Die Welt nach dem Weltuntergang

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Ich halte mich für den letzten Menschen auf der Welt. Dann treffe ich Franz und Karl. Die erklären mir, dass das Internet an der ganzen Sache Schuld hat.

Nach dem Weltuntergang rechnete ich nicht mehr damit, noch auf einen anderen Menschen zu treffen. Seit Wochen streifte ich durch die Wälder, pflückte Himbeeren, füllte Quellwasser in eine Plastikflasche und rollte nachts meinen Schlafsack in einer Höhle aus.

Eines Tages sah ich Rauch, einige Minuten später eine Hütte und kurz darauf zwei Männer mit kahlrasierten Schädeln, die vor dieser Hütte an einem Lagerfeuer saßen und etwas brieten, was vielleicht eine Ratte gewesen war. Neben ihnen graste eine Kuh auf dürren Beinen.

Wir freuten uns ausgiebig, dass wir nicht die einzigen Menschen auf der Welt waren, dann stellten sie sich als Franz und Karl vor und führten mich durch ihre Hütte. Schlafzimmer, Wohnzimmer, Plumpsklo. Alles da.

„Wir wollen noch mal ganz von vorne anfangen“, sagte Franz. „der Weltuntergang zwingt uns, ohne Strom, Komfort und Technik zu überleben.“
„Das ist unsere Chance, es besser zu machen als früher. Damit nicht noch mal passiert, was gerade passiert ist“, sagte Karl.
„Ihr wollt eine bessere Welt aufbauen?“ fragte ich.
Sie nickten.
„Ich verstehe immer noch nicht, wie das passieren konnte“, sagte ich, „wie konnte das Internet die Welt versenken?“
Franz seufzte. „Ich erkläre es dir.“

Wie alle Katastrophen begann auch diese im Kleinen. Damals waren alle Menschen im Internet unterwegs und einige von ihnen besonders ausgiebig. Diese Menschen bloggten oder twitterten, einige taten beides. Es gab in dieser Internetwelt zwei Stars. Der eine hieß Sascha Lobo, trug einen roten Irokesenschnitt auf dem Kopf und war die Gallionsfigur einer Gruppe von Menschen, die ihren Arbeitsplatz dort hatten, wo sie ihren Laptop hinschleppten. Er war der erfolgreichste Twitterer in Deutschland und hatte auch einen Blog. Der andere hieß Stefan Niggemeier, war der Betreiber des Bildblogs und kritisierte dort die Bild-Zeitung und andere Medien. Außerdem hatte auch er einen eigenen Blog.

Eines Tages beklagt sich Stefan Niggemeier, dass Sascha Lobo nicht in der Liste der 100 peinlichsten Berliner auftaucht. Kurze Zeit später wird Sascha Lobo Teil einer Vodafone-Werbekampagne. Am 20. Juli 2009 prangert Niggemeier diese Tatsache in seinem Blog an und wirft Lobo den Ausverkauf der Blogger-Szene vor. Viele von Niggemeiers Lesern, nicht eben bekannt für ihre Kommentar-Unlust, schicken erboste E-Mails an Lobo.

Lobo schildert das in seinem Blog und befiehlt seinen 10000 Followern bei Twitter, diese Geschichte im Internet zu verbreiten. Niggemeier bloggt, was Lobo gebloggt hat und wie der die Twitter-Szene gegen ihn aufgehetzt hat und endet mit dem Satz: „Ab sofort rede ich nicht mehr mit Menschen, die Herrn Lobo mögen.“ Lobo erklärt Niggemeier in seinem Blog den Krieg und fordert seine Follower auf, zu den Waffen zu greifen. Und dann, ja dann kommt die Piratenpartei ins Spiel.

„Erzähl nicht weiter“, sagte Karl, „der Rest ist Blutvergießen.“
Wir starrten auf den Boden und schwiegen.
Nach einer Weile sagte ich: „Aber warum musste es soweit kommen?“
„Wir waren abgelenkt“, sagte Franz, „wir dachten, dass die Regierung der Feind war. Mit ihrem Netzsperren-Gesetz wegen der Kinderpornographie. Wir dachten, dass die größte Gefahr immer vom Staat ausgeht.“

„Und wir übersahen, dass die größere Gefahr der Riss in der Internetwelt war“, sagte Karl. „Der Riss zwischen den idealistischen Internetnutzern um Niggemeier, die nur durch Kritik an anderen existieren, und den pragmatischen Internetnutzern um Herrn Lobo, die sich mal so, mal so entscheiden, und nicht alles so ernst nehmen. Dieser aggressive Ton im Internet musste irgendwann zu so was führen.“
„Lasst uns nicht mehr davon reden“, sagte Franz, „lasst uns eine Welt aufbauen ohne diesen ganzen Blödsinn, ohne Kommentarfunktion, ohne Kurzmitteilungen, ohne Updates. Lasst uns einfach so tun, als würden wir uns alle mögen. Bleibst du bei uns?“

In den folgenden Monaten arbeiteten wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Wir hoben den Boden um, säten Getreide, schleppten Eimer voller Wasser, fällten Bäume, fütterten Kühe und Schafe. Nur einmal pro Wochen liefen die beiden für eine Stunde jeder in eine andere Richtung in den Wald. Als sie zurückkehrten, sagten sie bloß: „Ich brauchte mal Zeit für mich.“ Ich dachte mir nichts dabei.

Eines Tages blieben sie länger weg als üblich. Ich machte mir Sorgen und lief in die Richtung, in die Karl gegangen war. Es dauerte eine Weile, bis ich ihn entdeckte. Er saß auf einem Baumstumpf und beugte sich über irgendetwas. Ich schlich mich an, bis ich erkannte, was es war. Auf seinem Schoß hatte er eine alte Bild-Zeitung liegen und schrieb Anmerkungen an den Rand mit einer Feder und Brombeersaft. Die ganze Zeitung war voll. Und dann drehte er sich um und ich sah in sein Gesicht und auf einmal kam er mir so bekannt vor.

Im Schockzustand rannte ich los, dorthin, wo ich Franz vermutete. Ich sah ihn zu spät und lief ihn über den Haufen. Er rappelte sich auf. „Weißt du, dass Karl in Wirklichkeit Niggemei…?“, fragte ich. „Ja.“ Dann fiel mein Blick auf seine Glatze und den dunklen, knapp fünf Zentimeter breiten Streifen auf seinem Kopf, ein paar winzige Haare lugten heraus. Und dann fiel mein Blick auf die Steintafel und den Meißel neben ihm. Auf der Steintafel stand: "Vorhin Brennesselsud getrunken. Gleich Plumpsklo, heute Aben".

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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