Der Hund der Datenkrake (Lindberg 23)

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Lindberg lebt im Jahr 2060, ist 75 Jahre alt und berühmt und entschließt sich, seine Memoiren zu schreiben. Jeden Freitag veröffentlicht er hier ein weiteres Kapitel. Diesmal berichtet er von Mark Zuckerbergs rebellischem Hund.

März 2011

Ich habe ja damals häufiger über soziale Netzwerke nachgedacht. Das hatte vor allem damit zu tun, dass sie nicht so selbstverständlich waren wie heute. Es war im Jahr 2011 noch nicht üblich, dass jedes Baby bereits im Krankenhaus ein eigenes Facebook-Profil bekam. Und wer keines besaß, hatte auch bei der Bewerbung Chancen, den Job zu bekommen. Viele Leute misstrauten den sozialen Netzwerken. Sie fürchteten, dass die Menschen vereinsamten, weil sie nur noch vor dem Computer hingen, anstatt rauszugehen und andere zu treffen. Sie fürchteten, dass die Menschen all ihre Daten preisgeben würden, weil das Geschäftsmodell der sozialen Netzwerke darauf beruhte. Sie fürchteten, dass die Menschen nicht mehr richtig schreiben könnten, weil die korrekte Rechtschreibung im Netz nicht viel zählte. Es waren tapfere Menschen, die da so allerhand befürchteten, aber sie wurden immer weniger. Der letzte Kritiker starb im Januar 2017.

Das Problem waren damals nicht die jungen Leute. Die hatten sich schneller mit den Netzwerken angefreundet als mit einer betrunkenen 19-Jährigen im Krankenschwesternkostüm an Karneval. Es waren die älteren Menschen, die ewigen Bedenkenträger, die Entwicklungsanalphabeten und Fortschrittsverhinderer. Sie hielten den persönlichen Kontakt noch immer dem im Netz überlegen. Angetrieben wurden sie dabei von den Medien, die zwar einerseits jeden neuen jungen Nerd-Firmenboss abfeierten, andererseits aber auch in jeder zweiten Ausgabe vor der Datensammelwut warnten. Ganz gleich, dass sie selbst fleißig Kundendaten sammelten, um damit Geld zu verdienen.

Damals aber trug ein Vorfall dazu bei, die sozialen Netzwerke in der ganzen Gesellschaft gesellschaftsfähig zu machen. Die Sache ging als „The Zuckerberg Dog Incident“ in die Geschichte ein. Eines Tages Anfang 2011 tauchte plötzlich ein Profil bei Facebook auf, das von Mark Zuckerbergs Hund stammte. Niemand hatte Zweifel daran, dass es wirklich Zuckerbergs Hund war, denn es waren auch Bilder zu sehen, auf denen Zuckerberg mit dem Hund namens Beast herumtollte oder ihn im Arm hielt. Viele fanden es lustig, dass Zuckerberg für sein Haustier ein Profil erstellt hatte und in seinem Namen Meldungen veröffentlichte wie „Heute musste ich kacken, fand es super, dass Mark das wegmachen musste“. Er erzählte von Impfungen und dass ihm Mark Eye of the Tiger vorspielte, bevor sie spazieren gingen.

Dann aber änderte sich der Ton in den Kommentaren. Es war Ende März 2011. Es begann damit, dass er sich über seinen Namen beschwerte. Beast – das sei ja angesichts seines hohen Niedlichkeitsgrades das Gegenteil von feiner Ironie. Dann beschwerte er sich über eine zu langsame Internetverbindung, das schlechte Essen im Hause Zuckerberg, das zu kleine Zimmer. Er nannte Zuckerberg auch immer Zucki. Das mochte dieser gar nicht und kommentierte die Einträge seines Hundes mit Missfallen.

Und dann gewannen die Einträge stetig an Schärfe. Beast beschwerte sich über die Datenschutzbestimmungen bei Facebook, gleich mehrfach. Beast behauptete, Zuckerberg habe sich mit Scarlett Johansson getroffen(„Heute hat Zucki Scarlett Johansson den ‚Facebook-Zugang eingerichtet‘“), dann beschwerte er sich wieder über den Datenschutz und verkündete schließlich sogar, Zuckerberg habe Google ein Übernahmeangebot gemacht.

Und plötzlich fingen immer mehr Menschen an zu glauben, dass tatsächlich der Hund selbst die Kommentare verfasste. Denn warum sollte Zuckerberg solche Kommentare schreiben, die vor allem ihm selbst schadeten? Die Zeitungen fanden Tiermediziner, die angaben, dass einige Hunde mit einem außergewöhnlich gutausgebildeten Gehirn ausgestattet und deshalb in der Lage seien, einfache Sätze zu schreiben. Die Forschung habe schon einige solcher Tiere in einsamen Gegenden Australiens gefunden.

Und der Hund plauderte munter weiter Geheimnisse aus und wurde zum Helden der Internet-Community. In den Zeitungen standen Artikel wie „Der Hund, der die Datenkrake stürzte“. Bis Zuckerberg dem Treiben ein Ende setzen wollte und ihn ins Tierheim gab – doch schon Stunden später meldete sich der Hund wieder zu Wort: „Bin nun im Tierheim. Zum Glück gibt es WLAN.“ Und sogleich lästerte er weiter. „Mark ist noch Jungfrau“.

Zuckerberg blieb nichts anderes übrig, als eine Pressekonferenz zu geben und zu verkünden: „Jedes Wort von Beast ist gelogen.“ Die Empörung über Zuckerbergs Verhalten war groß, doch die Zahl der Facebook-Nutzer sank nicht. Im Gegenteil: Sie stieg. Denn die Leute fanden es so tapfer, was Beast machte, dass sie sich und ihre Haustiere gleich anmeldeten und ihm im Kampf gegen Datenkrake Zuckerberg beistanden. Dadurch verdoppelte sich die Zahl der Facebook-Nutzer in wenigen Tagen, weil sich nun auch endlich die Alten anmeldeten.

Erst zehn Jahre später gestand Mark Zuckerberg in einem Interview, dass er nicht mal einen Hund besessen habe.

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