Ein Leben ohne Guttenberg ist möglich, aber sinnlos (Lindberg 20)

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Lindberg lebt im Jahr 2060, ist 75 Jahre alt und berühmt und entschließt sich, seine Memoiren zu schreiben. Jeden Freitag veröffentlicht er hier ein weiteres Kapitel. Diesmal erzählt er allerdings aus seiner Gegenwart über Kanzler Guttenberg.

2060

Katharina ist eine junge Frau mit langen Beinen und mittellangen braunen Haaren. Katharina liegt auf meiner Couch, ich sitze ihr gegenüber auf dem Sessel. Sie hat längst begriffen, dass meine Bereitschaft mit ihr zu reden mit der Kürze ihres Rocks zunimmt. Und ich nutze ihre Wissbegierde aus, weil ich für die Anwesenheit einer schönen Frau nichts bezahlen will. Mindestens zweimal pro Woche setzt sie sich zu mir ins Wohnzimmer und fragt mich Dinge. Häufig zu meiner Zeit als Chefredakteur des Spiegels. Sie will selbst als Journalistin ganz nach oben und erhofft sich, dass ihr das mit meinem Herrschaftswissen gelingt. Sie ist eher mittelmäßig begabt, aber nicht klug genug, um das zu verstehen.

Heute aber reden wir über das, was das ganze Land aufrührt. Den Rücktritt des Bundeskanzlers.
„Warum musste er auch den Dienstwagen für Privatfahrten nutzen? Das kann doch nur Ärger geben.“
„Früher gab es Politiker, die sind über so was nicht gestolpert“, sagte ich.
„Das kann ich mir gar nicht vorstellen.“
„Doch, doch.“
„Und wer?“
„Na zum Beispiel Karl-Theodor zu Guttenberg“, sagte ich.
„Was, unserer früherer Bundeskanzler?“
„Ja, der zu Guttenberg, der 24 Jahre Kanzler war.“
„Was hat der sich denn zu Schulden kommen lassen?“

Sie streckt ihre Beine weit von sich.

„Als er noch Verteidigungsminister war, eine ganze Menge. Einmal zum Beispiel da kam heraus, dass er seine Doktorarbeit überwiegend zusammengeklaut hatte. Mehr als die Hälfte hatte er gleich wortgenau abgeschrieben. Und die Zeitungen, die ihn zuvor noch als Ersatzkaiser gefeiert hatten, schrieben in nun in Grund und Boden.“
„Und wie ist er da wieder herausgekommen?“
„Es sah wirklich lange Zeit so aus, als sei er weg vom Fenster. Ich meine, die Opposition forderte bereits seinen Rücktritt, die wichtigen Medien auch, was besseres als Gutten-Gate fiel allerdings niemandem ein. Er lag im Ansehen noch unter einem Hartz-IV-Empfänger. Dann aber rettete er ein Kind vorm Ertrinken aus einem Fluss und damit war der Ruf wieder hergestellt. Er verknüpfte diese Tat geschickt mit einer Werte-Diskussion: Ist es wirklich so wichtig, einen Doktortitel zu haben? Zählen nicht viel mehr die inneren Werte? Da konnte niemand mehr etwas gegen ihn sagen. Und dann sorgte er dafür, dass ein Jahr später der Doktortitel abgeschafft wurde.“
„Da hat er aber Glück gehabt.“
„Das habe ich zuerst auch gedacht, aber dann traf ich ihn, als er längst Kanzler war, zum Interview und ich erinnerte ihn an den Vorfall. Wissen Sie, Herr Lindberg, sagte er, ich wäre auch ohne die Sache mit dem Kind Minister geblieben. Das Kind war nur der Vorwand für die Medien, mich wieder gut zu finden, ohne ihr Gesicht zu verlieren. Denn die Leute sehnen sich doch nach so einem wie mich, der Glamour in die Politik bringt. Damit es aber nicht zu langweilig wird, musste ich ab und zu abstürzen, um wieder glorreich aufzuerstehen. Und mal ehrlich: Die Doktorarbeit war doch meine kleinste Täuschung.“
„Wie hat er das gemeint?“

Ich zögere mit der Antwort. Als sie das merkt, schlägt sie die Beine langsam übereinander. Geht doch.

„Na ja, seine gefälschte Doktorarbeit war bloß ein Symbol für sein ganzes Auftreten. Wir haben ihn ja nie wegen irgendwelcher Kompetenzen bewundert, sondern weil er so elegant auf Fotos aussah. Er war schließlich Wirtschaftsminister, ohne irgendwas davon zu verstehen. Aber sonst standen die Politiker wie Angela Merkel, die damals Kanzlerin war, eher wie Kartoffelsäcke vor den Kameras. Guttenberg war unverzichtbar. Wir Journalisten brauchten ihn mehr als er uns.“
„Trotzdem, ohne das Kind hätte der Vorwand gefehlt.“
„Und weil das so war, war die Sache mit dem Kind auch kein Zufall.“
„Sie meinen, Guttenberg selbst hat das ganze inszeniert?“
„Nicht Guttenberg, die Medien. Ein Spiegel-Reporter hat es mir irgendwann erzählt, dass er mit ein paar anderen Journalisten überlegte, wie sie Guttenberg wieder rehabilitierten konnten. Und dann hatten sie die Idee, dieses Kind in den Fluss zu werfen. Ohne dass es jemand sah selbstverständlich.“
„Aber das Kind war eingeweiht und konnte schwimmen, oder?“
„Natürlich nicht. Die Todesangst auf den Bildern sollte schon echt sein.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
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