, obwohl ich in den letzten Stunden dann doch häufig einer der wenigen Senatoren war, die noch an der Sitzung teilnahmen."
Thema Emanzipation: "Auf gar keinen Fall wollte ich akzeptieren, dass man zu Lasten der wenigen Frauenprojekte in Berlin Sparpolitik betriebe."
Thema Weltgewandtheit: Zu Besuch in den Vereinigten Staaten "verblüffte" Gysi wieder mal die Journalisten, mit was für Wirtschaftsgrößen er sprechen konnte und auf einer Aidsgala konnte er sogar mit "Naomi Campbell und mit zwei Riesen von der amerikanischen Basketballliga NBA" sich auf Fotos verewigen lassen. Und der UNO-Generalsekretär Kofi Annan stimmte der pessimistischen Sicht Gysis in Bezug auf den Nahen Osten zu. Alle Achtung!
Nach soviel Lobhudelei fühlt sich der Leser peinlich berührt und erwartet wenigstens Neues in dem Buch zu erfahren, über den Rücktritt des Senators Gysi nach der Bonusmeilenaffäre. Doch mehr als Ironie ist da nicht drin. Ausgerechnet der Spitzenjurist Gysi, der alle Tricks und Kniffe der Branche kennt, sagt: "Es klingt zwar nicht glaubwürdig, aber ich hatte die Vordrucke nie gelesen, ich musste sie nur zur Abrechnung der Flugtickets unterzeichnen." Nach soviel Selbstbeschreibung und Plattheit legt man das Buch beiseite und hofft, dass Gysi tatsächlich auf die Bühne der Politik zurückkommt und dort bleibt. Weitere Bücher sollte Gysi der Mediengesellschaft nicht mehr zumuten.
Gregor, Gysi: Gregor Gysi. Was nun?, Über Deutschlands Zustand und meinen eigenen. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003, 245 S., 18,90 EUR
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