Stimmung ohne Gefühl

Parteitag in Leipzig Hinter Angela Merkel schließen sich die Reihen der Union. Mehr lässt sich nicht erkennen auf dieser Momentaufnahme

Norbert Blüm war mal ein besonders beliebter Politiker in seiner Partei. Immer einen kessen Spruch auf den Lippen, immer freundlich und gut drauf. Zudem verkörperte er das gute Gewissen der Christenunion. "Auf den Nobby lassen wir nix kommen", hieß es auf Parteitagen gelegentlich. Nicht zuletzt deshalb amtierte er am längsten in Helmut Kohls Kabinett. Blüm war ein Sympathieträger.

Jetzt schlendert er durch die Leipziger Messehalle, vorbei an einem schwarzen BMW und einigen Ständen, an denen Computer stehen. Dieser schwere Mann mit den dicken Unterarmen wirkt ein bisschen verloren. Um seinen breiten Hals hängt ein orangefarbenes CDU-Kärtchen. Es scheint, als sei dieses Plastikkärtchen eine schwere Last für ihn. Nun schreitet er auf diesen dunklen Gang zu, der in den großen Kongresssaal führt. Darin sitzen die anderen 1.000 Delegierten. Früher wurde Blüm gefeiert, heute ignorieren sie ihn. Die CDU ist eben auch eine Stimmungspartei. Und heute wird Stimmung für die Vorsitzende Angela Merkel gemacht.

Als sie vor ihrer Rede mit Roland Koch einige Worte tauscht, da blitzlichtgewittert es besonders heftig. Die Rivalen spielen die "Wir-sind-ganz-dicke-Freunde-Nummer". Auch andere Landes- und Parteichefs spielen mit. Saarlands Regierungschef Peter Müller lobt in jedem Interview breit lachend "die Vorsitzende" für ihre Arbeit. So viel Liebe brachten ihr die Unions-Männer noch nie entgegen.

Die Landesfürsten wollen zeigen, dass sie fest zu ihrer Chefin stehen. Denn keiner will sich die Blöße geben, eine in den Umfragen sehr beliebte Politikerin nicht zu unterstützen. Gerade deshalb hat Koch, wie die anderen Unions-Landesvorsitzenden auch, seine Delegierten zur Geschlossenheit und Disziplin gemahnt. Hier muss die Partei beweisen, dass sie einig ist. Wie gesagt, in den Umfragen ist man ganz oben. Streit ist da nicht angebracht.

Bevor die Unionsführerin ihre mit Spannung erwartete Rede hält, schenkt ihr Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt einen Nussknacker. "Weil Sie bewiesen haben, dass Sie harte Nüsse knacken können." Dann klemmt sich Merkel ans Pult und versucht zu zeigen, dass sie nicht nur Nüsse knacken, sondern auch Stimmung erzeugen kann. Doch so richtig gelingt ihr dies während der 96 Minuten dauernden Rede nicht. Nur als sie die Männer Roland Koch, Christian Wulff und Edmund Stoiber für ihre "überragenden" Wahlsiege lobt, da jubelt der Saal. Ein bisschen mehr, als der Chefin lieb sein kann. Das frenetische Klatschen versucht sie durch Weiterreden zu unterbinden und wünscht Koch in Hessen für seine "politische Arbeit in Zukunft alles Gute". Viel Glück in Wiesbaden. Es klingt so, als verabschiede Merkel ihren Rivalen aus dem Rennen um die Kanzlerkandidatur.

Wie so oft bei ihren Reden, spricht die Parteichefin kaum frei, sondern liest ab. Aber auch damit hapert es zuweilen, denn die guten Pointen, die ihr die Redenschreiber formulieren, vergeigt sie durch falsche Betonung oder ein verhaspeltes Wort. An vielen Stellen gibt es keinen Beifall, der jedoch von den Autoren vorgemerkt ist. Nur als Merkel die rechten Themen anspricht, erhält sie spontan Applaus. "Das Zentrum der Vertreibung ist eine gute Idee, aber ich sage auch, eines dieser Zentren muss in Deutschland sein, muss in der deutschen Hauptstadt, muss in Berlin sein." Das trifft die Stimmungslage der Delegierten. Als sie lange die Reformen erklärt und Herzogs Kommissions-Empfehlungen und von Gesundheitsprämie spricht, reagiert der Saal nicht. Es existiert keine emotionale Bindung zu der Frau, die sich an ihrem Pult redlich müht. Auf dem Pult steht das Motto des Parteitages: "Deutschland kann mehr." Auch Merkel möchte mehr können, und viele hier wünschten, sie könnte Gefühle überspringen lassen, wie einst Kohl oder Blüm. Der sitzt vorn rechts in der Halle und guckt bitter, als sie spricht.

