Ein Abend mit Menschen und Hunden (Lindberg 15)

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Lindberg lebt im Jahr 2060, ist 75 Jahre alt und berühmt und entschließt sich, seine Memoiren zu schreiben. Jeden Freitag veröffentlicht er hier ein weiteres Kapitel aus seiner Biografie. Diesmal berichtet er von einem betrunkenen Sparkassenleiter in einer Hundeporträtausstellung.

Januar 2011 (I)

Mein erster Einsatz als Journalist führte mich nicht nach Watergate, sondern in eine schlecht geputzte Sparkassenfiliale. Der Chefredakteur des Stadtviertelkäseblattes hatte mich angerufen und gesagt, dass er einen ganz besonderen Auftrag für mich habe.
„Wirklich?“, fragte ich.
„Natürlich nicht, Sie Idiot. Der Auftrag ist so öde, dass ich ihn nur an jemanden vergebe, der nicht in der Position ist, ihn abzulehnen.“

Und so stand ich an einem Mittwochabend in einer Bankfiliale und hörte dem Filialleiter dabei zu, wie er mit seiner Rede eine Ausstellung mit Tierbildern eröffnete. Er war ein kleiner fetter Mann in einem hellgrauen C&A-Anzug und schwitzte in Litern. Außerdem hatte er vorgeglüht. Vermutlich war ihm klar gewesen, dass bis auf mich kein Journalist anwesend sein würde und sich auch sonst niemand für die Ausstellung interessierte. Deshalb hatte er offenbar schon zuhause drei bis vier Bier zu sich genommen. Das gab seiner schwachsinnigen Rede den richtigen Tonfall, die sich vor allem aus den Formulierungen „eine Künstlerin, die ganz genau hinsieht“, „Bilder von großer Tiefe“ und „lässt Raum für Interpretationen“ zusammensetzte. Einschätzungen, die ich allesamt nicht teilte, nachdem ich einen kurzen Blick auf die Bilder geworfen hatte, die an den Stellwänden befestigt waren. Die Hunde, Katzen und Wellensittiche sahen aus wie Malen nach Zahlen und wirkten, als machten sie gerade eine schwere Depression mit.

Während der Filialleiter sprach, stand die Malerin neben ihm. Eine Rentnerin mit Betondauerwelle, die ich verdächtigte, ihren Rock und ihr Jäckchen aus ihren olivgrünen Vorhängen geschneidert zu haben. Im Arm trug sie ihren Hund, ein Dackel, der sehr böse guckte. Nachdem der Filialleiter seine Ansprache beendet hatte, verteilten zwei Mitarbeiterinnen Sekt an die Anwesenden, also vor allem an den Filialleiter. Ich ging zur Künstlerin, um ihr ein paar Fragen zu stellen, weil man das wohl so zu machen hatte. Der Dackel bellte sofort.

„Ist ja gut, Heinz“, besänftigte sie ihn.
„Das sind ja wirklich ganz tolle Bilder, die Sie da geschaffen haben. Wann entstehen die denn?“
„Ach, das meiste sind Auftragsarbeiten. Die Leute kommen zu mir und wollen ein gemaltes Bild von ihrem Hund haben oder ihrer Katze.“
„Warum machen die nicht einfach ein Foto?“
„Wissen Sie, ein Foto zeigt nicht alles. Und da komme ich ins Spiel. Ich versuche auf meinen Bildern, das Besondere in den Tieren zu zeigen. Das, was es von anderen Tieren unterscheidet. Verstehen Sie?“
Ich verstand kein Wort, nickte aber energisch.
„Klar, klar. Fotos nehmen den Tieren ja ihre Seele und Sie geben sie ihnen zurück.“
„Ganz genau, junger Mann.“

Ihr Dackel war unruhig geworden, weshalb sie ihn auf den Boden setzte. Er fing sofort an, zwischen den Stellwänden herumzulaufen.

„Und warum wollen die Leute ein Bild von ihrem Haustier?“
„Die meisten wünschen sich ein Andenken an das Tier. Dabei muss man verstehen, dass es für diese Leute nicht bloß ein Tier ist. Viele kommen auch mit einem Foto zu mir, nachdem das Tier gestorben ist. Da gebe ich mir besonders viel Mühe, weil ich ja um meine Verantwortung weiß. Ich male sie dann immer sehr lebendig.“
Mit einem kurzen Blick auf die Bilder versicherte ich mich, dass alle Tiere sehr lebensmüde aussahen.

Während sie sprach, nahm der Filialleiter zwei weitere Sektgläser vom Tablett und leerte sie zügig. Seine Mitarbeiterinnen blickten ihn beschämt an, sobald er ihnen den Rücken zuwandte.
„Haben Sie Ihren Hund auch schon gemalt?“
„Nein, aber das wird eines meiner nächsten Projekte. Wobei ich hoffe, dass mein Heinz mir noch etwas erhalten bleibt. Ich habe ihn mir ja erst vor sieben Jahren angeschafft, das war kurz nach dem Tod meines Mannes. Der Hund hat mir neuen Lebensmut gegeben.“

Noch während sie antwortete, stellte ich fest, dass ich keine Frage mehr hatte, das aber niemals für die 80 Zeilen reichen würde, die ich über dieses Nicht-Ereignis schreiben wollte. „Ja“, sagte ich, „das ist wirklich rührend, was Sie da sagen... äh...Tiere sind ja so wichtig für den Menschen... also nicht nur wegen der Milch und dem Fleisch... wie sind Sie eigentlich auf den Namen Heinz gekommen?“
„So hieß mein Mann.“

In diesem Moment gab es ein großes Krachen. Der Filialleiter hatte seine Koordinationsfähigkeit unter Alkoholeinfluss überschätzt und war gestolpert. Dabei fiel er gegen eine der Stellwände und riss sie mit zu Boden. Das Problem war nur: Unter der Stellwand lag der Hund.

„Heinz, Heinz“, rief die Malerin.
Die beiden Mitarbeiterinnen stellten erst den Filialleiter und dann die Stellwände wieder auf die Füße. Der Dackel lag auf dem Boden. Er war unbestreitbar tot. Die alte Frau ließ sich zu ihm auf die Knie fallen und schloss ihn in die Arme.
„Heinz, so sag doch was. Heinz. Mein Heinz.“
Die anderen standen um sie herum und blickten betroffen drein. Der Filialleiter war noch zu betrunken, um zu erkennen, was er getan hatte.
„Heinz, es wird alles wieder gut. Gleich bekommst du dein Lieblingsessen und dann gucken wir zusammen den Film mit Hansi Hinterseer wie jeden Mittwoch. Heinz? Heinz? Heeeiiiinnnz!“
Als sie begriff, dass Heinz in seinem Leben nur noch sehr wenig essen würde, ließ sie ihren Oberkörper auf das Tier sinken und begann sirenartig zu weinen. Niemand traute sich, zu ihr zu gehen. Nach zehn Minuten stand sie schwerfällig auf und nahm den Hund in die Arme. „Entschuldigen Sie, ich muss nach Hause. Ich habe ein Tier zu malen.“

Dann verließ sie das Gebäude. Ich hatte irgendwas im Hals.

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