Wenn Massive Attack, die Band, die den Trip Hop erfunden hat, Konzerte gibt, ist meist gar nicht so viel los. Zumindest bieten solche Abende nicht explizit das, was man gemeinhin mit dem Begriff „Abrocken“ beschreibt. Für gewöhnlich steht eine von wabernden Bässen – und da, wo man noch rauchen darf auch von Haschischrauchwolken – eingehüllte Menge leicht schaukelnd da und groovt eher innerlich mit.
Ausnahme-Fans bestätigen natürlich die Regel, wie auch bei dem ausverkauften Konzert der Band im Berliner Tempodrom am vergangenen Wochenende. Nach dem für Berliner Verhältnisse zeitigen Abendauftakt – das Konzert ging etwa bis elf Uhr – kann man natürlich nicht einfach nach Hause gehen. Also zur After-Show-Party nach Kreuzberg in den St. Georg Klub. Warum die einmal versammelte Kundschaft nicht ein paar weitere Stunden auf Trab halten?
Dazu muss eine Steigerung her. Mit der Musik von Massive Attack hat die After-Show-Party daher wenig zu tun, will man nicht unzulässigerweise „Phantom Funk“ und den allseits geläufigen Begriff Funk in einen Topf werfen. Auch letzterer hat natürlich modernen Ansprüchen zu genügen und sich das Verquirlen mit den derzeit unvermeidlichen Elektro-Sounds gefallen zu lassen, in dem die Experten des Nachtlebens stets die zahlreichen Stile der „Old- School“-Vorlagen zu entdecken wissen. Oma würde das wohl Techno nennen, aber die hat ja nun auch wirklich gar keine Ahnung.
Musik ist nicht alles
Eine direkte Verbindung vom Tempodrom zum St. Georg Klub gibt es aber doch. Musik ist schließlich nicht alles im Popgeschäft. Der von zurechtgestylten Individualisten bevölkerte Dancefloor im Klub liefert eine Anschauung dessen, was es bedeutet, eine Überdosis Understatement zu verbreiten. Und auf diese Art und Weise cool zu sein, das haben Massive Attack ja mit als erste perfektioniert.
Dass man zu einer Zeit, als Punk noch nicht tot war und Hip Hop gerade der letzte Schrei, plötzlich mit arg zurückgelehnter Musik punkten konnte, war schließlich keine Selbstverständlichkeit – umso weniger, da Kiffer-Soundtracks Anfang der neunziger Jahre nicht unbedingt als zeitgemäß galten. Massive Attack sind trotzdem zu Pionieren einer nicht nur musikalischen Haltung von Lässigkeit geworden, die viele Nachahmer anzog.
Leider ist diese Art Coolness mittlerweile zu einer klischeehaften Attitüde geworden, wie es in der Musik- und Jugendkultur schnell passiert. In jeder Schlange vor den Berliner Clubs, neben jeder Tanzfläche, auf jedem verschlungenen Gang Richtung Klo steht sie herum: die personifizierte Obercoolness, die so betont gar keinen Wert darauf legt, cool zu sein. In ihrer reinsten Ausprägung bringt sie exotische Exemplare hervor, denen zuzusehen besser als Fernsehen ist: Möchtegern-Dandys, Pete-Doherty-Verschnitte, pseudodekadente Gigolos. Das ganze hippe Nachtleben halt.In diesem Sinne hat die After-Show-Party einiges, wenn auch nichts Neues zu bieten. Eine Schar von Endzwanzigern, mit sich ins Gesicht schlängelnden Haartentakeln, Designerklamotten und gern auch dickrahmigen Brillen ausstaffiert, alles in allem ein bisschen langweilig. Man hält sich schützend Bierflaschen vor die Brust und zieht sich Funky Grooves wie eine zweite Jacke an – nicht wie eine Hose, denn dann würden unter Umständen die Beine ins Spiel kommen, die man lange Zeit lieber ruhig hält.
Die metaphorische zweite Jacke ist in den scheinbar nur mit Körpern des anwesenden Partyvolks beheizten Kellergewölben allerdings nicht die schlechteste Idee. Der Ort passt zum Publikum, bei dem ein wenig Underground-Feeling, nicht zu viel, hoch im Kurs steht. Die fast nackten Betonwände einer verlassenen Sanitäranlagenfabrik, an denen mit Klebeband kopierte Preislisten befestigt sind, geben einen idealen Rahmen ab. Wer cool sein will, muss hart im Nehmen sein.
Dieser Underground-Schick ist genau wie die lässige Szene-Pose aber nur noch eine Kopie dessen, was ihn einmal salonfähig machte. Die vielen illegalen Berliner Partys auf Baustellen und in unverputzten Rohbauten haben schließlich nicht unerheblich zum jetzigen Ruf der Stadt als einer feierwütigen Metropole beigetragen. Aber etwas hat sich in der Zwischenzeit verändert: Früher hätte man sein Bier selbst mitgebracht, heute kostet es einen kalte Füße plus drei Euro. Der Kühlschrank auf dem rohen Estrich des St. Georg Klubs ist selbstredend von Beck’s gesponsert.
Spät taut die Gemeinde auf
Als mit Angie Reed eine „Musikerin und Künstlerin“ – so die Auskunft auf ihrer offensichtlich selbstverwalteten Wikipedia-Seite – das Live-Podest betritt, taut die Partygemeinde dann langsam auf. Es geht gegen 2 Uhr, etliche Drinks sind bereits über den Tresen gewandert. Was Angie Reed auf dem Podest macht, ist, wenn man so will, Punk. Sie performt und singt zu eigenhändig produzierten CDs. Während sie live am CD-Player hantiert, um den richtigen selbstgeschraubten Track zu finden, kommt die Hoffnung auf, dass die passablen DJ-Sets an diesem Abend von etwas sehr Interessantem eingerahmt werden könnten.
Bingo! Eine erfrischend witzige Performance. Man steht gern in der ersten Reihe und schaut zu, wie die selbstsichere Dame ihre schräge Show abzieht. Sogleich kommt Leben in die After-Show-Crowd, es wird auch Zeit. Zeit zu feiern. Also werden: Mehr Drinks geordert, mehr Joints gerollt, Toilettenbesuche anberaumt, um wieder von vorn zu beginnen. Die Beats werden fordernder, die Leute enthemmter und irgendwann geht über den Dächern der ehemaligen Fabrik unbemerkt die blasse Herbstsonne auf.
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