Wieder brandet Beifall auf, mehr als bei anderen Themen, denn Merkel lehnt einen EU-Beitritt der Türkei ab und wettert gegen das Kopftuch, gegen Zuwanderung, will aber Gott in der Präambel einer EU-Verfassung verankert sehen. "Es ist doch richtig, dass Frau Schavan das Kopftuch verbietet, und sie hat die Unterstützung der gesamten Union." Donnernder Applaus. Stimmungen trifft sie.

Auch, als sich Merkel an den "lieben Norbert Blüm" wendet, der sich für ihre Kopfprämie nicht erwärmen kann, sie aber zeigen lässt, wie souverän sie im Umgang mit ihren Gegnern ist. Nur Minuten später sagt sie: "Ich will endlich wieder meine Steuererklärung auf einem Bierdeckel machen können." Da schauen sich einige Delegierte entgeistert an. In Deutschland wurde noch nie eine Steuererklärung auf einem Bierdeckel gemacht.

Im Hessen-Verband sitzt eine ganze Männerreihe unbewegt da und klatscht demonstrativ nicht. Als Merkel auf den Ausschluss von Martin Hohmann zu sprechen kommt, herrscht in dieser Ecke des Saales eisiges Schweigen. Später jedoch, nach der Merkel Rede, werden auch hier alle aufstehen und minutenlang Klatschen. So will es der Hessen-Chef. Emotionslos nimmt die Chefin den Beifall entgegen und erntet die guten Bilder für die Presse.

Auf das Gefühlige dagegen versteht sich Roman Herzog. Der gebürtige Landshuter zeigt Talent als Kabarettist und witzelt sich bayerisch-rustikal-barock durch seinen Vortrag. Herzlich lacht das Publikum. "Wenn Sie ständig klatschen, dann werde ich hier nicht mehr fertig".Freilich stützt Herzogs Auftritt die Vorsitzende. Die bedankt sich: "Lieber Herr Herzog, Sie haben nicht vergessen, woher Sie kommen." Jubel im Saal. Eine Spitze gegen die Weizsäckers, Geißlers und Blüms der Partei, die in diesem Moment, unausgesprochen, als Verräter gebrandmarkt werden.

Merkel sitzt - sichtlich zufrieden - mit den Männern an diesem langen Tisch auf der Bühne beisammen. Sie scheint zum ersten Mal die Union wirklich im Griff zu haben und als Chefin akzeptiert zu sein. Das ist auch so, als Edmund Stoiber am zweiten Tage eintrifft und ihn die Delegierten zurückhaltend begrüßen. Da ist einer nur zu Besuch, nicht mehr. Nach seiner Rede steht Merkel auf und applaudiert, das Publikum bleibt größtenteils sitzen, der Beifall versandet nach einer Minute. "Die Nuss hat sie auch geknackt", sagt einer aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen.

Doch ein harter Gegner kann warten auf seine Chance. Roland Koch steigt vom Podium oft zu einem Freund herab, Franz-Josef Jung, seinem Fraktionschef, der unten bei den Hessen sitzt, und plaudert mit ihm. Jedes mal zieht er dabei einen Schwarm Kameras an und genießt die Aufmerksamkeit. Er weiß, wie schnell in der Partei die Stimmung kippen kann. Vor allem, wenn Umfragen wieder nach unten weisen.

Keiner weiß das besser als Norbert Blüm. Er schlendert zwischen den Tischen zum Ausgang hindurch. Das CDU-Kärtchen auf der Brust. Auch er wurde einst gefeiert.


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