Der erste Tag im richtigen Leben

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Ich schreibe darüber, wenn aus Spaß Ernst wird. Wenn nach all den Praktika und Bewerbungsgesprächen der erste Tag im Job ansteht, den man immer haben wollte. Könnte sich besser anfühlen.

Du sitzt im Auto. Wenn du losfährst, fährst du dorthin, wo du erstmal bleibst. Wo du nach all den Semesterwochenstunden, Praktika und Bewerbungsgesprächen etwas gefunden hast, wo du einen eigenen Schreibtisch hast und einen eigenen Schreibtischstuhl und eine eigene Tasse in der Kaffeeküche.

Du sitzt im Auto. In deinem Auto. Du hast es nicht gewollt, du bist immer Bus gefahren und Fahrrad und Bahn, aber nun muss alles schneller gehen, nun ist alles wichtiger und der Autoverkäufer gratulierte zum neuen Auto und er freute sich lieber ein bisschen mehr, weil du dich ein bisschen weniger freutest. Du hast ein Telefon, du hast einen Internetanschluss, du hast eine eigene Wohnung und du bezahlst Steuern und nun hast du auch ein eigenes Auto und eine eigene Autoversicherung.

Du sitzt im Auto. Du hast gesehen, was mit den Menschen passieren kann, die den Weg gehen, denn du nun beginnst. Du hast gesehen, wenn sie das gemacht haben, was sie machen mussten und nicht mehr das, was sie machen wollten. Und du hast dir gesagt, dass es ein Irrtum ist zu denken, dass man irgendwann wieder machen kann, was man machen will, wenn man erstmal eine Weile das macht, was man machen muss. Wer weiß nach fünf Jahren schon noch, wohin er eigentlich wollte, wenn er unterwegs ständig links und rechts anhalten muss?

Du sitzt im Auto. Du hast gesehen, wie bei den Leuten die Liebe zu den Dingen verloren ging. Wie das Glänzen in den Augen matter wurde und schließlich verschwand. Wie die Leute sagten „Du, ist jetzt ganz schlecht. Kann ich dich später anrufen?“ Und es wurde sehr viel später und irgendwann hast du sie gar nicht mehr angerufen. Du hast dir vorgenommen, alles besser zu machen, aber du weißt, dass sie sich das auch vorgenommen haben. Dass sie gedacht haben: Irgendwann werde ich wieder Zeit haben, das ist nur zu Beginn so. Und dann ist der Beginn sehr lange und dann ist es zu spät, einfach auszusteigen, weil man sonst überhaupt nichts mehr hat.

Du sitzt im Auto. Du weißt, dass du nur noch auf Momente hoffen kannst. Auf die Momente, in denen du weißt, warum du das alles machst. In denen du liebst, was du tust, und du davon überzeugt bist, dass es richtig war, die Entscheidung zu treffen, die du getroffen hast. Du weißt, dass die Abstände zwischen diesen Momenten immer größer werden und niemals eine Verbindung untereinander haben. Aber diese Momente sind das einzige, an das du dich noch klammern kannst.

Du sitzt im Auto. Du fährst los. Du kannst jetzt nicht mehr raus.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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