Unter Dauerfeuer

Porträt eines "Abweichlers" Der Sozialdemokrat Klaus Barthel gehört zu jenen, die beschimpft und beleidigt werden, weil sie nicht alles mitmachen, was der Kanzler verordnet

Es ist ein typischer weiß-blauer Bayernmittagshimmel an diesem Samstag, und in den Autoradios dröhnt noch der Pop-Sound irgendeines Welthits, bevor die Talk-Sendung Paresius im Studio von Antenne Bayern beginnt. Moderator Stefan Paresius begrüßt seinen Gast, einen dunkelhaarigen Mann mit ruhiger Stimme und dunklen Augen. Der setzt sich an dieses Mikrofon, das wie eine reife, zu groß geratene Aubergine vor seinem Gesicht baumelt. Ein Jingel wird eingespielt, Antenne Bayern singsangt es, der Dunkelhaarige richtet sich auf, die Kopfhörer drücken seine Haare platt. "Ich begrüße heute in meiner Sendung den SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel", sagt Paresius gutgelaunt. Der Mann nickt ernst: "Grüß Gott".

Barthel ist in den vergangenen Tagen in den Mittelpunkt der Medien gerückt, er gehört zu denen, die es nicht mehr so häufig gibt in dieser Republik der Fernsehdemokratie, ein Mann mit Überzeugungen, der nicht allem einfach zustimmt, nur weil es dem Telekanzler nützt. Dabei muss Barthel eine Menge aushalten, weil er als "Abweichler" gilt, als einer, der stur ist, so sehen es zumindest viele Parteifreunde. Beim Gesundheitskompromiss zwischen SPD und CDU/ CSU stimmte Barthel am 26. September gegen das Gesetz, und Schröder schrammte knapp an einer symbolischen Niederlage vorbei.

Danach stand Barthel unter Dauerfeuer. Er solle sein Mandat abgeben, forderten einige. "Das war heftig", erinnert er sich. Solch harte Wochen erlebte der Sozialdemokrat und gebürtige Münchner, der seit 1994 im Bundestag sitzt, noch nie. Dabei gehörte er schon immer zu jenen, die sich gern mal gegen die eigene Regierung und Partei stellen.

Im Juni 2001 stimmte er mit anderen SPD-Parlamentariern gegen den Bundeswehreinsatz in Mazedonien. Im Frühjahr, nachdem der Kanzler die "Agenda 2010" verkündet hatte, bemühte sich Barthel um ein Mitgliederbegehren und war damit nicht wohl gelitten. Die meisten Berufspolitiker schwimmen nicht gern gegen den Strom, die eigene Karriere ist wichtiger als ein Wahlversprechen. Da haben es Leute wie Barthel schwer.

Zwischen allen Stühlen

Der heute 48-Jährige stammt aus einfachen Verhältnissen. Nach seinem Abitur studiert er Politische Wissenschaften in München und leistet seinen Zivildienst ab, er engagiert sich in der ÖTV und wird Gewerkschaftssekretär in der Bezirksverwaltung Bayern.

Jetzt lächelt Moderator Paresius seinen Gast wieder an. Die bayerische CSU-Ministerin für Soziales Christa Stewens ist zugeschaltet. Sie sagt, die CSU sei die sozialere Partei, man unterstütze Merkels und Herzogs Pläne einer Kopfpauschale im Gesundheitssystem nicht. Barthel zieht die dunklen Augenbrauen hoch. "Wenn es soweit ist, dass Seehofer und Stoiber und die CSU sich als die Hüter des sozialen Ausgleichs gerieren können, dann zeigt dies nur eines: in der SPD läuft irgendetwas schief."

Ein unangenehmes Schauspiel, in dem Barthel eine tragende Rolle übernommen hat, so zwischen allen Stühlen zu sitzen und sich gleichzeitig den Beifall aus der Opposition vom Leibe halten zu müssen. Barthel schaut auf die Aubergine, wenn er spricht, sein Kreuz durchgedrückt. Er nutze jede Gelegenheit, seine Position zu erklären und die Regierung noch zum Einlenken zu bewegen, sagt er, das sei schwierig, aber er halte durch.

