Barack Obama und die blutige Nase

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Ich habe Barack Obama bei der Verleihung des Friedensnobelpreises begleitet. Wen das nicht interessiert, der verpasst eine hübsche Prügelei.

Ich habe im Weißen Haus angerufen und gefragt, ob ich Barack Obama begleiten könne, wenn er in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennimmt.
„Herr Dalkowski, Ihr Gesicht gefällt mir nicht“, sagte der Sprecher des Weißen Hauses.
„Das heißt?“
„Dass Sie Obama nicht begleiten werden.“
„Wenn Sie es mir nicht erlauben, werde ich einfach einen Text erfinden, wie ich Obama begleitet habe. Und das sage ich Ihnen gleich: Das wird kein Text, der Ihnen und Herrn Obama gefallen wird.“
„Das ist mir egal. Niemand liest diesen Text. Und falls doch, wird ihn niemand für wahr halten.“
„Das denken Sie.“
„Belästigen Sie mich nicht weiter.“
Er legte auf.

Es war nach seiner Rede beim Staatsbankett in Oslo, als Obama alles zu viel wurde.
„Lass uns mal kurz an die frische Luft gehen“, sagte er und steckte seine Nobel-Medaille ein.
Wir verließen das Gebäude durch den Hinterausgang. Obama steckte sich eine Zigarette an. Ich sah, dass er grübelte. Schweigend liefen wir eine Weile durch die Osloer Nacht.
„Ach guck mal“, sagte ich dann, „was für ein großer Stern am Himmel.“
„Stimmt“, sagte Obama, „und er bewegt sich im Fußgängertempo. Ich glaube, wir sollten ihm folgen.“
„Gute Idee.“

Eine Viertelstunde liefen wir dem Stern hinterher, dann stoppte er über einer Parkbank. Auf der saß Karl-Theodor zu Guttenberg und band sich seine Krawatte. Wir grüßten uns wie alte Freunde.

„Was machen Sie denn hier?“, fragte Obama.
„Ich weiß auch nicht“, sagte Guttenberg, „eben saß ich noch in meinem Schloss. Ich fühle mich wie eine Schachfigur.“
„Das ist doch Blödsinn“, sagte ich.
„Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Friedensnobelpreis“, sagte Guttenberg.
„Danke.“
Obama seufzte.
„Freuen Sie sich denn nicht?“
„Ich habe viel nachgedacht.“
Obama holte die Medaille heraus und betrachtete sie im Schein der Straßenlaterne.
„Alle Zeitungen schreiben, ich hätte den Preis nicht verdient, weil ich ein Kriegspräsident sei.“
„Zum Teufel mit den Zeitungen“, sagte Guttenberg, „Krieg ist Frieden.“
„Aber die Zeitungen haben doch Recht“, sagte Obama. „Die Fakten sprechen gegen mich. Als ich heute diese Auszeichnung in den Händen hielt, war mir plötzlich klar, dass ich reagieren musste. In meiner Rede sagte ich noch, dass Gewalt manchmal nötig ist. Aber das will ich nicht glauben.“
„Und wie wollen Sie reagieren?“
„Ich möchte der friedlichste US-Präsident aller Zeiten werden.“
„Bitte?“
„Gleich morgen werde ich dafür sorgen, dass alle amerikanischen Truppen nach Hause kommen.“
„Sind Sie denn verrückt geworden?“
„Ich war noch nie so vernünftig. Ich möchte eine Welt, in der die Einhörner friedlich über die Bäche springen und die Menschen sich Regenbögen aus dem Internet herunterladen, ausdrucken und an den Himmel kleben.“
„Häh?“

Während Guttenberg die Vision einer solchen Welt nur verwirrte, erschreckte sie mich geradezu. Ich konnte doch nicht den ganzen Tag über Einhörner und Regenbögen schreiben. Aber ich fand es unangemessen, den beiden ins Wort zu fallen.
„Herr Guttenberg, wollen Sie sich nicht meiner Friedensbewegung anschließen? Oder besser noch: Lassen Sie uns wetten, welches unserer Länder am längsten friedlich bleibt. Okay?“
„Um was wetten wir denn?“, fragte Guttenberg.
„Um eine Cola.“
„Abgemacht.“
Sie gaben sich die Hand.

„Wie findest du das, Sebastian?“, fragte Obama, „endlich Frieden.“
„Du musst ja wissen, was du da tust. Ich mische mich nicht ein.“
„Auch gut. Herr Guttenberg, darf ich Ihnen dabei helfen, die Krawatte zu binden? Sie sitzt ein wenig schief.“
„Gerne, aber seien Sie vorsichtig, die Krawatte war ziemlich teuer.“
„Na ja, so teuer nun auch nicht. Das sehe ich doch sofort. Nicht mehr als 500 Euro.“
„Ach ja, dann sind Sie wohl der große Anziehsachenexperte?“, sagte Guttenberg.
„Selbstverständlich.“
„Pah, ich trage eindeutig die schicksten Anzüge. Ich bin schließlich der modischste Politiker der Welt. Ich sehe sogar in kugelsicheren Westen elegant aus und Ihren Geschmack, verzeihen Sie mir diese Äußerung, halte ich für überschätzt.“
„Das nehmen Sie zurück“, fauchte Obama.
„Niemals.“
„Doch.“
„Nein.“
„Dann… dann… dann…“
„Dann was?“, fragte Guttenberg.
Das nächste, was Guttenberg sah, war Obamas Faust, die auf seine Nase zuschoss. Volltreffer. Fünf Minuten lang vermöbelten sich die beiden nach allen Regeln der Kunst, schlugen, traten, kniffen, bissen, würgten, ich sah erfreut zu - dann setzten sie sich schwer keuchend nebeneinander zurück auf die Bank. Eine Weile sagte niemand etwas.
„Was ist bloß in uns gefahren?“, sagte Obama.
„Ich weiß auch nicht“, sagte Guttenberg, „das darf nicht mehr passieren.“
„Sie haben Recht.“

Ich räusperte mich.
„So, Jungs, ich mische mich ja nur ungern in die Weltpolitik ein, aber denkt Ihr nicht, dass es etwas zu früh ist, diesen Konflikt zu beenden? Karl-Theodor, er hat den Kern deiner Existenz beleidigt. Barack, er hat dich im Innersten getroffen.“
„Sebastian, es ist vorbei“, sagte Guttenberg, „das ist es nicht wert.“
„Hallo, nicht wert? Hörst du dir eigentlich gelegentlich mal selbst zu?“
„Sebastian, Frieden ist wichtiger als Krieg, Verzeihen wichtiger als Prügeln.“
„Moment mal“, sagte Obama, „wieso müssen Sie mir denn verzeihen? Wenn hier jemand dazu berechtigt war zu verzeihen, dann ja wohl ich und zwar Ihnen. Sie haben schließlich angefangen.“
„Bitte? So viel weiß ich wohl noch, dass Sie mich grundlos angegriffen haben. Sehen Sie meine blutende Nase?“

Eine Sekunde später waren sie wieder ineinander verknäult. Ich rief ein paar Kollegen an, das müssten sie sich unbedingt ansehen. Dann lehnte ich mich entspannt zurück.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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