Achtung „Extremaktion“: 2,99 Euro für ein Kilogramm Fleisch! Vom Schwein, um genauer zu sein, von seinem Rücken. Schon bratfertig, von Knochen, Fett und Sehnen befreit, wartet dieses Stück Massentierhaltung in Plastik verpackt auf seine Käufer im Kühlregal des Supermarktes. Im Flugblatt auf der ersten Seite groß beworben, an zigtausende Haushalte mit der Post zugestellt, wird das Angebot rasch erschöpft sein. Kein Wunder, schließlich wird hier von vielen Seiten ein geradezu absurd hoher Aufwand betrieben, die Massenware so schnell und günstig wie möglich loszuwerden. Auch wenn ein erheblicher Teil davon im Mülleimer landen wird, Hauptsache der Rubel rollt und das Geschäft ist gemacht.
Viel wird in diesen Tagen mal wieder über Billigfleisch und unser Konsumverhalten diskutiert, ausgelöst von Skandalen in Schlachthöfen und den Mahnrufen von Klima- und Umweltschützern. Mehr und mehr breitet sich die Meinung aus, dass die Art und Weise, wie derzeit Lebensmittel im großen Stil produziert werden, nicht sinnvoll sei. Vermutlich ist es noch zu früh, von einem echten gesellschaftlichen Paradigmenwechsel zu sprechen, aber der Diskurs spitzt sich zu, breitere Teile der Bevölkerung verlangen nach einer Änderung. Doch wie nähert man sich am besten der Auflösung dieser durch industrielle Profitgier und politische Ignoranz über Jahrzehnte geschaffenen Problematik?
In der Intransparenz hat der Konsument keine Macht
„Einfach nicht kaufen!“ rufen viele. Immerhin würde nur das im Kühlregal landen, was auch nachgefragt würde. Die „Macht der Konsumenten“ steht hoch im Kurs – und Handelskonzerne stimmen gerne in dieses Lied ein, schließlich ist es für sie noch weitaus gewinnbringender, die Teile mit den höheren Margen zu verkaufen. Sie können nur gewinnen: An den Rabattschlachten verdienen sie zwar prächtig, an den künstlich verteuerten Premium-Produkten aber noch besser. Hauptsache niemand hinterfragt, wieso das Schlechte eigentlich günstig und das Gute teuer ist. Hauptsache, die Entscheidung wird mit der Geldbörse an der Kasse und nicht mit der Stimme in demokratischen Prozessen gefällt.
Das doppelt Perfide wie Gefährliche an dieser Mär ist doch, dass weder die Nachfrage den Preis bestimmt, noch die Konsumenten tatsächlich entscheiden können, wie das hergestellt wird, was ihnen die Händler ins Kühlregal stellen. Denn der Preis entsteht durch Förderungen, durch Steuern, vor allem aber durch das Spiel mit den Margen. Nein, das Kilo Schweinefleisch kostet nicht wirklich 2,90 Euro, es wird nur unter hohem Einsatz so obszön billig gemacht. In Wahrheit kostet es uns alle wohl hunderte, wenn nicht gar tausende Euros. Wenn man die wahren Kosten einrechnet. Also auch die Kosten für den Regenwald, der brennt, damit günstig Soja für die Mast angebaut werden kann. Oder das Bauernsterben.
Die Kosten für die verlorene Artenvielfalt, die verseuchten Böden und Gewässer, für das Elend der vertriebenen Indigenen, das Leid der gequälten Tiere und das geschädigte Klima, kann man gar nicht einpreisen. Weil es moralisch verwerflich und weil es ökonomisch wohl überhaupt nicht sinnvoll darstellbar wäre. Denn was ist ein Menschenleben wert? Wie hoch ist der Preis für eine verseuchte Erde und für eine Zukunft, in der deswegen die Bewegungsspielräume und Entwicklungschancen dramatisch eingeschränkt sind? Man kann das nicht runterbrechen, aber man sollte sich dieser Folgekosten bewusst sein, wenn man darüber spricht, welche Preise für Lebensmittel legitim oder erstrebenswert sind.