Stundenlang sitzt er in seinem Miesbacher Wahlkreisbüro und beantwortet Bürgerfragen. "Natürlich gibt es auch welche, die sagen: Du darfst unsere Regierung nicht gefährden, aber der größere Teil ruft an, um mich zu ermutigen. Dennoch frage ich mich jeden Abend vor dem zu Bett gehen, ist es das richtig, was du vertrittst? Was passiert, wenn Rot-Grün verschwindet? Aber deshalb Ungerechtigkeiten hinnehmen?"

Es gehe ihm um zwei konkrete Dinge, sagt er. "Wenn die nicht erfüllt werden, kann ich am 17. Oktober nicht zustimmen." Erstens solle es beim Arbeitslosengeld II (ALG II) keine wechselseitige Unterhaltspflicht von Eltern und erwachsenen Kindern bis zu 25 Jahren geben - und zweitens könne es nicht sein, dass Arbeitslose erst ihre gesamten Ersparnisse und Rücklagen aufbrauchen müssten, bevor sie Anspruch auf das ALG II haben.

Barthel sagt das ganz ruhig und gelassen. Im Grunde möchte er die "gesamte Akzentuierung der Agenda 2010 diskutieren". Aber er ist kein Medienprofi, wie der Kanzler, der weiß, wann man auf die Pauke haut und wann nicht. Barthel ist der Anti-Schröder-Typ. Keine Show, nur Überzeugungen, kein Rädelsführer, sondern ein vom Gewissen Geplagter. "Ich hoffe, dass die Regierung auf uns noch zugeht", sagt er. Und man nimmt ihm ab, dass er wirklich darauf hofft.

In die Manege gerufen

Barthel spricht nicht gern über die Anfeindungen, die er in den vergangenen Tagen erlebt hat. Aber seine Mitarbeiter erzählen, wie sie in der Bundestagskantine angemotzt wurden. Auf den Fluren gab es schon mal Tobsuchtsanfälle. Angst greift um sich. Die Angst vor dem Machtverlust grassiert besonders auf den unteren Ebenen des Parteiapparats, weil die Leute die Sorge plagt, bald ohne Job dazustehen. "Das wird sich wieder beruhigen", sagt Barthel, der die Situation nicht unnötig aufheizen möchte. Ein unbedachtes Wort und die Wellen schlagen hoch und möglicherweise über einem zusammen.

In seiner Partei ist er der Postexperte, doch nun gilt er als so etwas wie der Drachentöter aus der SPD-Linken. Der Medienzirkus trieb ihn in die Manege der Macht wie ein Zuschauer, der vom Zauberer zum Zersägen des Mädchens in der Kiste von den Rängen geholt wird. Und da steht er nun und weiß nicht, wie der Trick funktioniert ...

Eine Last spürt er auf seinen Schultern. Will er in die Geschichte eingehen, als einer, der seinen sozialdemokratischen Kanzler stürzte? "Darum geht es nicht", beteuert Barthel in seinem Miesbacher Büro, während das Telefon schon wieder klingelt.

Bevor der Talk mit Paresius endet, fällt noch der Satz: "Die Grundidee des Sozialstaates ist, dass die starken Schultern mehr tragen als die schwachen Schultern." Ganz einfach, keine Show. Dann nimmt Barthel die Kopfhörer ab und streicht sich die dunklen Haare nach hinten. Jede Bewegung wirkt wie vorher durchdacht. Zu Wochenanfang wurde nochmals in Berlin verhandelt über die Hartz-Gesetze und darüber, ob Barthel seinem Kanzler zur Mehrheit verhelfen wird. "Ich kann dazu erst etwas sagen, wenn der endgültige Gesetzestext vorliegt."

Wie wird er abstimmen? Er wisse es, sagt Barthel, er werde seinem Gewissen folgen.

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