Der König mit dem Koks

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Ich versuche, ein It-Boy zu werden, und stelle mir vor, dass ich in den coolsten Club Berlins gehe. Außerdem verrate ich, an wem sich meine Frisur orientiert.

Ich habe mehrere Versuche hinter mir, angesagt zu sein. Ich wollte so angesagt sein, dass die Leute über mich sagten: „Wenn du wissen willst, was es bedeutet, angesagt zu sein, dann geh zu ihm.“ Die Versuche scheiterten unter anderem daran, dass niemand sonst eine Frisur trug wie Sascha Hehn in „Die Schwarzwaldklinik“.

In den vergangenen Wochen habe ich in den Medien viel über den Berliner Club Berghain gelesen. Das hängt damit zusammen, dass die freche Schriftstellerin Helene Hegemann diesen Club in ihrem Debütroman „Axolotl Roadkill“ erwähnt hat und es genau die Stellen sind, die sie aus einem anderen Roman abgeschrieben hat. Ein Magazin hat das Berghain zum besten Club der Welt gewählt, die Türsteher sind so unvorhersehbar wie das Wetter in den Alpen, wer reinkommt, erlebt ein einziges Sodom und Gomorrha. Mehr weiß ich nicht.

Wenn ich es mal in diesen Club schaffte, wäre ich endlich angesagt – doch ich habe keine Illusionen. Ein Gespräch mit dem Türsteher würde ungefähr so ablaufen.
„Guten Abend, ich würde gerne in den Berghain.“
„Verschwinde.“
„Okay.“

Es gibt eine Lösung für mein Problem. Im Internet habe ich entdeckt, dass eine große deutsche Regionalzeitung einen besonderen Service anbietet: Der Kunde kann sich eine individuelle Zeitung bestellen. Auf einer Seite steht ein Artikel über ein persönliches Ereignis des Auftraggebers wie Hochzeit, Geburtstag, Taufe, die anderen Seiten der Zeitung sind normal. Nun wird es der Zeitung egal sein, ob das Ereignis wirklich der Wahrheit entspricht. Die Leser werden aber genau das denken. Ich werde also die Zeitung mit folgendem Artikel bestellen und an meine Freunde verteilen:

Der König im Berghain

Die Türsteher vorm Berghain sind die strengsten der Welt, doch wenn der König kommt, lassen sie ihn keine Sekunde warten.
„Macht Platz“, sagen sie und schieben die Wartenden zur Seite, damit der König sich nicht an ihnen vorbeizwängen muss. Als er vor ihnen steht, grüßt er die Türsteher mit Handschlag.
„Hallo Sebastian“, sagen sie, „alles klar bei dir? Wen willst du denn heute mit reinnehmen?“
„Mal sehen“, sagt er und dann geht er die Reihe nochmal ab, Musikfernsehmoderatorinnen, Pro-Sieben-Eigenproduktions-Schauspielerinnen, PR-Abteilungsleiterinnen, Jurastudentinnen, Busenwunder – sie alle blicken ihn sehnsuchtsvoll an, ja sie erstarren vor Ehrfurcht.

Der König, das ist Sebastian Dalkowski, eine Legende im Berghain. Heute ist er zum 567. Mal da, sagt er, jedenfalls glaube er das, denn er habe längst den Überblick verloren. Nachdem er die Schlange zweimal abgeschritten ist, zeigt er auf eine große Blonde und eine große Schwarzhaarige. Sie tragen sehr kurze Röcke.
„Mitkommen“, sagt er, und sie beginnen zu kreischen.
„Wenn die beiden keinen Rock anhätten, hätten sie mehr an“, sagt er zum Reporter und grinst. Er hakt sich bei den beiden unter und geht mit ihnen zurück zu den Türstehern. Sie treten zur Seite. Bevor er in der Dunkelheit des Berghains verschwindet, zieht er einen Beutel aus der Jackentasche, dessen Inhalt nur Vorschüler für Mehl halten.
„Kann ich mit reinnehmen, oder?“
„Klar“, sagt einer der Türsteher, „du bist der König.“

Kaum hat Sebastian Dalkowski den Berghain betreten, löst er sich von den beiden Frauen und sagt: „So, amüsiert euch schön, wenn ich später noch mit euch tanzen möchte, melde ich mich… aber ich denke, eher nicht.“

Der König des Berghains kann nicht ungestört durch sein Reich wandern. Immer wieder kommen Leute auf ihn zu, geben ihm die Hand, umarmen ihn, küssen ihn. Der König lässt sie gewähren. Nachdem sie verschwunden sind, sagt er häufig Sätze wie „Die kannte ich gar nicht“ oder „Die wollen sich bloß eine Sekunde in meinem Ruhm sonnen“.

Ruhm, den er sich hart erarbeitet hat und von dem niemand etwas ahnte, als er zum ersten Mal ins Berghain kam. „Die ersten Monate waren hart“, sagt Sebastian Dalkowski. Die Türsteher ließen ihn selten durch, die Barkeeper übersahen ihn, die Frauen sowieso, er tanzte meist alleine. Doch allmählich wurde er selbstsicherer, die Kleidung schräger, die Moves auf der Tanzfläche atemberaubend – er wurde zum Ereignis. Heute sagt der Besitzer des Berghains, dass die Nächte, in denen der König da ist, die Nächte sind, in denen er den meisten Umsatz macht. Weil die Leute besser drauf sind und deshalb mehr trinken, weil ohnehin viele Leute nur deshalb kommen, um ihn zu sehen.

Das ist auch an diesem Abend so. Sebastian hat sich einen Drink geholt und sich auf eine der zahlreichen Tanzflächen begeben. Mit dem Glas in der Hand bewegt er sich elegant und cool über den Beton. Die Menschen halten Abstand zu ihm, wollen ihm nicht in die Quere kommen. Nur wenn er sie mit einem kurzen Blick kontaktiert, wagen sie sich näher. Denn der verheißt: „Du bist in Ordnung.“ Wer sich nicht an die Regel hält, wird notfalls auch mit der Faust daran erinnert. „Der König muss der König bleiben“, sagt er und grinst.

Nach einer Weile fordert er eine Frau auf, sich ihm zu nähern. Bereitwillig tanzt sie sich an ihn heran, immer enger. Ihr silbernes Kleidchen verdeckt nur das nötigste. Einige Zeit später machen sie sich auf den Weg zu den legendären Unisex-Toiletten. Bevor er mit ihr in der Dunkelheit verschwindet, dreht er sich noch einmal zum Reporter, schwenkt den Beutel, der kein Mehl enthält. „Die Leute werden Ihnen alles Mögliche erzählen, was ich gleich mache – glauben Sie jede noch so fantastische Geschichte. Sie stimmen alle.“

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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