Coldplay gehören mir ganz alleine

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Ich gucke mir Konzerte aus der Steinzeit an und hoffe, dass es so wird wie früher. Außerdem erfinde ich eine neue Steuer für Tonträger.

Ich habe eine alte Videokassette, die schiebe ich immer in den Rekorder, wenn ich wissen will, wie schön alles mal war. Die Kassette zeigt den ersten Auftritt der britischen Band Coldplay in Deutschland.

Es war an einem Freitagmittag im August 2000, als sie ein niederrheinisches Rockfestival eröffnete. Zu diesem Zeitpunkt eines Festivals bauen die meisten Besucher noch ihre Zelte auf, stehen im Stau oder sitzen im Büro. Die Lücken zwischen den Zuschauern vor der Bühne waren so groß wie die Lücken im Fell eines Straßenköters auf Mallorca. Die Gesichter, die das Video zeigte, waren ausdruckslos.

Sänger Chris Martin trug einen ausgewaschenen roten Pullover, sporadisch leuchteten ein paar Lampen auf der Bühne. Einmal fragte Martin, ob jemand ihr Debütalbum „Parachutes“ gekauft habe. Es meldete sich genau eine Person. Nach 30 Minuten verließ die Band ohne Zugabe die Bühne.

Ich liebe dieses Konzert.

In der vergangenen Woche haben Coldplay in Düsseldorf gespielt. 45000 glückselige Zuschauer, Lichtershow, Nebel, Zugaben. Meine Zeitung stellte eine Bildershow online, die Coldplay-Fans nach dem Konzert zeigte. Diese Menschen waren zwischen zehn und sechzig Jahren alt. Sie sahen aus wie Bäckereifachverkäuferinnen, Automechaniker, Architekten, Beamte im gehobenen Dienst, Einzelhandelskauffrauen. Sie trugen T-Shirts von Dieter Nuhr.

Gäbe es von diesem Konzert ein Video, ich würde es mir nicht ansehen.

In mir wüten nun die alten Kämpfe eines jeden Menschen, der von sich meint, Bands früher als alle anderen zu entdecken. Kampf 1: Auf der einen Seite möchte ich nicht, dass auf einmal alle die Musik hören, die ich höre, auf der anderen Seite ist es doch besser, wenn die Menschen endlich gescheite Musik hören anstatt Rihanna.

Wenn sich bei diesem Kampf die erste Position durchgesetzt hat, weil ich denke, dass meine Band denen auch keinen Geschmack beibringt, gibt es einen zweiten Kampf: Auf der einen Seite möchte ich, dass nur ich diese Band höre, auf der anderen Seite soll die Band nicht verarmen, denn dann müssen sich die Musiker ja richtige Jobs suchen, und das nächste Album erscheint erst in zehn Jahren.

Ich habe eine Lösung gefunden. Die ersten 50000 Exemplare eines Albums werden mit einer Sonderabgabe belegt, der Indie-Steuer. Das Geld, das die Fans, die ja dann die echten, da die ersten sind, mehr zahlen, wird in einem Fonds angelegt. Wenn nach 50000 verkauften CDs jemand das Album haben möchte, sagt der Verkäufer: Tut mir leid, diese Band muss Indie bleiben, Sie bekommen das Album nicht. Was der Band dadurch an Einnahmen verloren geht, bekommt sie durch den Fonds ersetzt. Die Platte landet im Shredder. Ich komme mir vor wie die frühen amerikanischen Einwanderer, die eines Tages sagten: So, jetzt nicht mehr so viele Einwanderer bitte.

Ich habe das Konzert, das ich auf Videokassette habe, nicht live gesehen. Ich kam erst zwei Stunden später zum Festival, weil ich noch in der Schule saß.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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