Der Lebensmittel-Betrug ist ein Bombengeschäft
Es gibt aber noch einen zweiten Grund, wieso die Mär von der Konsumentenmacht nicht nur falsch, sondern geradezu blanker Hohn ist. Denn das, was uns im Kühlregal begegnet, sehr viel öfter aber in Form von verarbeiteten Produkten sowie in der Gastronomie und in öffentlichen Küchen, hat wenig mit dem zu tun, was auf der Packung oder Speisekarte steht. Der Grund dafür hat System: Nirgends wird mehr gelogen als bei der Herkunft und Zusammensetzung von Lebensmitteln. Weder stammt es aus der Region, noch enthält es die angegebenen Inhalte. Immer mehr Fake-Bestandteile erzeugen eine Illusion von Essen, die auf Chemie und Zusätzen basiert. Das ist nicht nur ekelig, sondern auch schädlich.
Wenn wir, der Marketing-Show entsprechend, versuchen, das Angebot über unsere Nachfrage zu steuern, dann müssten wir schon wissen, was wir da eigentlich essen. Wenn aber beispielsweise im „Honig aus Österreich“, der sogar mit Patrioten-Flagge auf dem Glas daherkommt, in Wahrheit der gepanschte Reissirup aus China steckt, wie kann ich dann „bewusst konsumieren“? Wenn in Wahrheit das Hühnerfleisch aus einer ukrainischen Horrorfabrik stammt, dem lediglich ein Knochen entnommen wurde, um die Importbeschränkungen zu umgehen, wie kann ich dann „frei entscheiden“? All das sagt uns ja niemand. Und das hat einen Grund: Der Betrug ist ein Bombengeschäft.
Man könnte jetzt noch dutzende Beispiele der vorsätzlichen Täuschung bei Lebensmitteln aufzählen, um zu zeigen, dass es sich hier nicht um Einzelfälle, sondern ein System handelt. Das ist aber gar nicht der Punkt. Der Punkt ist vielmehr, dass wir das nicht (nur) an der Kasse werden ändern können, sondern auch die Gemeinschaft für eine echte Veränderung brauchen. Wir müssen die Gesetze ändern, die zulassen, dass der Großteil des EU-Fördergeldes in die Massentierhaltung fließt. Die erlauben, dass mit Steuergeld just jene Lebensmittel in Unmengen für öffentliche Küchen eingekauft werden, deren Herstellung bei uns bereits verboten ist. Und so weiter. Es gibt also vieles Grundsätzliches zu ändern.
Den Wandel machen mündige Bürger
Doch dafür brauchen wir nicht nur mündige Konsumenten, sondern vor allem auch mündige Bürger. Die nicht den Profiteuren von Tierleid, Umweltzerstörung und Arbeitsausbeutung die Entscheidung darüber lassen, ob und wie sie produzieren. Sondern die sich in einer Demokratie als Souverän ernstnehmen und die Rahmenbedingungen mitentscheiden, unter denen ihre Lebensmittel hergestellt werden. Weil sie erkannt haben, dass damit nicht nur die eigene Gesundheit, sondern maßgeblich auch das Wohl von Lebewesen und die Zukunft ihrer Nachkommen gestaltet wird. Eine andere Welt ist möglich, aber wir werden sie uns nicht in der Kassa im Supermarkt erkaufen können.
Wir müssen sie uns erkämpfen – mit unseren Stimmen. Und zwar auf der Straße, wenn wir gemeinsam gegen Tierleid, Naturzerstörung und Formen der modernen Sklaverei auftreten. Aber auch unter Nutzung unserer wenigen direktdemokratischen Möglichkeiten, etwa Volksbegehren und Petitionen. Es ist kein Naturgesetz, dass die Politik von jenen gesteuert wird, die das Geld haben. Es ist vielmehr auch eine Folge dessen, dass die Vielen noch nicht hinreichend realisiert haben, dass sie die Möglichkeit hätten für Bewegung zu sorgen. Wenn sie solidarisch agieren und sich nicht spalten lassen. Die Wahrheit ist: Wir können uns das Billigfleisch nicht mehr leisten, aber es wird nicht besser, nur weil es teuer wird.
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