Ein Kahn auf dem offenen Meer

Jogis Tagebuch 5 Heute berichtet Löw, wem er zwei Kästen Bier schuldet. Außerdem erklärt er, warum er nur noch heimlich trainiert und Arjen Robben keinen Gegenspieler braucht
Ein Kahn auf dem offenen Meer

Illustration: der Freitag

Montag, 11. Juni

Heute weckte mich nicht wie sonst Boateng, der nach der Rückkehr aus der Stadt durchs Treppenhaus polterte, sondern mein Handy.
„Ja, Joachim von Löw.“
„Jogi, ich hab’s mir überlegt. Ich will das Doppelte dafür, dass ich mich über Mario Gomez lustig gemacht habe.“
„Mehmet, warum das denn? So war das nicht vereinbart.“
„Ich werde von ganz Deutschland angegangen. Dieser psychische Druck ist kaum auszuhalten.“
„Na gut, dann bekommst du eben zwei Kasten Bier. Aber keine Flasche mehr. Könntest du noch einen Auftrag für mich erledigen?“
„Was denn jetzt?“
„Könntest du am Mittwoch in der Halbzeit sagen, dass sich der Schweinsteiger so wenig bewegt, dass du schon den Priester holen wolltest?“
„Ist das nicht ein bisschen hart?“
„Sechs Kästen Bier?“
„Abgemacht.“

Ich mache das nicht, um die Spieler mit umgekehrter Psychologie zu motivieren. Ich habe bloß Spaß daran.

Später habe ich beim Training die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Nicht, um irgendwelche Spielzüge zu trainieren, sondern um zu verheimlichen, dass wir gar nicht trainierten. Ich halte es für übertrieben, sich für einen Gegner fit zu halten, der gegen Dänemark nicht einmal gefährlich aufs Tor geschossen hat. Als ich den Entschluss der Mannschaft mitteilte und sagte, sie könnten jetzt wieder Unterhaltungen fortsetzen und Facebook-Profile aktualisieren, beschwerte sich nur Philipp.
„Trainer, wäre es nicht sinnvoll, wenigstens ein paar Spielzüge zu trainieren? Und außerdem muss ich gegen Robben spielen.“
„Robbens bester Gegenspieler ist momentan er selbst, also entspann dich, Philipp.“
„Aber Trainer…“
„Philipp!“
„Darf ich denn wenigstens heute meinen Vortrag über die Menschenrechtssituation in der Ukraine halten, den ich extra vorbereitet habe?“
„Ähem… einmal Maoam für die ganze Mannschaft, Philipp?“
„Au ja.“

Das hatte Taktikfuchs Löw mal wieder großartig hinbekommen. Busfahrer Wolfgang, Hansi und ich traten sogleich den Rückzug in die Privatgemächer an. Dort diskutierten wir leidenschaftlich darüber, ob Willi Herren die Salafisten wirklich nur auf ihrem Protest-LKW in Köln besucht hatte, um sich selbst ein Bild zu machen oder ob er selbst längst Teil dieser Rockergang ohne Motorräder geworden war.
„Wenn ihr mich fragt, dann ist der einfach nur bescheuert“, sagte Wolfgang.
„Jeder Mensch hat eine zweite oder dritte oder vierte Chance verdient“, sagte ich. „Der Gomez trifft ja auch nicht früher.“
Großes Gelächter in der Runde. Den hatte ich mal wieder gut platziert.

Wir hielten uns noch einige Zeit an dem miesen Roten schadlos und schalteten den Fernseher ein, um ein bisschen Fußball zu gucken. Wir sahen die Engländer und Franzosen bei dem Versuch scheitern, sich gegenseitig ins Koma zu langweilen. Wir sahen die Schweden, die ihre Entschlossenheit zum frühen Sommerurlaub dokumentieren. Die meiste Zeit aber sahen wir aber nur, wie Oliver Kahn mit Katrin-Müller von und zu Hohenlohe auf dem offenen Meer einen Experten oder Karl Valentin parodierte. Offenbar braucht er außerhalb der Zwölf-Meilen-Zone keine Steuern für seine Arbeit abführen. Wenn an dem Steg mal jemand die richtigen Schrauben rausdreht, dann wacht Kahn erst wieder in Atlantis auf.

Jogi Löw ist damit beschäftigt, Europameister zu werden. Sein geheimes Tagebuch muss unser Autor Sebastian Dalkowski schreiben. Der hält sich deshalb bis zum Ausscheiden der Nationalmannschaft für den Bundestrainer

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