Der menschliche Verstand ist eine Toilette ohne Spülung

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Ich sehe den Trailer zum widerlichsten Horrorfilm aller Zeiten. Lange ringe ich mit mir, ob ich davon erzählen soll. Ja, soll ich.

Der Mensch ist zu guten Taten fähig. Mich beschäftigen nur die schlechten. Hoffentlich bin ich eine Ausnahme.

Lange habe ich darüber nachgedacht, ob ich von dem folgenden Film erzählen soll. Ich kenne nur den Trailer, aber noch nie habe ich so viele Dinge gesehen, die ich nicht sehen wollte. Ich hatte Angst, dass meine kleinen Leser den Schaden ihres Lebens davon tragen würden. Dann entdeckte ich, dass sowohl die New York Times als auch die Washington Post über den Film geschrieben haben, zwei der angesehensten Tageszeitungen der Welt. Wenn immer eine Mutter mir schreiben wird, dass ihr Sohn aufgrund meiner Kolumne nachts schreiend aufwacht, werde ich sie darauf hinweisen.

Die New York Times schreibt: „Dieser kranke Horrorfilm ist ausreichend originell, um selbst den übersättigsten Genre-Fan zu ködern.“ Die Washington Post schreibt: „Why on Earth would somebody do such a thing?“ Diese Frage bezieht sich zwar auf die Handlungen der Hauptperson, könnte sich aber ebenso an den Regisseur richten, den Niederländer Tom Six. In einem seiner früheren Filme entführt ein kinderloses Paar ihr großes Idol, einen Schlagersänger, weil es seinen Samen haben will. Denn der Mann ist unfruchtbar, ein Kind will das Paar trotzdem.

Der Film, von dem ich nun erzähle, heißt „The Human Centipede“, der menschliche Hundertfüßer. Es geht um einen japanischen Touristen und zwei junge, attraktive amerikanische Frauen, die in Deutschland vom Weg… in die Fänge…

Stoppstoppstopp.

Puh.

Nein, so schaffe ich das nicht.

Das geht mir alles viel zu schnell.

Ein Filmmagazin hat ein Interview mit dem Hauptdarsteller geführt hat. Der Kieler Dieter Laser spielt Dr. Heiter, einen deutschen Chirurgen, dessen Aussehen an Roy von „Siegfried und Roy“ erinnert, sein Wertehaushalt und seine Interessen eher an Josef Mengele.

Der Reporter fragt Laser, wie er auf das Drehbuch reagiert habe. „Ich fand heraus, dass der Hundertfüßer, diese schockierende Idee, einfach eine großartige Sache war.“ Der Reporter fragt weiter: „Was denken sie über die positiven und negativen Reaktionen zum Film?“ Laser: „Menschen, die nur die Oberfläche sehen, mögen angeekelt sein und sagen, dass der Film scheiße ist. Aber Menschen, die darunter etwas wittern, sehen darin auch Kunst. Ich liebe das tote Gesicht von Dr. Heiter mit dem Blut an der Wand.“

Dann erzählt Laser, wie rücksichtsvoll Regisseur Tom Six war. „Er hat immer versucht, die zwei Mädels zu respektieren und sie in ihrer Nacktheit zu schützen. Sie und der japanische Schauspieler mussten ja körperlich sehr leiden, weil es sehr anstrengend ist, die ganze Zeit in derselben Position zu verharren.“

Dasselbe Magazin hat auch ein Interview mit dem Regisseur geführt. In diesem erklärt Six, wie schwer es war, die zwei weiblichen Hauptrollen zu besetzen: „Wir hielten ein Casting in New York ab und zeigten den Schauspielerinnen die Zeichnung, die ich von dem menschlichen Hundertfüßer gemacht habe. Viele von ihnen dachten, ich sei völlig verrückt, und verließen den Raum, aber die cleveren blieben, weil ich ihnen die Geschichte wirklich erklärte.“

Mir ist es ein Rätsel, warum gerade die blieben, denen er die Geschichte wirklich erklärte. Denn eigentlich müssten gerade die als erste den Raum verlassen haben wie bei einem Feueralarm.

Die, die durchhielten, überraschte Six mit einer weiteren originellen Idee: „Natürlich mussten sie irgendwann auf ihren Knien und Händen sitzen, sehr nahe an einem Hintern, und auch das hielten einige Schauspielerinnen nicht aus.“

Herr Six, mein Mitleid mit Ihnen ist unermesslich. Erst verstehen die Frauen sein Drehbuch nicht und dann rennen sie auch noch weg, weil sie vor einem Hintern knien müssen.

Schließlich erklärt Six auch, wie er auf die Idee zu seinem Film kam: „Wenn ich mit Freunden vorm Fernseher saß und ein Kinderschänder im Bild war, sagte ich, dass man zur Bestrafung seinen Mund an den Hintern eines sehr sehr fetten Truckers nähen sollte. Und jeder sagte, dass dies eine schreckliche Idee war und natürlich war es eine schreckliche Idee und ich dachte, dass dies ein großartiger Ansatz für einen Horrorfilm wäre.“

An dieser Stelle hätten seine Freunde den Film noch verhindern können. Sie hätten sagen müssen: „Tom, nur weil die Idee schrecklich ist, heißt es nicht, dass du einen Horrorfilm daraus machen musst. Bisher hast du aus jeder schrecklichen Idee einen Film gemacht und alle waren furchtbar.“

Weil sie es aber nicht taten, machte sich Crazy Tom an die Arbeit: „Ich begann zu zeichnen, wie der Hundertfüßer aussehen müsste. Die Schauspieler mussten hintereinander auf ihren Händen und Knien sitzen, so dass sie, um es mal so zu sagen, ein gemeinsames Verdauungssystem bildeten.“

Ich könnte nun noch erzählen, dass Six einen Chirurgen suchte, damit seine Konstruktion medizinisch korrekt war. Ich könnte erzählen, wie dieser zunächst dachte, dass der Regisseur verrückt sei, ihm dann aber doch helfen wollte, weil er ein Filmfan war. Ich könnte erzählen, wie Six im Interview sagte: „Dieser Chirurg könnte wirklich einen menschlichen Hundertfüßer in einem Krankenhaus herstellen. Natürlich muss man ein sehr kranker Chirurg sein, um das wirklich zu machen.“

Ich erzähle das aber alles nicht, weil ich überzeugt bin, dass an diesem Punkt jeder Leser bereits etwas Schöneres macht. Frische Erdbeeren essen. Im Freibad liegen. Regenbögen putzen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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